Worum's geht:
Techniker Zhang ist schwul. Das ist im Zweite-Welt-Land Amerika strafbar,
in China, der Schirmherrin Amerikas, werden Homosexuelle zum Teil sogar
hingerichtet. In Episoden, die aus einem Zeitraum von vier Jahren stammen,
wird das Leben Zhangs und einiger weiterer Personen, deren Leben er berührt,
in dieser fortschrittlichen Welt erzählt. Es wird geschildert, wie
er seine Arbeit verliert, weil er die San-xiang, die Tochter seines Vorgesetzten,
nicht heiraten will; wie er einen deprimierenden Job auf Baffin Island,
jenseits des Polarkreises gelegen, annehmen muß und schließlich
in China landet um Bauingenieur zu werden.
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Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Die Geschichte spielt im 22. Jh. auf einer Parallelwelt, doch die Unterschiede,
die zu dieser Annahme führen, sind nur kosmetischer Natur (z.B. findet
der Zusammenbruch der Sowjet Union im frühen 21. Jh. statt). Die
Schauplätze sind sehr unterschiedlich, New York, Baffin Island, Jerusalem
Ridge auf dem Mars, Nanjing und Wuxi in China. New York ist heruntergewirtschaftet,
viele Gebäude sind noch aus dem 20. Jh. - und dieses sind zumeist
die besseren, denn neuere Gebäude haben zum Teil in den oberen Stockwerken
kein fließend Wasser. Nach der "Großen Läuterung"
ist Amerika ein sozialistisches Land geworden - die Kapitalisten sind
allerdings rehabilitiert - und der Staat organisiert die Grundbedürfnisse
und verteilt die Arbeit. Dieses alles aber zumeist auf einem niedrigen
Niveau, wer mehr will, muß sich auf dem Freien Markt behaupten.
Alleine wohnt fast niemand, da der Wohnraum exorbitant teuer ist - ein
Luxus, den sich Zhang gönnt, allerdings ist seine Wohnung eine kleine
Bruchbude, in der er sich nur zum schlafen aufhält. Üblich ist
das Leben in Kommunen, sich selbst organisierenden Verwaltungseinheiten
auf wirtschaftlicher und politischer Basis. In New York ist Homosexualität
strafbar, aber sie wird selten geahndet, auf Coney Island läßt
man die Homosexuellen sogar weitgehend gewähren. In China ist das
Leben ganz anders; Homosexuelle kommen in ein Umerziehungslager oder werden
gleich per Genickschuß hingerichtet. Auch wenn die Bürger nicht
scharf überwacht werden, geht man mit diesem "Verbrechen"
nicht lax um. Technologisch ist China viel weiter entwickelt; während
in New York nur passive Systeme, in die man sich aktiv einklingen muß
- wie ein Bibliothekscomputer, der auf Anfragen Daten herausgibt, direkt
ins Bewußtsein gespeist - existieren, sind in Wuxi aktive Systeme,
die sich selbst einklinken üblich - wie ein Gebäudekomplex,
der die Bedürfnisse der Anwesenden überprüft und entsprechend
reagiert, z.B. die Temperatur so regelt, daß einem nicht zu warm
und nicht zu kalt ist.
Das Leben auf dem Mars ist viel härter, es gibt nur wenig Land, nur
wenige, veraltete Geräte, aber es gibt auch weniger Vorschriften
- die Kommunen entscheiden selbst wie sie verfahren wollen. Aber auch
hier sind nicht alle gleich - die Mächtigsten sind die alteingesessenen
Pächter - aus ganz pragmatischen Gründen, wie sie versichern,
denn die Pächter müssen sich um ihre Pacht kümmern und
können daher wenig anderes machen (als andere an die Polkappen abzukommandieren).
Die insgesamt neun Episoden werden von fünf unterschiedlichen Ich-Erzählern
bestritten, Zhang Zhong Shan Rafael erzählt in fünfen von seinem
Leben, so daß diese ein wenig Ähnlichkeit mit einem Entwicklungsroman
erhalten. Er ist das Kind einer Spanierin und eines Chinesen, seine Eltern
haben seine Gene manipulieren lassen, so daß er als ABC - American
Born Chinese (oder Another Bastard Chink,
wie die Langnasen sagen) - durchgeht, immer am Bangen, das er keine Genanalyse
durchhalten muß und auffliegt. Außerdem ist er schwul. Wie
er feststellen wird, ist er ein echter New Yorker, es zieht ihn immer
wieder in diese Stadt, auch wenn sie das letzte Loch ist, und er anderswo
deutlich bessere Chancen hätte. Er geht Problemen gerne aus dem Weg
- andere halten dieses leicht für Höflichkeit. Auch wenn er
sich vieles vornimmt, mangelt es ihm an Disziplin, er wird nachlässig
und dann depressiv. Alles in allem ist er ein aufgeweckter, sympathischer
junger Mann.
Auch die anderen Episodenerzähler, von denen jeder nur eine erzählt,
sind liebenswerte, alltägliche Menschen mit Macken und Stärken;
da ist Engel, die Cyberdrachen fliegt - ihr Model ist zu alt - und mit
diesen lebensgefährlichen Profisport ihren Unterhalt finanziert;
Martine, eine ehemalige Armeeoffizierin, die Pächterin auf dem Mars
ist und nicht länger alleine sein mag; Alexi, ein alleinerziehender
Vater, der häufig - zu häufig - umgesiedelt wurde und schließlich
auf dem Mars landet und San-xiang, eine junge Frau, die aufgrund eines
Gen-Defektes ein unglaublich häßliches Gesicht hat; nach einer
Schönheitsoperation will sie endlich ein normales Leben führen
und nicht immer mitleidig behandelt werden. Daneben tauchen noch viele
weitere Figuren auf, die alle interessant und glaubwürdig sind.
Die Episoden erzählen vom Alltag der Figuren, in dem allerdings nicht
immer Alltägliches geschieht. So erfährt der Leser viel über
die Möglichkeiten der aktiven Systeme in China, die Krankenhauspatienten
in die richtige Stimmung versetzen, Hochgefühle beim illegalen Glücksspiel
auslösen und den großen Komplexen, in denen der Mensch quasi
als Sinnesorgan des gesamten Körpers fungiert, aber auch davon, wie
Zhang in eine Razzia gerät und flüchten muß - die Hinrichtung
droht. Wer nach echten Helden oder großen Aufgaben sucht wird hier
allerdings enttäuscht.
Sprachlich ist das Werk sehr gut, es gelingt der Autorin die Stimmung
der Szenen und Emotionen der Protagonisten eindringlich zu schildern;
so ist einem die neue San-xiang auf Anhieb unsympathisch, man sieht jedoch
schell, in welche Falle sie zu laufen droht - und man gönnt es ihr
nicht.
Wenn es ein Manko hat, dann ist es das fehlende Etwas, es fehlt
einfach der Funke Genialität um das Buch perfekt zu machen.
Wer nach Fantasy im engeren Sinne sucht, sollte dieses Buch meiden; es
enthält viele Elemente von guter Science Fiction, mit Zhangs Episoden
die eines Entwicklungsromans, ist aber auch gute Social Fantasy - nur
eben ohne Magie.
(rezensiert von: Theophagos)
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