BAUDOLINO

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1 Rezension
-Regenspurg Anno Domini MCLV Chronik des Baudolino aus dem geschlecht der Aulari
ich Baudolino sohn des Galiaudo von denen Aulari mit einem haupt alswî ein leu halleluja Dank sei dem Herrn der mir möge vergêben.-
1. Kapitel Baudolino beginnt zu schreiben
Zyklus/Band -
Autor Umberto Eco
Original Baudolino
Erscheinungsjahr 2000, dt. 2001
Verlag Carl Hanser
ISBN 3-446-20048-7
Subgenre Pseudo-historisch
Seitenzahl 598
Probekapitel -
Worum's geht:
Der junge Baudolino erzählt Friedrich Barbarossa, daß ihm San Baudolino in einer Vision erschienen sei und prophezeit habe, daß Friedrich die Stadt Tortana erobern werde. Der Junge erzählt diese Lüge, um ihm eine Freude zu machen. Dieses gelingt, denn der deutsche König braucht dringend ein Wunder um die Moral der Seinen zu heben und die der Feinde zu schwächen. Nach der Eroberung der Stadt wird der junge Italiener von Friedrich adoptiert. Von seinem ersten Erzieher, dem Bischof Otto, hört er vom wunderbaren Reich des Priester Johannes und von Ottos Nachfolger Rainald erhält er den Auftrag, einen Brief des Priesters an Friedrich zu fingieren um diesen von der Dominanz des Papsttums zu befreien. Zusammen mit seinen Pariser Studienfreunden nimmt er sich damit eines Themas an, welches sein Leben prägen wird...

