Fragen & Antworten
WARUM FANTASY? - TEIL 1: ESKAPISMUS & CO. ALS ERKLÄRUNG FÜR DIE FASZINATION DES GENRES
Faszination Fantasy
Auch wenn es von Verlagsseiten her oft heißt, Fantasy wäre eher ein auf kleiner Flamme kochender Markt, gibt es in nahezu jeder noch so kleinen Buchhandlung eine eigene Ecke für Fantasy und Phantastik, und Tolkien, Potter und Konsorten sind durchaus für das Anziehen einer nicht eben kleinen Leserschaft bekannt. Über das, was die Leser in ferne Welten zieht und sie einen ganzen erfundenen Kosmos bestaunen läßt, gibt es einige Theorien, die teilweise nicht sehr schmeichelhaft für den Leser sind...

Eskapismus - Alltagsflucht

Dies ist unter anderem auch die bevorzugte Theorie der Kritiker von phantastischer Literatur, weil sie Fantasy im Prinzip mit einer Droge vergleicht, die süchtig macht.
Das Wort "Eskapismus" ist ein Kunstwort, das nicht nur im Zusammenhang mit Fantasy verwendet wird (unter anderem hat man auch den Lesern von Jane Austen Eskapismus vorgeworfen). Allerdings ist der Begriff keine Beschreibung des Lesestoffes an sich (es gibt in diesem Sinne keine Eskapismus-Literatur) sondern er beschreibt vielmehr die Motive der Leser. Sie wollen sich der grauen Alltagswelt entziehen, und "fliehen" in eine Welt, die klar definierte Gesetze (wie etwa Gesetze der Magie, klare Trennung von Gut und Böse) hat, ganz anders als unsere Welt, in der man sich eben nicht so leicht zurecht findet. Auch ist die Natur und das Leben an sich in diesen Fantasy-Welten meist "ursprünglicher" als unser Alltag - der Einzug der Technik hält sich in Grenzen, die Menschen arbeiten für ihr eigenes Glück und Auskommen und statt für eine Firma...

Flucht in eine andere Welt oder ein anderes Ich
Kritisiert wird daran vor allem, daß der Leser verblendet wird und daß auch diese geschönten, ans Mittelalter angelehnten Welten niemals in dieser Form existiert haben - das "ursprüngliche" Leben war ein hartes und grausames. Sich in eine Phantasie-Welt zu fliehen und die Augen vor dem eigenen Leben zu verschließen, und das zum Teil für lange Zeit (man beachte die mehrbändigen Reihen und die hohen Seitenzahlen), wird den Lesern vorgeworfen - die Illusion der Wirklichkeit vorzuziehen.
In die Eskapismus-Theorie hinein spielt nicht nur die Flucht in eine andere Welt, sondern auch die Flucht in ein anderes Ich - man kann sich mit strahlenden, unfehlbaren Helden identifizieren, die ihre Aufgaben durch ihre eigene Stärke lösen und mitunter mit gutem Gewissen gegen das Böse ins Feld ziehen dürfen. Sie haben Fähigkeiten, von denen der Leser nur träumen kann und lassen im Gegenzug den eigenen Alltag noch grauer, das eigene Leben eventuell sinnlos erscheinen, weil man es nicht solch übergeordneten, hehren Zielen widmen kann.
J.R.R. Tolkien hat sich in seinem Aufsatz "On Fairy Stories" (dt. "Über Märchen") zum Eskapismus geäußert und ihn folgendermaßen gerechtfertigt: "why should a man be scorned if, finding himself in prison, he tries to get out and go home? Or if, when he cannot do so, he thinks and talks about other topics than jailers and prison-walls?"
Dieses Zitat drückt auf jeden Fall auch Tolkiens Unzufriedenheit mit der modernen Welt aus (er bezeichnet sie immerhin als "Gefängnis"), weist aber auch schon ein wenig auf den zweiten Grund hin, warum sich die Leser für Fantasy begeistern können - auf die Alltagsbewältigung.

Alltagsbewältigung
Erzählen kann man immer als eine "Auseinandersetzung des Menschen mit der Wirklichkeit" (H. Gerndt) verstehen, und speziell Märchen oder eben Fantasy als eine Art "Weiterentwicklung" von Märchen erlauben uns, die Welt und das Leben "in mythisch-heroischer Erhöhung zu bewältigen" (K. Ranke) - die Literatur leistet also nach dieser Theorie keine Fluchthilfe aus dem Alltag, sondern hilft sogar, ihn besser zu meistern. Das geschieht eventuell durch die Vermittlung von grundlegenden, zum Teil heutzutage aus der Mode gekommen Werten (wie Treue, Freundschaft, Ehrlichkeit, Gnade usw.) oder eben durch die Ausdruckskraft der Geschichten an sich. Auch hierzu gibt es ein schönes Zitat: "Märchen sind mehr als nur wahr - nicht deshalb, weil sie uns sagen, daß es Drachen gibt, sondern weil sie uns sagen, daß man Drachen besiegen kann." (von G.K. Chesterton, einem britischer Autor der Phantastik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts). Das Böse kann besiegt werden, sich selbst treu zu bleiben lohnt sich und gute Werte bringen einen weiter - die Aussagen mögen zwar banal sein, aber sie deshalb als absolut sinnlos zu bezeichnen, wäre auch vermessen.

Aber...
So viele Theorien man auch über die Faszination von Fantasy aufstellt - eines wird gerne vergessen, was Literatur allegemein und Fantasy im Speziellen anbetrifft: Eine Geschichte ist eine Geschichte ist eine Geschichte. Man braucht keinen tieferen Grund, um sich in ihren Bann ziehen zu lassen - der Ursprung des Erzählens liegt in der Unterhaltung. Wenn eine Geschichte gut unterhält, ist es eine gute Geschichte. Wenn sie noch mehr kann als das, jemanden zum Nachdenken bringen, jemandem einen Rat geben oder sein Wissen erweitern, dann ist das eine wunderbare Sache, aber auch, wenn sie nur pure Unterhaltung ist, hat sie den Anspruch erfüllt, den man an Geschichten (oder eben Bücher) stellt: Man hat Freude daran, man entwickelt seine eigene Phantasie, indem man sich die Erzählung vorstellt und man hat Erfahrungen -welche auch immer- dazu gewonnen.
Zu den Quellen:
- The Encyclopedia of Fantasy von John Clute und John Grant
- On Fairy Stories von J.R.R. Tolkien
- Kultur von Helge Gerndt
- Die Welt der einfachen Formen von K. Ranke

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