Bewertet mit Sternen
(Besucher-Rezension):
Bei Patricia McKillip stecken Magie und Geheimnisse in ganz alltäglichen
Dingen, in einem Musikinstrument etwa oder in dem Schatten hinter einer
Tür. In diesem Roman verbirgt sich das Geheimnisvolle in einem merkwürdigen
Alphabet
Nepenthe wird als Kleinkind am Rand der Klippen von einem der königlichen
Bibliothekare gefunden. Sie wird in der Bibliothek aufgezogen und als
Schreiberin und Übersetzerin ausgebildet. Im Alter von sechzehn Jahren
bekommt sie ein Buch in die Hand, dasin einem an Dornenranken erinnernden
Alphabet verfaßt ist, das bislang niemand entziffern konnte. Sie
ist von Anfang an von diesem Buch mit den seltsamen Dornenbuchstaben fasziniert
und seine Übersetzung wird zu ihrer Passion. Doch je mehr sie in
die Geschichte, die das Buch der Dornen erzählt, eintaucht,
desto größer wird die dadurch drohende Gefahr
Der Roman hat eine Handlungsebene, die in zwei Handlungsverläufe
unterteilt ist:
Der eine Teil der Handlung spielt sich in dem zwölf Königreiche
umfassenden Raine ab, wo Nepenthe das merkwürdige Buch mit
dem Dornenalphabet in die Hand bekommt. Im Lauf der Zeit mehren sich durch
dessen stetig fortschreitende Übersetzung die Vorzeichen einer apokalyptischen
Bedrohung. Dieser namenlose Schrecken wird wahrgenommen, kann aber nicht
richtig gedeutet oder eingeordnet werden. Die schleichende Furcht der
Protagonisten vor diesem unbekannten Schrecken hängt wie ein Damoklesschwert
über diesen Passagen des Romans. Niemand kann sagen, wie der Gefahr
zu begegnen ist, da bis zum Schluß nicht klar wird, was alle
bedroht. Die Königin und ihre Beraterin sind auf der Suche nach Hinweisen,
zumal die junge Königin auch noch von einer sagenumwobenen Legende
ihres Reiches in einem verschlüsselten Traum gewarnt wird
Der zweite Teil ist gleichsam der Schlüssel zum ersten und spielt
im dreitausend Jahre in der Vergangenheit liegenden Great Eben.
Dort ist das Buch der Dornen, dasdurch seine Entschlüsselung
durch Nepenthe eine verhängnisvolle Verbindung zwischen Vergangenheit
und Gegenwart heraufbeschwört, entstanden.
Patricia McKillip verteilt den Fortgang der Handlung auf die Schultern
von mehreren Protagonisten. Erahnt man zu Beginn nur manches der Geschichte,
bekommt man langsam und stetig während des Lesens einen immer tieferen
Einblick in die Zusammenhänge, bis sich am Ende die einzelnen Handlungsfäden,
die aus diesen unterschiedlichen Erlebnissen und Sichtweisen bestehen,
zusammenfügen. Das Geschehen entfaltet sich langsam vor dem geistigen
Auge des Lesers und gibt nach und nach den Blick auf das gesamte Ausmaß
frei.
Zunächst wird man zu der Waisen Nepenthe in den Palast am Rand der
Welt und in die in den Kelleretagen gelegene königliche Bibliothek
von Raine geführt. McKillip beschreibt das Innere der Bibliothek
und die Menschen, die dort leben und arbeiten so, daß man das Gefühl
hat, ein detailgenaues Gemälde zu betrachten. Man kann sich diesen
Ort in den Tiefen des Palastes, in den niemals ein Sonnenstrahl dringt
und in dem es immer kühl und klamm ist, sehr genau vorstellen und
fühlt mit Nepenthe mit, die ihre kalten Finger anhaucht, um sie wenigstens
soweit warm zu bekommen, damit sie ihrer Arbeit nachgehen kann. Ein anderer
Schauplatz ist ein wilder Wald mit einer magischen Schule, die ab und
an zu den Wolken hinaufschwebt. Im Geist weilt man schnell an diesem verwunschenen
Ort, wenn man Patricia McKillips Beschreibungen liest, und man glaubt
die seltsam-magische Atmosphäre zu spüren, die sie mit ihren
Worten heraufbeschwört.