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Die Geschichte beginnt im mittleren 12. Jh. und endet im frühen 13. Jh. Baudolino stammt aus Norditalien und die italienischen Städte spielen eine große Rolle, denn immer wieder muß Friedrich Krieg gegen sie führen um sie botmäßig zu machen. Doch auch in Paris und dem byzantinischen Konstantinopel geschehen bedeutsame Ereignisse. Die Mentalität und Kultur der verschiedenen Menschen sind überaus bedeutsam für ihr Verhalten und dazu angemessen umgesetzt. Manchmal ergeht sich Eco allerdings in Details, die etwas ermüdend wirken können, so wenn er etwas zum wiederholten Mal ausführlich schildert, mit welchen Genüssen Niketas seinen Gaumen erfreut.
Es gibt unzählige Figuren, denen in sehr unterschiedlichen Maße Bedeutung zukommt. Im Zentrum steht Baudolino, es gibt kein Kapitel, in dem es nicht um ihn geht. Zu Beginn ist er ein junger Bauernsohn aus der Frascheta. Zwei Dinge zeichnen ihn aus: Eine große Anpassungs- und Lernfähigkeit zum Einen, so ist er z.B. dazu in der Lage eine Fremdsprache zu erlernen, wenn er sie eine zeitlang hören kann, und zum Anderen eine große Fabulierlust gepaart mit viel Überzeugungskraft - er weiß immer die richtige Lüge zum richtigen Zeitpunkt, ob dieses nun durch List oder Fälschung oder sonst eine Täuschung zum Ausdruck gebracht wird. Doch er ist nicht selbstsüchtig und scheut Gewalt, seine Lügen dienen immer irgendeinem selbstlosen Zweck (sagt er). Am Ende ist er schließlich eine alter Mann, der auf die Erfolge und Fehlschläge in seinem Leben zurückblickt. Eine weitere grundlegend wichtige Figur ist der byzantinische Chronist Niketas Choniates, dem Baudolino seine Geschichte erzählt. Die beiden sind die einzigen, über deren Gedanken der Leser etwas aus erster Hand erfährt, über die Ansichten und Motive aller anderen muß gemutmaßt werden (selbst, wenn diese sie deutlich vernehmlich verkünden). Dennoch sind die anderen keineswegs flache Figuren, sie sind alle plausibel und lebendig geschildert, im Laufe der Jahre merkt man ihnen sogar mehr oder weniger stark einen Wandel an. Um nur ein paar zu erwähnen, seien hier einige der wichtigsten Figuren genannt: der Poet, ein deutscher Adliger, dessen Name in Vergessenheit geriet, er ist machthungrig und sein Appetit steigert sich im Laufe der Zeit; Abdul, Kind eines in der Levante lebenden Provinzialen und einer Irin, der ein begnadeter Sänger ist, er ist auf der Suche nach einer fernen, illusionären Liebe; Zosimos, ein griechischer Mönch, der vielleicht ein noch besserer Lügner als Baudolino ist, er weiss am Ende seinen Vorteil aus jeder Situation zu schlagen; und natürlich Baudolinos Adoptivvater Kaiser Friedrich, der seinen Sohn für dessen Offenheit schätzt und das Kaiserreich stark und würdig halten muß.
Später begibt sich Baudolino auf die Suche nach dem Reich des Priester Johannes, ein sagenhaftes, mächtiges, christliches Königreich weit im Osten. Auf dem Weg dorthin wird es immer phantastischer, er begegnet Kannibalen, Chimären, Mantikoren, muß einen reißenden Strom aus Steinen überqueren, der nur am Sabbat stillsteht, und die Finsternis von Abkasia durchstehen. Er begegnet den Monstren, Menschen mit einem Bein, Menschen ohne Kopf, Menschen mit dem Penis an der Brust und einigen Absonderlichkeiten mehr. Die magischen Elemente sind unterschiedlichen Quellen entnommen, wie Isidor von Sevillas Kompilation antiker Berichte über Indien und Umgebung oder Marco Polos Reisebericht, der phantastische Lügen einflechten mußte, damit seine wahren Teile geglaubt wurden. Die mit den Kranichen im Krieg liegenden Pygmäen tauchten schon in Homers Ilias drittem Gesang auf. Wer groteske und bizarre Wesen und Orte schätzt, der kommt hier auf seine Kosten.
Es werden mehrere Geschichten zugleich erzählt. Zunächst liest man von Baudolino, der den Chronisten Niketas aus der Hand von wütenden, plündernden Kreuzfahrern rettet, die 1204 n. Chr. die christliche Stadt Konstantinopel für die Venezianer erobern und plündern, um Schulden zahlen zu können. Dem Niketas nun erzählt Baudolino seine Lebensgeschichte. Man erfährt von seiner Heimat, wie er von Friedrich adoptiert wurde, wie er in Paris studiert und wie er immer wieder versucht dem Kaiser, der seine Größe in einem provinziellem Kleinkrieg mit den italienischen Städten zu verlieren droht, mit Lügen zu helfen. Man liest von Baudolinos Liebe und seinen Freundschaften. In diese Schilderung geschickt verpackt ist ein farbenfrohes Sittengemälde, das versucht die Mentalität, die auf den modernen Menschen zunächst bigott wirkt, verständlich zu machen. Der für Freunde der Phantastik interessante Teil befaßt sich mit Fälschungen von Dokumenten und dem Reisebericht. Baudolino schreibt einen Brief von Priester Johannes an Kaiser Friedrich, in dem er die Wunder seines Landes beschreibt. Doch niemand sieht dieses als Fälschung - das Land gibt es ja wirklich, sonst hätten so große Autoritäten nicht davon berichtet, und wenn der Priester vom Kaiser wüßte, dann würde er ihm schreiben. Daher verwirklicht man nur, was sowieso wahr ist. Es ist eine Verschwörungsgeschichte (und hat z.T. Ähnlichkeit mit Ecos Buch Das Foucaultsche Pendel), es ist Pseudo-Historisch, denn einige Ereignisse werden neu ausgelegt, und es ist Historische Fantasy/Mythische Fantasy - alles soweit der Leser dem Lügner Baudolino zugesteht, die Wahrheit zu sagen. Hier liegt der Reiz der Geschichte, man könnte leicht dem Chronisten Niketas folgen und alles für eine Lügengeschichte halten - doch der Leser weiß mit Sicherheit nur, daß Niketas lügt, ob Baudolino Niketas belügt, weiß er nicht.
Baudolino ist vom Stil her nicht besonders ästhetisch, aber Eco (und seinem Übersetzer) gelingt es, eine perfekte Mischung zwischen mittelalterlichem Sprachduktus und moderner Sprache zu finden, es gelingt ihm, allen Figuren einen eigenen, angemessenen Sprachstil zu verleihen, auch wenn die Unterschiede nicht immer sofort deutlich werden.
(rezensiert von: Theophagos)

Wertung
gesamt
Welt
Aufmachung
Sprache
Story
Karte
Personenglossar
Sachglossar
Hinweise zu Sprache/Aussprache
Illustrationen
Zeichnungen/Sonstiges

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Fazit: Eco überläßt es dem Leser ob er eine Verschwörungsgeschichte, Pseudo-Historisches, Historische Fantasy oder bloß eine Lügengeschichte erzählt bekommt; er ist aber in jedem Fall eine kenntnisreiche und detaillierte Darstellung der Mentalität der Menschen dieser Zeit - amüsant ist es obendrein.


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