Worum's geht:
Der Zwergen-Ermittler Garep
Schmied muß zusammen mit seinem Assistenten einen Mordfall aufklären:
Ein Komponist wurde ermordet, und alle Indizien deuten darauf hin, daß
sein menschlicher Diener den Mord begangen hat. Garep hat jedoch seine
Zweifel.
Als allerdings ein weiterer Übergriff von Menschen auf Zwerge stattfindet,
kocht die ohnehin geladene Stimmung über: Im Wahljahr der Zwerge,
in denen sie ihren Anführer bestimmen sollen, haben diese Fälle,
die augenscheinlich von den als Flüchtlingen im Zwergenreich lebenden
Menschen begangen wurden, auch politische Bedeutung.
Als Garep endlich eine Verdächtige an der Hand hat, wird ihm der
Fall entzogen.
Derweil laufen im Hintergrund schon längst die Vorbereitungen für
einen Krieg...
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Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Sollte einmal eine Wahl zum unoriginellsten aller Fantasy-Völker
stattfinden, so hätten die Zwerge wohl nicht die schlechtesten Chancen
darauf, den Titel zu ergattern. Seit einst der erste Zwerg tolkienesker
Ausprägung seinen Kopf aus einem Felsenschacht strecken durfte, bevölkern
sie als wandelndes Klischee mit Bart, Spitzhacke und einem Hang zur Derbheit
diverse Fantasywelten. Individuelle Charakterzüge waren meistens
eine Fehlanzeige, man begegnete stets Abgüssen des Urzwergs.
Auch in Thomas Plischkes Zerrissenen Reichen schimmert dieser klassische
Fantasy-Zwerg hin und wieder durch immer dann, wenn seine umtriebigen
Nachfahren auf ihre ferne Vergangenheit blicken. Für Die Zwerge
von Amboss wurde der Klassiker aber konsequent und auf sehr authentische
Art und Weise weiterentwickelt, in eine industrialisierte, säkularisierte
und zutiefst bürgerliche Zwergengesellschaft, so daß man sich
als Leser in einer phantastischen Version des wilhelminischen Zeitalters
wähnt, in dem Zwerge plötzlich einen Alltag und Familien haben
(aber auch Feuerwaffen und Eisenbahn) und beinahe ein wenig beschämt
auf ihre vergangenen Tage als Buddler und Krieger zurückblicken.
Schon diese augenzwinkernde Betrachtung liebgewonnener Klischees spricht
für eine originelle Bearbeitung des Zwergenstoffs (oder auch Rollenspielstoffs,
denn man begegnet noch Halblingen und Elfen, Diebesgilden, höhlenbewohnenden
Ungeheuern und weiteren Ingredenzien, die an rollende Würfel denken
lassen), doch trotz der Anlehnung ans wilhelminische Kaiserreich stechen
vor allem brandaktuelle Themen aus der Romanhandlung hervor: So sind in
diesem Szenario etwa die Menschen aufgrund einer Art verschärfter
Variante der Reformationskriege Flüchtlinge, und die Zwerge sind
wenig angetan von den vielen schmarotzenden Ausländern, die in ihre
Städte strömen. Daß einem bei den Debatten, ob und wie
diese Menschen besser zu integrieren seien, deutsche Politiker diverser
Couleur in den Sinn kommen, ist vielleicht ein unschöner Nebeneffekt,
aber dem Roman tun die unverbrauchten Themen und der Gegenwartsbezug gut.
Daß man solcherlei Konflikte meistens durch die Sichtweise der Zwerge
vermittelt bekommt, macht sie um so interessanter.
Zudem erinnern stets viele liebevoll gestaltete Details daran, es nicht
nur mit kleingeratenen Menschen, sondern einer eigenen, wie gewachsen
wirkenden Kultur zu tun zu haben: Zwergische Bräuche, Sprachbilder
und Eigentümlichkeiten gibt es zu Hauf zu entdecken, alle ideenreich
vom Urzwerg abgeleitet und durch den Fleischwolf einer geschichtlichen
Entwicklung gedreht. Sprachlich sind diese Dinge gekonnt eingebunden,
etwa wenn Körperteile auf zwergisch benannt werden.
Nebst verschiedenen (tatsächlich sehr individuellen) Zwergen, die
Teestuben besuchen, Moden nacheifern oder sich dem traditionalistisch
verweigern und politische Debatten führen, darf man allerdings auch
noch Halblingen, die hier eine Art bürokratische Aufseherkaste stellen
und sich als ein fremdartiges, eigentümliches Volk entpuppen, und
den auf die ein oder andere Weise von ihrer Religion bestimmten Menschen
über die Schultern schauen. Sowohl die Charaktere als auch das politische
Szenario, das im Laufe der Handlung bedenklich ins Wanken gerät,
werden kontinuierlich entwickelt und sorgen dafür, daß es kaum
Leerlauf gibt und Spannung groß geschrieben wird.
Einen Großteil der Faszination dieses Auftaktbandes macht dennoch
das Entdecken der gut ausgearbeiteten Welt aus, hinzu kommt die spannende
Mischung aus Krimi-Elementen, politischer Verschwörung und eines
sich anbahnenden Konflikts zwischen Glauben und Vernunft. Nachdem die
Handlung mit Garep Schmied anfangs vor allem auf eine Figur setzt, die
sich nahe am Hardboiled detective bewegt ein desillusionierter
Ermittler mitsamt verlorener Liebe, halb geheimen Süchten und Schnüfflermentalität
dreht der Plot später eher in die Abenteuer- und Thrillerecke
ab, in der einige Charaktere nicht ganz so gut auftrumpfen können.
Zusammen mit dem Nachlassen der entdeckerischen Aha-Effekte ergibt sich
ein für das interessante Szenario doch etwas konventionelles Ende,
das leider auch mehr als offen bleibt. Ähnliches geschieht in einem
zweiten Handlungsstrang rund um medizinische Experimente an den Insassen
einer Heilanstalt, der beeindruckend beginnt und mit einem Traum aufwarten
kann, der zu den stärksten Szenen des Romans zählt, dessen Ende
aber vorhersehbar ist und den Erwartungen nicht ganz gerecht wird.
Doch selbst wenn die Spannungskurve zum Ende hin etwas abflacht, liegt
doch ein Roman vor, der gleichzeitig ein hohes Tempo und einigen Tiefgang
an Themen und Charakteren und durchaus auch Humor zu bieten
hat. Da sich der Wirkungsradius der Handlung in den finalen Szenen erhöht,
darf man gespannt erwarten, was es im nächsten Band zu entdecken
geben wird und wie die vielen, teilweise erst ansatzweise eingebrachten
Themen fortgeführt werden.
Die Zwerge sind also vollends rehabilitiert!
(rezensiert von: mistkaeferl)
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