Worum's geht:
Seit vier Wochen regnet es in Vancouver fast ununterbrochen. Die Flüsse
schwellen an, werden zur Flut, und die reißt alles mit sich, was
ihr im Weg ist. An diesem Tag verliert der elfjährige Andy nicht
nur sein Heim, sondern auch seine Mutter und seinen Stiefvater. Er selbst
wird aus den Fluten gerettet. Nach zwei Wochen holt ihn seine Tante Mona
aus dem Krankenhaus. Er soll mit ihr und ihrer Familie in Halifax leben.
Aber Tante Mona ist eine herbe und spröde Frau, nicht so warmherzig
und liebevoll wie Andys Mutter war. Als der Junge erfährt, daß
sein leiblicher Vater gar nicht tot ist, wie er bisher glaubte, flüchtet
er zu ihm. Doch der lebt in einer heruntergekommenen Absteige, verdient
mit krummen Geschäften nur wenig Geld und ist dem Alkohol zugetan.
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Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Kinder und Betrunkene haben einen Schutzengel heißt es in
einem deutschen Sprichwort. Irischstämmige Kinder und Betrunkene
haben Sheehogue. Sheehogue oder Das Kleine Volk werden in
Irland die Elfen genannt. Sie sind kleine unsichtbare Wesen, die den Menschen
helfen, ihnen aber auch manchen Schabernack spielen, und so ist es kein
Zufall, daß das Wort Sheehogue sich auf rogue reimt,
was auf Deutsch Gauner, Schurke, Schuft oder Strolch heißt.
Außerdem bezeichnet Sheehogue auch noch die Elfen-Diaspora,
also die Elfen, die während der großen Hungersnot Irland verließen
und nun in der ganzen Welt verstreut leben, z.B. in Kanada. Andy, dessen
Familie ursprünglich aus Irland stammt, benötigt jede Hilfe,
die er bekommen kann.
Obwohl die Sheehogue in der Geschichte ständig präsent sind,
kann sich der Leser kein wirkliches Bild von ihnen machen, denn Heneghan
vermeidet es, die Elfen genauer zu beschreiben. Stattdessen hält
er ihre Dialoge fest. Oft streiten die Kerlchen und so erhält man
den Eindruck, daß man von kleinen Wesen umgeben ist, die ständig
um einen herumwuseln, sich wispernd unterhalten und deren flinkes Umherhuschen
man höchstens in den Augenwinkeln wahrnehmen kann, die man aber nie
zu Gesicht bekommen wird. Auch Andy und sein Vater, die manchmal merken
-manchmal auch nicht- daß sie Glück im Unglück haben,
nehmen die Sheehogue nicht wirklich wahr und haben keine Ahnung davon,
daß sie von "guten Mächten wunderbar geborgen" sind.
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen aber nicht die Sheehogue, sondern
die Beziehung zwischen Andy und seinem Vater, die Heneghan sehr einfühlsam
beschreibt. Andy wünscht sich nichts sehnlicher als mit seinem Vater
ein normales Familienleben zu führen. Aber der ist labil, ein Kleinkrimineller
und trinkt mehr als ihm gut tut. Trotzdem ist er liebenswert und keineswegs
ein schlechter Kerl, aber er ist auch ein Loser, der mehr verspricht als
er halten kann. Obwohl Andy erst elf Jahre alt ist, ist er reifer und
erwachsener als sein Vater und handelt vernünftiger. Heneghan vermeidet
Schuldzuweisungen und er ist auch keiner von denen, die in ihren Büchern
das soziale Elend der Unterprivilegierten bejammern. Ein Schicksalsschlag
hat Andys Vater aus der Bahn geworfen und seitdem ist er nie wieder auf
die Beine gekommen. Heneghan sagt mit seiner Geschichte: "Schaut
her, es gibt Menschen, die mit dem Leben nicht zurechtkommen, sie sind
nicht schlecht, sie können sogar ihre Kinder lieben, aber sie können
nicht mit ihnen zusammen leben und für sie sorgen. Es ist aber auch
falsch, sie für immer von ihren Kindern zu trennen, denn die haben
ein Recht auf ihre Eltern. Mit etwas gutem Willen läßt sich
eine Lösung finden." Und auch für Menschen wie Andys Tante,
die nicht ständig gut gelaunt sind und vor Freundlichkeit sprühen,
wirbt Heneghan um Verständnis. Auch die sind nicht als Miesepeter
geboren und vielleicht gar nicht so hartherzig, wie sie auf den ersten
Blick scheinen.
Wer jetzt glaubt, Im Schutz des Kleinen Volkes sei ein trauriges
Buch, der irrt. Auch hier gilt: kein Elend ist so reizvoll, wie das eines
Iren. Und wenn Andy nicht so vernünftig wäre, einzusehen, daß
das Leben das sein Vater führt, nicht gut für ein Kind ist,
dann wäre mancher junge Leser vielleicht doch geneigt zu glauben,
es gäbe nichts romantischeres als ein schäbiges Zimmer in einer
heruntergekommenen Absteige mit Klo auf dem Gang und nichts aufregenderes
als gelegentliche Besuche von Geldeintreibern oder windigen Zigarettenschmugglern.
Gedacht für Leser ab 10.
(rezensiert von: Top
Dollar)
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