DER FUNKE DES CHRONOS

Anderer Meinung?

Dieses Buch für Bibliotheka Phantastika rezensieren:
Mitarbeiter gesucht

Berwertungsschlüssel:

5 Sterne = spitze
4 Sterne = gut
3 Sterne = geht so
2 Sterne = unbefriedigend
1 Stern = übel
Wertung: 4 1/2 von 5
1 Rezension
-Die Knochen splitterten wie brüchiges Glas, als die Droschke über den Katzenkadaver rollte. Soeben läutete das Uhrwerk der Michaeliskirche zur zwölften Nachtstunde. Mit dem zweiten Glockenschlag wurde der ausgedörrte Tierleib emporgewirbelt und landete auf dem schmalen Trottoir der Admiralitätsstraße, die bis hinunter zum Schaarthor mit Abfällen übersät war.-
(Menetekel, Hamburg 1842, Nacht des 2. Mai, 4 Minuten nach Mitternacht)
Zyklus/Band -
Autor Thomas Finn
Übersetzung -
Erscheinungsjahr 2006
Verlag Piper
ISBN 3-492-70128-0
978-3-492-70128-0
Subgenre Pseudo-Historisch, Phantastik
Seitenzahl 412
Probekapitel -
Worum's geht:
Der Medizinstudent Tobias bekommt die Möglichkeit, mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit Hamburgs zu reisen. Der seltsame Apparat stoppt seine Reise wider die Naturgesetze im Mai des Jahres 1842. Eine unheimliche Mordserie erschüttert gerade die alte Hansestadt, und Tobias landet just in der Nähe eines Karrens, auf dem eine grausam zugerichtete Leiche liegt. Der Tote soll in einen Kanal geworfen werden, als Tobias durch sein plötzliches Auftauchen denjenigen stört, der gerade mit der Beseitigung des Toten beschäftigt ist. Die Ereignisse überschlagen sich und als Tobias einen Tag später den Ort aufsucht, an dem er die Zeitmaschine zurücklassen musste, ist sie verschwunden. Auf der Suche danach gerät er ins Visier des Mörders, und stößt bei seinen weiteren Nachforschungen auf den Dichter Heinrich Heine. Heine ist überzeugt davon, von einem der Handlanger des Serientäters bestohlen worden zu sein, und Tobias vermutet bei dem Täter das Wissen, wo sich die Zeitmaschine befindet. So werden Heinrich Heine und Tobias zu unfreiwilligen Verbündeten und versuchen nun gemeinsam ihr Eigentum zurückzubekommen und herauszufinden, was hinter den grausamen Morden steckt…

