Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Ein Mädchen, das einem Hexen-Coven angehört, verschwindet spurlos,
mehrere Morde werden verübt, eine Kommissarin ermittelt, die dabei
zeitweise von einem Vampir unterstützt wird, Liebesverwirrungen,
ein Sorgerechtsstreit um ein Kind
, das klingt, als seien Spannung
und Grauen garantiert. Leider erfüllt der Roman diese Erwartung nur
in geringem Maß.
Der Vampir trägt den nicht gerade originellen Namen Peter von Borgo,
offensichtlich nach dem Borgo-Paß aus Bram Stokers Dracula.
Die Autorin scheint eine Vorliebe für bemüht bedeutungsschwangere
Namen zu hegen, allzu deutlich erinnert das Pseudonym "Rike Speemann"
an Friedrich Spee, den Jesuiten, der im 17. Jahrhundert mit seiner Schrift
Cautio Criminalis entscheidend zur Beendigung des Hexenwahns in
Deutschland beitrug.
Zurück zu Peter von Borgo. Trotz des auffälligen Namens, eines
dezenten Hinweises Sabine Berners, daß er aus Rumänien stammt
und vor allen Dingen, obwohl der Blutsauger reichlich Nahrung zu sich
nimmt, merkt in ganz Hamburg niemand, daß in der Stadt ein Vampir
sein Unwesen treibt. Zwar haben die Opfer, die fast alle am Leben bleiben,
keine Erinnerung daran, was geschehen ist, sie haben allem Anschein nach
aber auch keine Verwandten, Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen oder Bekannte,
denen die Bißspuren an ihrem Hals auffallen, keine besorgten Ehefrauen,
die ihre geschwächten Männer zum Arzt schicken und sie schauen
nie in den Spiegel, keine Gerüchte kursieren in der Stadt und kein
gewiefter Boulevardreporter fabriziert eine verkaufsträchtige Schlagzeile.
Als Peter von Borgo seinen Rivalen um die Gunst Sabine Berners beißt,
ist der so schwach, daß er sich ins Bett legen muß, weigert
sich aber standhaft, einen Arzt zu konsultieren. Erst nach Tagen, als
es ihm wieder besser geht und zur großen Erleichterung Sabines die
Bißspuren verschwunden sind, überlegt er es sich anders. Das
ist alles völlig unglaubwürdig.
Rätselhaft bleibt auch, warum Peter und Sabine sich so zueinander
hingezogen fühlen. Die Kommissarin mag eine patente Frau sein, irgendwelche
hervorragende Eigenschaften, die erklären würden, warum sie
in dem Vampir eine solche Leidenschaft weckt, hat sie nicht. Noch weniger
verständlich ist, was Sabine an von Borgo reizt. Dieser Vampir besitzt
weder die Faszination des Bösen, noch strahlt er knisternde Erotik
aus. Er hält sich an den alten Schlager "Wer Klavier spielt,
hat Glück bei den Frauen". Warum er bei Sabine damit einen solchen
Erfolg hat, dürfte in diesem Fall noch nicht einmal der Himmel wissen.
Tappt der Leser auch bei dieser Frage im Dunkeln, so informiert die Autorin
über andere Dinge um so ausführlicher, selbst, wenn man es so
genau gar nicht wissen wollte. Die Straßen- und Ortsangaben sind
so häufig und bis hin zu einzelnen Büschen oder Bäumen
so exakt, daß man das Buch auch als Stadtplan benutzen kann. Vielleicht
freut es ja die Hamburger, wenn sie jeden Strauch im Roman wiedererkennen.
Die Krönung dieser penetranten Versuche, Authentizität zu erzeugen,
ist die Beschreibung einer Sektion: Sabine wußte, daß man
den gesamten Rumpf in Form eines Ypsilon aufgeschnitten, die Organe entnommen
und gewogen und Proben für die Histologie genommen hatte. Danach
war alles wieder in die Bauchhöhle zurückgelegt und die Haut
vernäht worden. Ein Sektionsassistent übernahm es, den Schädelknochen
aufzusägen. Der Schnitt wurde stets hinter dem Haaransatz geführt
und die Kopfschwarte nach vorn und hinten abgezogen, so daß man,
nachdem das Gehirn entnommen worden war, die Gesichtshaut wieder an ihren
ursprünglichen Platz ziehen konnte. Sensiblen Gemütern dreht
sich bei dieser Schilderung der Magen um, medizinisch Interessierte bevorzugen
dann doch eher eine Anatomievorlesung oder ein Fachbuch. Spannung wird
mit diesem Schnellkurs für angehende Pathologen jedenfalls nicht
erzeugt.
Ist die Autorin hier akribisch genau, macht sie an anderen Stellen Fehler.
Da mischt eine der Protagonistinnen für Beltane "Sabbat-Weihrauch"
aus Sandelholz, Rose, Fenchel usw. . Man kann aber nur "Räucherwerk"
zusammenmischen und keinen "Weihrauch", denn Weihrauch ist das
Harz eines Baumes und keine Mischung aus verschiedenen Pflanzen.
Nur schwer zu ertragen sind die melodramatischen Anfälle die Sabine
von Zeit zu Zeit heimsuchen. So sinniert sie über den Tod: Aber
die Frau dort auf dem Seziertisch? Sie hat in die Erwachsenenwelt gerade
erst ein paar Jahre hineingeschnuppert. Hat jemand sie um ihr Leben betrogen?
Hat sie es sich selbst genommen? Oder war es ein Unfall? Jedenfalls werden
Tränen fließen und Menschen sich verzweifelt fragen: warum?
Gibt es einen Gott? Wie kann er so etwas zulassen? Und wie immer werde
ich keine Antwort haben. Ich werde mich schlecht fühlen und mich
davonschleichen. Auch über Peter von Borgo macht sie sich Gedanken:
Doch wo war sein Platz in der Gesellschaft? Hatte solch ein Wesen denn
einen? War er nicht eine Laune der Natur, die ins Reich der Fantasie gehörte?
Bei solchen Sätzen fragt man sich, ob sich nicht auch der ein oder
andere Leser davonschleichen wird, weil er sich schlecht fühlt.
Einigermaßen unterhaltsam ist der Roman, wenn man ihn als reinen
Krimi betrachtet. Die Aufklärung der Morde wird routiniert abgespult,
allerdings weiß der Leser nach drei Vierteln des Romans, als ein
Photo auftaucht, wer der Mörder ist und aus welchem Grund er seine
Taten begangen hat. Kommissarin Berner benötigt dann noch eine Weile
bis auch sie der Geistesblitz ereilt. Hier wird die Geschichte ein weiteres
Mal unglaubwürdig.
Bedenklich ist, daß ausgerechnet die Kommissarin, deren Arbeit in
einer Demokratie ja dazu dient, sicherzustellen, daß Recht und Gesetz
für jeden gelten, in diesem Roman der Selbstjustiz durchaus aufgeschlossen
gegenübersteht - um es vorsichtig zu formulieren.
(rezensiert von: Top
Dollar)
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