EIN YANKEE AUS CONNECTICUT AN KÖNIG ARTUS' HOF

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1 Rezension
-"Camelot - Camelot", sagte ich vor mich hin. "Ich erinnere mich nicht, schon mal davon gehört zu haben. Wahrscheinlich der Name einer Irrenanstalt."-
Erstes Kapitel Camelot
Zyklus/Band -
Autor Mark Twain
Original A Connecticut Yankee in King Arthur's Court
Erscheinungsjahr 1889, dt. 1967
Verlag Fischer
ISBN 3-596-21087-9
Subgenre klassische Phantastik
Seitenzahl 306
Probekapitel -
Worum's geht:
Nach einem kräftigen Schlag auf dem Kopf findet sich der pragmatische Vorarbeiter einer Colt-Fabrik des 19. Jh. in einer drastisch veränderten Welt wieder - die Städte sind ihm unbekannt, ein Kerl in einer Ritterrüstung bedroht ihn und die Kinder spielen nackt im Dreck. Ein Zirkus ist es nicht, da ist sich der Yankee sicher, aber vielleicht eine Irrenanstalt. Der Knappe seines Entführers behauptet allerdings, daß man das Jahr 513 n. Chr. schreibe und man nicht bei Irren, sondern an König Artus' Hof sei. Der Pragmatiker beschließt nun folgendes: Ist er in einer Irrenanstalt, so will er diese binnen kürzester Zeit befehligen, ist er aber im 6. Jh., so will er in drei Monaten das ganze Land befehligen - doch am Hofe beschließt man, daß der Fremde in zwei Tagen auf den Scheiterhaufen soll...

