Worum's geht:
Familie Darling hat drei Kinder: Wendy, John und Michael. Der Vater arbeitet
zwar viel, bringt aber nicht genügend Geld mit nach Hause, daher
können sie sich nur die Hündin Nana als Kindermädchen leisten.
Mr. Darling findet dieses generell sehr sonderbar, aber so lange er bewundert
wird, kann er es akzeptieren. Doch eines Abends - man ist sowieso schon
spät dran - will Michael seine Medizin nicht nehmen und der Vater
bringt ihn mit einem Trick dazu, enttäuscht damit aber die Kinder.
Die Situation eskaliert und Nana wird im Hof angekettet. Dieses erlaubt
es Peter Pan Wendy (und die anderen Kinder) mit sich zu nehmen, da er
dringend eine Mutter für seine Lost Boys braucht...
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Bibliotheka Phantastika verleihtSterne:
Die Geschichte beginnt im London des späten 19. oder frühen
20. Jahrhunderts, doch auch wenn die Eltern eher ungewöhnlich sind
und die ersten zwei Kapitel die Figuren vorstellen und die Situation herleiten
sollen, vermitteln sie dem Leser ein handfestes "London"-Gefühl.
Dann geht es nach einem langen Flug zur Insel Neverland. Auf dieser relativ
kleinen Insel geht es phantastisch zu: Wilde Tiere durchstreifen die Wälder
auf der Suche nach menschlichen Opfern, Indianer auf der Suche nach den
Lost Boys oder Piraten und vice versa. Es gibt Feen, Meerjungfrauen und
eine alte Frau mit krummer Nase. Die Insel ist der "Realität"
gewordenen Wunschtraum eines Jungen. Insgesamt ist das Setting eher eine
dekorative Kulisse (Peter Pan ist ein zum Roman überarbeitetes Drama)
und damit als Ambiente zu beschreiben.
Neben den schon erwähnten Fabelwesen gibt es noch weitere magische
Elemente; so können die Lost Boys fliegen, sie wohnen in einem unterirdischen
Haus, in welches man durch Bäume gelangt, und ein Krokodil mit der
tickenden Uhr des Piratenkapitäns Hook im Magen, den es jetzt verfolgt,
um ihn irgendwann zur Gänze zu verschlingen. Die magischen Elemente
verleihen der Geschichte eine traumhafte Note.
Es treten zwar eine ganze Reihe von Figuren auf, doch nur wenige sind
wirklich wichtig. Die zentrale Figur ist natürlich der titelgebende
Peter Pan; er scheint ein Junge von vielleicht acht oder neun Jahren zu
sein und sieht bezaubernd aus. Er hat unzählige Talente: Er kann
fliegen, ist ein exzellenter Fechter, kann Stimmen perfekt nachahmen und
noch einiges mehr. Doch er ist auch ein Tyrann: Er ist der Anführer,
er bestimmt, was gemacht wird und was gewußt wird - wenn er etwas
nicht kennt, dann darf es auch kein anderer kennen. Er hat Angst: Einerseits
wünscht er sich eine Mutter, andererseits kann er Mütter aber
auch nicht ausstehen - Wendy findet sich in dieser Position wieder; sobald
Peter fürchtet, seine Mutter zu verlieren, wird er ruppig. Und er
ist kühn: Er wählt niemals den einfachen Weg und nimmt jede
Herausforderung an. Schließlich vergißt er Dinge, die nicht
wichtig für ihn sind: Oftmals entfallen ihm Namen und an vergangene
Ereignisse kann er sich fast nie erinnern.
Wendy ist ein junges Mädchen, etwa im selben Alter wie Peter. Einen
echten Charakter hat sie noch nicht entwickeln können, sie ist noch
am probieren: Einerseits soll sie die Mutter sein und lange Zeit spielt
sie diese Rolle auch gerne, doch irgend jemand muß den Vater geben
- Peter als Anführer könnte das am besten, aber er verabscheut
Erwachsene; andererseits ist sie aber noch ein Kind, benötigt selber
noch eine Mutter und vermißt ihre Eltern.
Captain Hook ist ein gar schröcklicher Pirat, grausam, impulsiv und
voller Stil; er war einst ein englischer Gentleman und immer noch zählt
für ihn vor allen anderen Dingen eines: Haltung bewahren! Er haßt
Peter (und die Lost Boys) von ganzem Herzen, denn er kann Peters Tollkühnheit
nicht ertragen. Außerdem fürchtet er das Krokodil, denn er
weiß, daß es einst sein Verderben sein wird. Schließlich
hätte auch er gerne eine Mutter für seine Mannschaft...
Tinker Bell ist eine Fee, die sehr eifersüchtig auf Wendy ist. Und
da Feen so kleine Wesen sind, ist in ihrem Herzen nur für jeweils
ein Gefühl platz: Tink versucht mit allen Mitteln (es stehen ihr
allerdings nicht viele zur Verfügung) Wendy loszuwerden. Daneben
treten noch Scharen von blutrünstigen Piraten, edlen Indianern und
die tapferen Lost Boys auf; sie sind alle flache, exzentrische Charaktere,
die für Teils tragikomischen, Teils groteskem Humor sorgen.
Die Geschichte erzeugt auf unterschiedliche Arten Spannung: Im Vordergrund
steht natürlich die Abenteuergeschichte mit dem vielfach verfilmten
Kampf zwischen Peter Pan und Hook; da gibt es allerlei aufregende und
komische Episoden. Für Erwachsene interessanter ist der ambivalente
Peter und das Neverland selbst; er ist ein zu tiefst enttäuschter
Junge mit vielen despotischen Eigenheiten von Kindern - ein verzogenes
Gör möchte man sagen - doch im Neverland ist er sehr viel mehr.
Auch sonst finden sich viele interessante Details im Neverland: So ist
z.B. das Töten von Feinden komplett amoralisch - wie im Kinderspiel,
aber es sterben Personen. Dann sortiert Peter die zu alt gewordenen Kinder
der Lost Boys aus - und die Piraten können sich nicht an ihre Mütter
erinnern und wünschen sich selbst eine...
Aber im Kern steht wohl Wendys Konflikt, ihre Zerrissenheit zwischen der
Mutterrolle und dem Kind-Sein; leider gibt es hier zu wenig Entwicklungen,
es werden einige Konflikte angedeutet und sprungartig gelöst. Auch
das Ende ist in dieser Hinsicht etwas unbefriedigend. So bleibt es eine
lustige Abenteuergeschichte für Kinder mit vielen Untertönen.
Die Geschichte schildert ein allwissender Erzähler von einer auktorialen
Perspektive aus, der mit einer gewissen Regelmäßigkeit sich
direkt an den Leser wendet; der Stil ist emphatisch und für den modernen
Leser ungewohnt und lyrisch: "And gayest of all was Mrs. Darling,
who would pirouette so wildly that all you could see of her was the kiss,
and then if you had dashed at her you might have got it." (S.
5) Auch wenn es ein Kinderbuch ist, benötigt man schon etwas Erfahrung,
um den Text gut lesen zu können.
(rezensiert von: Theophagos)
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