Warum's so gut
ist:
Die größte Schwierigkeit bei der Lektüre des Buches besteht
für den Leser darin, sich zunächst einmal zu orientieren und
einen Überblick zu gewinnen, wer die Hauptpersonen der Geschichte
sind und wovon der Roman eigentlich handelt. Fremd klingende Namen und
Bezeichnungen für Personen, Titel, Länder und Städte, Gegenstände
und Speisen; Rückblicke, Vorausdeutungen, wechselnde Namen für
ein und dieselbe Person und verschiedene Erzählperspektiven machen
es dem Leser nicht gerade leicht, schnell einen roten Faden zu finden.
Aber dank des ausführlichen Glossars lichten sich früher oder
später die Nebel und man fragt sich beschämt, warum man mit
Sätzen wie Und so erfährt man, daß ein Solargenetzu
zweihundert Undeten in Gold an den hochgeborenen Niaketer Hes Phogas zu
übermitteln hatte, bestimmt für die Wagnerin Zitanucha kahatan
Batwanes in Kehestre. Der Auftrag war von Banaikxo Kehestrezu erteilt
worden, >geschworenen Mann des Hinehniak und Hes Niaketer als solcher
bekannt< je irgendwelche Schwierigkeiten hatte und warum man die
Erläuterung zu Pekeiraz (>gehen + Anstieg + ich<. Z'Pekeiraz,
HiasPekeiraz, Zuname Sarinai, Schimpfname >Einäugiger Dämon<),
Nehri aus Sarine, ZMiach, Ringträger der P'Mesam und TesMesam, Absolvent
der Hohen Schule (Z'Mes), Dreiringträger, Vertrauter Gachots, Gildenmeister
Gachtens, ab 273 Hias Sarkach und Siegelträger, ab 280 Statthalter
Zabgas, nach Attentat einäugig; verfaßte zum Vergnügen
gel.Verse (Beispiele in der Beshechsiach-Samllung Gachten); ab 289 Najajaz-Name
Okanateros, Händler in Pahija, ab 296 erster Kanzler von Kajx; 246-325
zunächst als nicht wirklich hilfreich empfand.
Hat man diese Hürde erst einmal genommen, darf man sich an einem
spannenden, epischen Roman erfreuen.
Die Handlung spielt in den fiktiven Regionen Banahicha und Nehra. Die
Welt ist mittelalterlich, es gibt noch keine funktionierenden Handfeuerwaffen
und erst recht keine Industrie. Aufgrund der fremdartigen Namen erinnert
sie an Kulturen, wie man sie zum Beispiel im asiatischen Teil Rußlands
findet. Keinesfalls ist diese Welt unser europäisches Mittelalter,
wie man es aus Ritterfilmen kennt.
Magie hat einen bedeutenden Anteil am Leben der Menschen, sie ist aber
kein plakativer Hokuspokus. Manchmal scheint sie nur geschickt eingesetzte
Psychologie zu sein. So glauben die Nehri an Namensmagie, also daran,
daß der Name eines Menschen den Träger beeinflußt. Eine
andere magische Technik ist das Spiegeln, dabei verstärkt man das
Gefühl eines anderen. Wenn jemand einen Auftrag nicht pflichtgemäß
erledigt, dann hat er zumindest ein geringes Schuldgefühl. Jemand,
der sich auf das Spiegeln versteht, würde das vorhandene Schuldgefühl
so sehr verstärken, daß er sicher sein kann, daß der
Auftrag das nächste Mal zu seiner Zufriedenheit erledigt wird. Es
gibt aber auch unberechenbarere Arten von Magie: Dämonen beeinflussen
das Leben der Menschen zum Guten oder zum Schlechten hin und manche Menschen
opfern sich durch rituellen Selbstmord einem Gott und werden dann zu Seitjihinx,
machtvollen Geistwesen, die freundlich oder bösartig sein können.
Die Geschichte ist in eine Rahmenhandlung eingebettet: Die Erzählerin
ist eigentlich Historikerin, der Roman ist aber nicht das Ergebnis ihrer
wissenschaftlichen Arbeit, sondern sie schreibt auf, was sie in Visionen,
also auf magische Weise, erfahren hat. Das erklärt auch die Komplexität
des Romans. Als Leser hat man den Eindruck, das Entstehen eines riesigen
Gobelins zu verfolgen, die Stickerin fertigt das Motiv in der linken oberen
Ecke, dann ein anderes am rechten Rand, dann eines in der Mitte und je
mehr die Künstlerin fortschreitet, um so mehr erkennt der Betrachter
wie alles zusammenhängt und am Ende steht er vor einem farbenprächtigen
Kunstwerk, in dem sich jeder Stich harmonisch mit den anderen zusammenfügt.
Gesa Helm erzählt in ihrem Roman viele Geschichten: die von Maijsa,
die sich aus Unerfahrenheit in den falschen Mann verliebt und schließlich
zur Retterin des Erben Gachtens wird, die von Tisme, die sich für
eine Dämonenfreundin hält und unerschütterlich daran glaubt,
daß alles gut werden wird, die von dem verschlagenen Kajec, der
schon als Kind von allen beschimpft wurde, weil seine Mutter trank und
der als Erwachsener hart und gewalttätig ist, die von der gelähmten
Setajnij, die sich für ihren Bruder Banaikxo opfert, der später
Bekanntschaft mit Kajec machen wird, sie erzählt die Geschichte von
Pekeiraz, einem machtgierigen Emporkömmling und die seines Schreibers
Stani, der ein Freund von Hoan ist, dem Bruder Tismes und Maijsas. Auf
derartige Weise sind all diese Menschen miteinander verbunden und beeinflussen
das Schicksal der anderen, oft, ohne es zu wissen. Am Ende fügen
sich alle Erzählstränge harmonisch zusammen, auch wenn einige
Fragen offen bleiben und es ist erstaunlich, wie Gesa Helm die verschiedenen
Geschichten über fast neunhundert Seiten spinnt, ohne sich in ihrem
eigenen Gespinst zu verheddern oder logische Fehler zu begehen.
Es gibt aber einen Fehler im Buch: Der Rezensent hat auf der Karte eine
halbe Stunde nach Gachten gesucht, dem zentralen Ort des Romans. Ergebnis:
Gachten ist auf der Karte nicht verzeichnet. Dort wo die Stadt sein müßte,
am Zufluß des Deseb prangt nur ein dicker schwarzer Punkt, ohne
Ortsbezeichnung.
(rezensiert von: Top
Dollar)
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