Worum's geht:
Tibbe ist Reporter beim Killstädter Kurier und steht kurz davor,
gefeuert zu werden. Sein Chefredakteur wirft ihm vor, daß er nie
Neuigkeiten schreibt. Gestern hat Tibbe einen Artikel über den Frühling
verfaßt, ansonsten handeln seine Berichte immer nur von Katzen.
Tibbe liebt Katzen - der Chefredakteur nicht, jedenfalls dann nicht, wenn
ständig Geschichten über sie in seiner Zeitung stehen. Jetzt
hat Tibbe ein Problem, denn er ist viel zu schüchtern, um Menschen
auszufragen und Neuigkeiten in Erfahrung zu bringen. Tibbe schlendert
durch die Straßen und versucht krampfhaft, sich etwas einfallen
zu lassen, da sieht er eine junge Frau, die vor einem Hund auf einen Baum
geflüchtet ist und sich jetzt nicht mehr hinuntertraut. Der Reporter
hilft ihr. Kurze Zeit später sieht Tibbe sie mit einer Fischgräte
in ihrem Mund, seinen Müll durchwühlen. Weil sie kein Zuhause
hat, läßt er sie bei sich wohnen. Die junge Frau sagt, sie
hieße Minusch und könne sich mit Katzen unterhalten, weil sie
früher selbst eine Katze gewesen sei. Von nun an versorgt Fräulein
Minusch Tibbe mit Neuigkeiten und dessen Arbeitsplatz ist gerettet - vorläufig
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Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Die geheimnisvolle Minusch ist eines der charmantesten Kinderbücher
über Zivilcourage. Tibbe ähnelt ein wenig Herrn Taschenbier,
bevor das Sams bei ihm eingezogen ist: er ist ein schüchterner, ängstlicher
Mensch, mit einem freundlichen, sanften Gemüt, der nicht nur über
Katzen und Blätter im Frühling schreibt, weil er sich nicht
traut, investigativen Journalismus zu betreiben, sondern auch deshalb,
weil er glaubt, daß die Menschen sich freuen, in ihrer Zeitung auch
solche Artikel lesen zu können und nicht nur Neuigkeiten über
Kriege und Morde. Doch selbst als der Chefredakteur Tibbe unter Druck
setzt und ihm mit Rausschmiß droht, wenn er seine Berichte nicht
ändert, weiß der nette Reporter sich nicht zu helfen. Genau
wie Taschenbier braucht er die Hilfe eines ungewöhnlichen und unkonventionellen
Wesens.
Die geheimnisvolle Minusch erscheint auf den allerersten Blick gar nicht
so ungewöhnlich, da sie wie ein Mensch aussieht, genauer gesagt,
wie eine hübsche junge Frau und deshalb ist die Tatsache, daß
Minusch bei Tibbe einzieht, für seine Umwelt zuerst auch nichts Besonderes.
Für Tibbe schon, denn Minusch erzählt ihm, daß sie früher
eine Katze war und hofft, bald wieder eine zu werden, sie benimmt sich
wie eine Katze und sie kann sich mit anderen Katzen unterhalten. Das ist
Tibbes Rettung, denn durch Minusch und ihren Katzeninformationsdienst
kann er seinem Chefredakteur nun endlich wirkliche Neuigkeiten liefern.
Eine ganze Weile denkt der Leser: "Ach ja, schöne Geschichte,
geheimnisvolle Katzenfrau hilft Reporter, seine Arbeit zu behalten, die
beiden verlieben sich, Friede, Freude, Eierkuchen, Happy End." Aber
so simpel hat Annie M.G. Schmidt ihre Geschichte nicht gestrickt. Plötzlich
und unerwartet findet sich der Leser in einem Kinderbuch über Zivilcourage,
Verantwortung und die Frage, wie frei die Presse wirklich ist, wieder.
Eines Tages erfährt Minusch eine brisante Neuigkeit und siehe da
- der so auf Neuigkeiten versessene Chefredakteur druckt sie nicht, weil
es keine Zeugen gibt. Daß es dabei um den reichsten, geachtesten,
beliebtesten, engagiertesten Bürger der kleinen Stadt geht, der überall
seine Hände im Spiel hat und mehr oder weniger im Hintergrund die
Fäden zieht, spielt dafür keine Rolle, i wo. Es kann einfach
nicht sein, daß dieser Mann etwas so Verwerfliches getan hat, wie
Minusch behauptet, und beweisen kann Tibbe es nicht, schließlich
kann er seinem Chef schlecht sagen, er hätte diese ungeheuerlichen
Neuigkeiten von Katzen gesteckt bekommen und die Menschen, die davon wissen,
schweigen aus Angst. Jetzt muß er sich entscheiden: Will er weiter
ängstlich und schüchtern bleiben oder wird er mit Minuschs Hilfe
und der tatkräftigen Unterstützung von Bibi, einem kleinem Mädchen
aus seiner Nachbarschaft, mutig über sich selbst hinauswachsen, Zivilcourage
zeigen und verantwortungsbewußt handeln.
Mit leichter Hand und viel Charme verbindet die Autorin die verschiedenen
Aspekte ihrer Geschichte. Die Beschreibung der Katzenwelt ist ihr hervorragend
gelungen. Da ist natürlich in erster Linie Minusch, bei der immer
wieder ihre Katzennatur durchbricht, was bald auch Tibbes Umgebung auffällt
und zu witzigen Situationen führt. Minusch schläft in einem
Karton, reibt sich beim Einkaufen verstohlen am Heringsverkäufer,
flüchtet vor Hunden auf Bäume und bekommt erschreckenderweise
einen mordlüsternen Blick, faucht los und packt blitzschnell zu,
wenn sie eine Maus sieht. Zu Minuschs Informanten gehört die Schluderpuss,
eine streunende Katze, schmuddelig, ungepflegt, von Straßenkämpfen
gezeichnet, Typ: rauh, aber herzlich, die ständig Kinder bekommt
und schon wieder den nächsten Wurf erwartet. Sie liebt es, frei und
ungebunden zu sein und rät Minusch es ebenso zu halten, bevor Tibbe
auf die Idee kommt, sie im Korb zum Tierarzt zu bringen und ihr eine Spritze
verpassen zu lassen - obwohl in Minuschs gegenwärtiger Erscheinungsform
dies eher unwahrscheinlich ist.
Der Knüller unter den Katzeninformanten ist der Schulkater, der immer
felsenfest davon überzeugt ist, die ultimative Neuigkeit aufgeschnappt
zu haben und Minusch stets auffordert, dafür zu sorgen, daß
sie in die Zeitung kommt. Die aufregenden Sensationsnachrichten lauten:
Cäsar kam, sah und siegte. Napoleon hat die Schlacht bei Waterloo
verloren. Bismarck wurde zum Reichskanzler gewählt. Der Schulkater
sitzt im Geschichtsunterricht, weil er ihn spannend findet und glaubt,
alles, was er hört, sei gerade erst geschehen. Und wie dem Schulkater
geht es auch -unabhängig vom Alter- dem Leser, dem gar nicht auffällt,
daß das Buch vor über dreißig Jahren geschrieben wurde,
so zeitlos aktuell und wichtig ist die Botschaft, die es vermittelt und
so wunderbar charmant und humorvoll ist sie verpackt.
(rezensiert von: Top
Dollar)
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