Bibliotheka Phantastika verleihtSterne:
Sieht man von der Anbindung an die Zeit Mark Twains ab, so spielt die Geschichte im 6. Jh. in König Artus' England - damit muß der Autor nur begrenzt authentisch sein, da vieles aus diesem Umfeld eben an sich sagenhaft ist. Twain bemüht sich darum, den Mythos des Rittertums zu entzaubern. Im Detail will er nicht akkurat sein, vielmehr will er die Härten des Feudalismus und die dazugehörigen Mentalitäten, sowohl die der Herren als auch die der Knechte, explizieren. In verschiedenen Episoden beleuchtet Twain die unterschiedlichen grausamen Aspekte dieser Gesellschaftsform, z.B. beschreibt er einen Sklaventreck, bei dem eine junge versklavte Mutter vor Erschöpfung strauchelt. Der Sklaventreiber läßt ihr das Kind nehmen und einige Männer, darunter ihr Ehemann, sie festhalten, während er der Frau den Rücken zerpeitscht. Ihren Ehemann peitscht er anschließend ebenfalls aus, bloß weil dieser seine Frau während der Bestrafung nicht ansehen wollte. Die Mitgefangenen geben derweil zynische Kommentare über die Qualität der Schläge ab. In einer anderen Episode läßt Twain die Diener eines ermordeten Herren eine Bauernfamilie und ihre Verwandten lynchen, nur weil diese am Tod des Herren beteiligt gewesen sein könnten - und die ebenso unterdrückten Nachbaren helfen mit. Eine der Qualitäten des Buches ist Twains Bemühen den Mechanismus, der die Unterdrückten das unterdrückende System ohne große Zweifel stützen läßt, herauszuarbeiten.
Keine der Figuren weist besondere Charaktereigenschaften auf, was aber auch gar nicht nötig ist, schließlich will Twain das perfide System entzaubern, welches eben nicht einige Helden (wie Ritter), sondern nur ein generelles Einsehen bewirken kann. Die zentrale Rolle hält zweifellos der Ich-Erzähler, der Yankee aus Connecticut; er ist ein umfassend gebildeter Vorarbeiter aus dem 19. Jh. und hat nichts besseres vor als sich eine einmalige Machtposition mittels fortschrittlichen Techniken aufzubauen und moderne Moralvorstellungen durchzusetzen. Dieses macht er mit großer Arroganz, denn er fühlt sich den Menschen des 6. Jh. weit überlegen. Clarence ist seine rechte Hand, ein aufgeweckter junger Bursche, ehemals der Knappe seines Entführers. Letztlich ist er sogar weiser als der Erzähler. Demoiselle Alisande la Carteloise - Sandy - ist seine Questendame und begleitet ihn auf seiner Abenteuerfahrt. Die junge Frau redet unablässig und gibt manches Mal dem Yankee guten Rat. Obwohl sie sein weiches Herz nicht immer zu begreifen vermag, ist sie für eine Adlige erstaunlich feinfühlig. König Artus selbst ist eine sonderbare Figur - einerseits schaut er sich das Leid, welches per Gesetz den Armen zugefügt wird, völlig teilnahmslos mit an, andererseits vergießt er Tränen, wenn er ein paar an Pocken erkrankten Bauern nicht helfen kann. Wenngleich der Yankee sich bemüht, dem König das Leid verständlich zu machen, so bleibt Artus doch ein stolzer, tapferer und streitlustiger Ritter, der neue Konzepte nicht begreifen kann - ebenso wie der Yankee, der schließlich den Feudalismus nicht vollständig erfassen kann. Auch wenn der König die Essenz des Feudalismus ist, so ist er kein Monster und kann Yankee und Leser mit seiner furchtlosen und kompromißlosen Haltung beeindrucken. Merlin ist der Gegenspieler; er ist ein neidischer, kleiner Taschenspieler, der an seine eigenen Tricks glaubt - dennoch ist er der einzige, der es in letzter Instanz wagt, gegen den Yankee vorzugehen. Die anderen Figuren der Artussage haben ebenfalls mehr oder weniger große Auftritte, wobei sich ihr Charakter an Malorys Le Morte Darthur hält.
Neben der pointierten Darstellung der Härten versucht Twain aber auch die Ritter durch eine veralbernde Darstellung zu entzaubern. Die Ritter der Tafelrunde sind große Jungs, die ohne besseren Grund als "Dich krieg' ich unter!" aufeinander losgehen, einander wilde Lügengeschichten erzählen und sie dann naiv glauben. Dazu gehört die Szene als fünfzig Ritter, nachdem sie eifrig geprobt hatten, nun darauf brennen ihr Können zu zeigen und in voller Rüstung mit angelegter Lanze auf dem Fahrrad dem König zu Hilfe radeln. Die Szenen schwanken zwischen bemüht albern und wahrlich grotesk. Einige Vorstellungen sind sehr komisch und haben deutlich Ähnlichkeit mit einigen Szenen aus Monty Pythons Film Die Ritter der Kokosnuß. Die Einführung vieler moderner Techniken dient einerseits der Herausstellung des Aberglaubens des Mittelalters und andererseits der Herausstellung der Hybris und Borniertheit der Moderne, denn schließlich kann Technik nicht alle Probleme lösen. In einigen Punkten ist die Moderne genauso schlimm, wie das finstere Mittelalter - Twain spielt z.T. darauf an, wenn er die Unterdrückten den Diener des ermordeten Herren helfen das System der Unterdrückung aufrecht zu halten mit den armen Weißen des Südens vergleicht, die für die Sklaverei in den Krieg ziehen, obwohl sie unter dieser Institution zu leiden haben.
Leider ist die Geschichte kaum spannend; neben den komischen und den beschreibenden Teilen sind die, die die Handlung vorantreiben, die langweiligsten.
Sprachlich erlebt man ein Schwanken von altertümlicher Sprache (z.T. zitiert Twain aus Malorys Vorlage) und "modernen" Anachronismen - der Yankee nutzt gerne derbe und flapsige Ausdrücke, sehr zur Verwunderung der umständlich sprechenden Ritter. Twain gelingt es, ein wahres Wechselbad für die Gefühle des Lesers einzulassen.
(rezensiert von: Theophagos)

Wertung
gesamt
Welt
Aufmachung
Sprache
Story
Karte
Personenglossar
Sachglossar
Hinweise zu Sprache/Aussprache
Illustrationen
Zeichnungen/Sonstiges

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Fazit: Ein Yankee stellt König Artus' finsteres Mittelalter auf den Kopf; wer die Ritter der Tafelrunde verhohnepipelt sehen möchte oder nicht weiß, was schlecht am Feudalismus (selbst mit gutem König) ist, der sollte zu diesem Buch greifen.


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