Bewertet mit Sternen
(Besucher-Rezension):
Die Rahmenhandlung beginnt mit einem nicht weiter zu beachtenden Reporter,
der für eine alljährliche Zeitungsserie Marke: "Die unerklärlichen
Mysterien von Neu England" recherchiert. Von den eigentlichen Haupfiguren
des Romans, einem Provinzredaktuer im Rentenalter samt Freund und Praktikantin,
wird er mit den allseits bekannten und ewig wiedergekäuten lokalen
Schauermärchen abgespeist. Das Problem dieser "unerklärlichen"
Geschichten ist, nach Meinung der Protagonisten, dass dazu eben stets
eine "zwingende" Erklärung angeboten wird. So wurden die
Mitglieder des Kirchenpicknicks bestimmt aus Rache über die Zurückweisung
der Gemeindesekretärin durch den Pastor vergiftet und die geheimnisvollen
Küstenlichter waren möglicherweise doch Wolkenreflektionen.
Ins Schwärmen gekommen erzählen die beiden schlitzohrigen Alten
ihrer jungen Zuhörerin vom tatsächlich ungeklärten Fall
des "Colorado Kid". Dabei handelt es sich um eine männliche
Leiche, die 25 Jahre zuvor von zwei Jugendlichen auf dem Schulweg entdeckt
wurde. An einer Mülltonne sitzend, erstickt an einem Stück Fleisch.
Die hartnäckigen Nachforschungen zweier Reporter und eines Gerichtsmediziners
ergaben, dass der Mann den Weg von seinem letzten bekannten Aufenthaltsorts
in Denver, Colorado, bis zur ersten Sichtung in einem Restaurant am selben
Abend in Maine (ca. 3.500 km Strecke) in einer unmöglich kurzen Zeit
zurückgelegt haben muß. Natürlich werden alle denkbaren
Wege, wie z.B: ein wartendes Auto zum Flughafen, ein wartendes Flugzeug,
usw. bemüht. Dennoch scheint die Reise unmöglich in der gegebenen
Zeit zu bewerkstelligen.
An sich ein Thema, aus dem man einen ansprechenden Mystery-Thriller hätte
basteln können. King verbleibt allerdings durch ständige Unterbrechung
der Erzählhandlung bei den Erzählenden in der Gegenwart, statt
sich vollständig auf die Vergangenheitshandlung mit dem toten Fremden
einzulassen. Mit Konzentration auf die beharrlich recherchierenden Journalisten
wäre ein ungewöhnlicher Thriller möglich gewesen, bei dem
es schließlich wirklich unbedeutend wäre, ob der Fall des "Colorado
Kid" geklärt wird oder nicht. So bleibt eine halbgare Novelle,
die sich in der Rahmenhandlung aufhält ohne vom Fleck zu kommen.
Den Versuch, die Ansichten seiner Figuren, nämlich dass die allseits
bekannten unerklärlichen Geschichten allzu leicht zu erklären
sind, in der Storykonstruktion widerzuspiegeln, halte ich für löblich.
Leider krankt die Geschichte eben genau daran, dass keine Auflösung
angeboten wird. Der Rest der Story ist zu unbefriedigend, um wirklich
zu begeistern.
Da die Geschichte von King ist, wird auch unnötigerweise noch eine
Prise Mystizismus verabreicht. Diese besteht aus mehreren, einzeln betrachtet
belanglosen Handlungen, die der Fremde vor seinem Tod noch begangen hat.
Zusammengenommen sollen diese Kleinigkeiten nahelegen, dass der Fremde
von seinem bevorstehenden Tod wußte.
Insgesamt wirkt die Story, als sollte die Figur des "Colorado Kid"
in einem anderen Roman eine Fußnote sein und King spendierte aus
lauter Begeisterung über sich selbst aber doch eine Novelle. Besser
wäre die Geschichte in einer Novellensammlung ähnlich Frühling,
Sommer, Herbst und Tod aufgehoben, wo sie nicht gänzlich allein
(be)stehen muß.
In den USA ist die Novelle tatsächlich als Reihe der Hard Case
Crimes erschienen, innerhalb derer verschiedene Autoren je eine Kriminovelle
im Stil der klassischen Schwarze-Serie-Krimis beisteuern.
Anscheinend hat sich Ullstein wenig von dem Buch versprochen. Es ist relativ
lieblos gleich als Taschenbuch mit einem zusammenhanglosen 08/15-Cover
erschienen.
(rezensiert von: Greyshirt)
|
|
|