Auch die Figuren, die die Handlung tragen, sind so gestaltet, daß
man sich vorstellen kann, mit wem man es zu tun hat: Die neugekrönte
Königin Tessera beispielsweise wird als farbloses, blasses Geschöpf
geschildert, dem die Last der Krone der zwölf Königreiche, die
ihr nach dem Tod des Vaters auf den Kopf gesetzt wird, zu schwer zu werden
droht. Wenn sie vor den Adligen und Machthabern ihrer zwölf Reiche
an den Rand der Welt flieht, möchte man einfach Mitleid mit ihr haben.
Ihre Beraterin Vevay ist eine alte und erfahrene Magierin, die mit der
Unentschlossenheit, Ängstlichkeit und Unerfahrenheit der neuen Königin
kaum etwas anfangen kann, aber ihre Ungeduld gut hinter scheinbar freundlicher
Gelassenheit verbergen kann.
Das Buch der Dornen ist leichter und flüssiger zu lesen als
beispielsweise die von ihr zwischen 1976 und `79 verfaßte Erdzaubertrilogie.
Patricia McKillip hat sich ein wenig von dem poetischen Moment ihrer früheren
Werke entfernt. Die Sprache ist prosaischer, näher am Leben, und
auch das magische Moment tritt hier stärker in den Hintergrund. Die
Ursache der Ereignisse ist hier eher in der bedingungslosen Liebe zwischen
Kane zu Axis zu suchen.
Axis und Kane gehören zu den wichtigsten Figuren im Buch der Dornen.
Kane, die mächtige Magierin, ordnet sich bedingungslos Axis' Herrschaft
und Willen unter. Sie verhindert mit allen Mitteln, daß sie als
Frau erkannt wird, um an Axis' Seite bleiben zu können und sie setzt
ihre Magie dafür ein, seine Wünsche zu erfüllen. Im Gegenzug
schenkt er ihr seine ganze Liebe und sein Vertrauen. Auf diesen beiden
starken Charaktern, sozusagen dem Fundament der Geschichte, wird die gesamte
Handlung aufgebaut.
Kane hat das Buch in diesen geheimnisvollen Dornenbuchstaben geschrieben,
dasNepenthe nun wie besessen übersetzt. Sie ist Axis' Cousine, heimliche
Geliebte und Kampfmagierin. Axis, der König von Eben, ist
der grausamste Eroberer und Herrscher seiner Zeit. Sein Äußeres
erinnert an einen Löwen und auch in den Epen und Gedichten, die stellenweise
"zitiert" werden, wird er seines gnadenlosen Verhaltens seinen
Feinden gegenüber, aber auch seiner Fürsorge willen, die er
dann dem eroberten Land entgegenbringt, einem Löwen gleichgesetzt.
Sein Name ist wohl auch als Synonym für die Rolle als Dreh- und Angelpunkt
zu verstehen, die ihm die Autorin in der Geschichte zugedacht hat.
Diese Mischung aus Grausamkeit und Liebe schlägt immer höhere
Wellen, bis Kane schließlich lernt, die Zeit selbst zu beherrschen.
Dadurch verschafft sie ihrem Geliebten immer neue Königreiche, die
er mit seiner riesigen Armee erobern kann und sichert sich damit gleichzeitig
Axis' an Obsession grenzende Liebe.
Diese gegenseitige emotionale Abhängigkeit und die teilweise schrecklichen
Konsequenzen, die aus diesen Abhängigkeiten entstehen, sind das eigentliche
Thema des Buches. Die Figuren sind durch tiefe Leidenschaften und Beziehungen
auf verhängnisvolle Weise miteinander verbunden und dadurch gibt
es am Ende der Geschichte auch kein wirkliches "Happy End".
Ein bittersüßer Geschmack bleibt zurück, wenn man das
Buch geschlossen hat, und einem klar wird, dass eine zu große Liebe
auch eine ausweglose Situation für einen oder für alle Beteiligen
schaffen kann. Das Buch der Dornen
der Titel des Buches spricht
in so fern ein wenig für sich
(rezensiert von: Katerchen)
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