Bewertet mitSternen (Besucher-Rezension):
Johann Wolfgang von Goethe einmal persönlich die Hand schütteln… in vergangene Zeiten eintauchen und große Ereignisse der Weltgeschichte hautnah miterleben… Wer hat nicht schon einmal davon geträumt…
Genau diese Möglichkeit bekommt der junge Medizinstudent Tobias. Über sich und seine Herkunft weiß er nichts: Als Junge wurde er auf den Stufen der Michaeliskirche in Hamburg gefunden. Er konnte sich an nichts erinnern, was vorher in seinem Leben geschehen war, und besaß auch keinerlei Papiere. An Weihnachten wird ihm jedoch jedes Jahr wieder bewußt, daß es wohl doch jemanden geben muß, der an seinem Schicksal Anteil zu nehmen scheint, denn er erhält immer ein anonym abgeschicktes Paket mit einem kleinen Geschenk.
In diesem Jahr bekommt er auf diesem Weg einen geheimnisvollen Kristallstab zusammen mit einer CD. Auf dieser stellt ihm sein unbekannter Gönner in Aussicht mehr über sich und seine Herkunft zu erfahren, wenn er sich mit diesem Stab zu einem bestimmten Uhrenladen begibt. Tobias ist zunächst skeptisch, doch schließlich siegt die Neugier. In dem Geschäft angekommen überschlagen sich die Ereignisse und Tobias findet sich bald darauf im Frühling des Jahres 1842 in Hamburg wieder.
Thomas Finn arbeitet mit einem Handlungsstrang, der sich mit hohem Tempo vor dem Leser aufrollt, und in zwei Zeitebenen unterteilt ist: Die Geschichte beginnt zunächst im Jahr 1842, danach wird Leser in den nächsten drei Kapiteln in die Gegenwart (in das Jahr 2006) versetzt, um dann mit der Feststellung Tempus fugit wieder ins Jahr 1842 zurückzukehren.
Finn ist es - vor allem auf Grund der gründlichen Recherchen in den Archiven und Bibliotheken seiner Wahlheimat Hamburg - sehr gut gelungen, ein stimmiges Bild der Hansestadt zur Biedermeierzeit zu zeichnen. Die Geschichte entführt den Leser in die Tage kurz vor und nach dem Ausbruch des Großen Brandes in der Nacht zum 5. Mai 1842. Die verheerende Brandkatastrophe brach in einem in der Deichstraße gelegenen Speicher aus und äscherte im Verlauf von vier Tagen nahezu das gesamte damalige Stadtzentrum ein. Dieser schreckliche Brand, dessen Ursache ist bis heute nicht geklärt ist, hat Hamburgs Stadtbild für immer verändert und der Autor hat diese Tatsache geschickt genutzt, um seine Erklärung dafür zu finden und sie hier erzählen...
Das historische Hamburg mit seinen windschiefen Holz- und Fachwerkhäusern, seinen winkligen Gassen und verruchten Ecken ist äußerst lebendig gestaltet und die Menschen, die diese Straßen, Gassen und Marktplätze bevölkern, sind mit wenigen gut gewählten Worten treffend geschildert. Gerade an den Nebenfiguren merkt man, wie viel Liebe in der Gestaltung des Romans steckt: Der Autor gibt seiner Geschichte nämlich noch zusätzlich Authentizität, in dem er vor allem in der wörtlichen Rede Dialekte benutzt, und da die Handlung in Hamburg und Umgebung angesiedelt ist, wird häufig das Hamburger Platt verwendet. Dadurch wirken die sozialen Milieus deutlich näher, als durch eine durchgängige Verwendung der hochdeutschen Schriftsprache: Jochen Borchert beispielsweise, ein Offiziant im Polizeidienst (er ist entscheidend in den Handlungsverlauf eingebunden), war vor seinem Amtsantritt bei der Polizei Nachtwächter. Wer Nachtwächter werden wollte, brauchte keine besondere Ausbildung vorzuweisen… Kutscher waren auch nicht eben weit oben auf der gesellschaftlichen Leiter angesiedelt und kamen in der Regel ebenfalls aus einfachen Verhältnissen… nicht zu vergessen wären da noch die Schausteller, Gefängniswärter, Gauner, Schankwirte, Dirnen und Hafenarbeiter, die im Verlauf der Geschichte die Schauplätze bevölkern, und ebenfalls kaum ein Wort Hochdeutsch reden. Im Gegensatz dazu sprechen die Bürger der gehobenen, gebildeten Schichten in der Regel ein klares Hochdeutsch.
Gerade die Dialektpassagen verleihen den einzelnen Situationen eine Wirklichkeitsnähe, die mit der Verwendung der hochdeutschen Schriftsprache nicht richtig wiedergegeben werden könnte: Jochen Borchert wird von Finn als Mann einfachen Gemüts skizziert, mit einem beachtlichen Leibesumfang, der auf seine Umgebung nicht den cleversten Eindruck macht. Wenn er jedoch seine Beobachtungen, die er im Hintergrund macht, mit einer Bauernschläue, die man bei seiner Charakterbeschreibung erst einmal nicht erwartet hätte, kombiniert und dann opp platt zum Besten gibt, so dass sein Vorgesetzter nur baff erstaunt sein kann ob so viel Scharfsinn, dann wirkt das alte Hamburg - mit Hilfe der im Dialekt verfaßten wörtlichen Rede - zum Greifen nahe. Es kommen noch andere Dialekte vor und Leser, die mit ihnen nicht vertraut sind, könnten mit diesen Textpassagen evtl. Schwierigkeiten haben, aber geschriebenes "Platt" (oder die anderen Dialekte) lassen sich, auch ohne "Sprachkenntnis" ganz gut entziffern und wenn Wörter wirklich für Außenstehende nicht mehr zu verstehen sind, werden sie vom Autor in einer kleinen Fußnote erklärt.
Thomas Finn scheint seine Wahlheimat wirklich zu lieben - denn dieses Buch ist eine einzige Liebeserklärung an die alte Kaufmannsstadt, aber auch eine Hommage an den britischen Schriftsteller H. G. Wells: Die Beschreibung der Zeitmaschine zu Beginn der Geschichte kommt jedem sofort bekannt vor, der den Film Die Zeitmaschine aus dem Jahr 1960 gesehen, oder vielleicht sogar Wells 1904 erstmals auf deutsch erschienenes Buch gelesen hat. Der Kreis von den Ereignissen im Hamburg des Jahres 1842 zu H. G. Wells 1898 entstandenen Roman schließt sich erst im Epilog, als Wells an einem regnerischen Tag in London einen Trödelladen betritt…
(rezensiert von: Katerchen)

Wertung
gesamt
Welt
Aufmachung
Sprache
Story
Karte
Personenglossar
Sachglossar
Hinweise zu Sprache/Aussprache
Illustrationen
Zeichnungen/Sonstiges

Buch gemocht? Vielleicht gefällt dann auch...

Der Kuss der Russalka

Fazit: Eine spannende Zeitreise ins Hamburg der Biedermeierzeit. Mit viel Liebe zum Detail erzählt.


©mistkaeferl 2002-07. Es ist nicht gestattet, diese Seiten in fremden Framesets darzustellen oder Inhalte anderweitig zu veröffentlichen. Zum Impressum