Bewertet mit Sternen
(Besucher-Rezension):
Todestag:
Der deutsche Kriegsflüchtling Ernst Wagner macht in London die Bekanntschaft
eines Okkultisten, der behaupted den Tod überlisten zu können,
indem man ihm zuvorkommt. Nach dessen Selbstmord und vermeintlichem Wiederauftauschen
versucht Wagner mit Hilfe alter Aufzeichungen und einer sonderbaren Maschine
ebenfalls seinen Todestag vorauszusagen, in der Absicht diesen vor zu
verlegen.
Eine wunderbar altmodische Geschichte mit einem, zwar vorhersehbaren,
aber dennoch schönen Twist am Ende.
Der adressierte Junge:
Sebastians Vater ritzt ihm eine Adresse in Kanada in die Stirn um ihn
bei Ungehorsam dorthin zu verschicken. Nach einem brutalen Streit der
Eltern reagiert Sebastian so, wie er es tagtäglich sieht.
Ein - leider nur wenig - überspitztes Spiegelbild vieler Familien.
Boris Koch gelingt es meisterhaft, die Ereignisse durch die unschuldigen
Augen von Sebastian zu filtern, was die Wirkung noch wesentlich verstärkt.
Schmunzelt man zu Anfang noch über das "Verschwinden" von
Sebastians Schwester, bleibt einem das Lachen bald im Hals stecken. Trotz
ihrer Kürze überraschend zupackend, brutal und eindringlich
aber nicht hoffnungslos.
Poteideia:
Ein Griechenlandtourist entdeckt während einer Zugfahrt einen verlassenen
Bahnhof und scheitert daran, diesen Ort wieder zu finden.
Die Geschichte läßt sich viel Zeit zur Entwicklung und auch
nach Abschluß steht der Leser so betäubt und ratlos da wie
unser Reisender.
Surreal und blumig im positiven Sinne. So leichtfüßig und entspannend,
dass man nach Abschluß erstmal daraus "aufwachen" muß.
Man glaubt während der Lektüre wirklich die Sonne Griechenlands
zu spüren. Ganz großes Kompliment.
Aus den Reisenotizen des Jonathan Mommsen:
Ein schöner Zweiseiter, der wohl als Gleichnis auf das Sicherheitsbedürfnis
unserer Kultur und auf die "Freiheit im Rahmen der Möglichkeiten"
zu verstehen ist.
Die Mutter der Tränen:
Nach dem Tod des Sohnes erscheint dessen Vater wiederholt eine geisterhafte
Madonna die ihn immer mehr in ihren Bann zieht.
Auch hier wird Boris Kochs Einfühlungsvermögen wieder überdeutlich.
Man beachte die alltäglichen Schilderungen des Familienlebens. Ebenso
die absolut nachvollziehbaren Verhaltensweisen der Familienmitglieder
nach Thomas' Tod. Auf dieser äußerst realistischen Basis wird
eine phantastische Geschichte aufgebaut, die durch den Kontrast um so
erschreckender ist. Es bleibt unklar, ob das Erscheinen der Madonna wirklich
ist oder lediglich im Kopf von Thomas' Vater stattfindet.
Jenseits aller gängigen Horrorfiguren und -klischees bietet "Der
adressierte Junge" einen schönen Querschnitt aus leicht (Todestag)
und schwer (Der adressierte Junge) verdaulicher Kost. Das ist natürlich
im besten Sinne zu verstehen.
Boris Koch gilt zu recht als Autor, der in die Tiefe seiner Figuren eindringt
und diese dem Leser so nahe bringt. Manchmal unangenehm nahe. Aber auch
dafür ist Phantastik da.
Ich kann dieses Buch nur jedem empfehlen, der sich nicht nur durch Vampire
und Monster "berieseln" lassen will. Sehr gut und sehr schnell
zu lesen und trotzdem mit nachhaltiger Wirkung.
Drei der fünf Geschichten wurden zuvor schon veröffentlicht.
Leider kenne ich die Originale alle nicht, so daß ich nicht vergleichen
kann. Es ist schön, daß die Stories für veröffentlichung
bei Eloy Edictions überabeitet wurden und hier keine plumpe Zweitverwertung,
wie an vielen anderen Stellen, stattfindet.
Das Cover, sowie das Logo von Eloy Edictions wirken etwas überholt.
Das könnte man sicherlich noch moderner gestalten. Das sollte allerdings
nicht der Grund sein, das Buch liegen zu lassen.
Noch ein Wort zum Verlag Eloy Edictions, der gerade seinen Einstand gegeben
hat.
Sieht man sich die Webseine www.eloyed.com
an, wird klar, dass der Verlag Großes vor hat. Eine Planung bis
2009 ist dort zu finden, darunter etliche Gewinner von Phantastik-Awards
aus Übersee, sowie vielversprechende deutsche Autoren.
Man kann diesem Verlag nur viel Erfolg wünschen, und das sich die
Pläne für die Zukunft verwirklichen lassen.
(rezensiert von: Greyshirt)
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