Bewertet mit Sternen
(Besucher-Rezension):
Wer einmal E.A. Poe gelesen hat, der kennt seinen unverwechselbaren Schreibstil.
Sowohl im Englischen als auch im Deutschen besticht er mit seiner Kunst,
die (Ur)Ängste im Menschen hervorzurufen und festzuhalten. Und das
schaffen seine Geschichten auch noch in einem Zeitalter, in dem einige
Menschen, dank Horrorfilmen und Stephen King, so leicht nichts mehr erschreckt.
Poe verzichtet weitestgehend auf blutige Szenarien und wildes Gemetzel.
Vielmehr hält er den Leser in atemberaubenden "Momentaufnahmen"
fest. Zwar sind die Geschichten kurz, dennoch schafft der Autor einen
so gewaltigen Spannungsbogen, dass es dem Leser eine dauerhafte Gänsehaut
beschert.
Beispiel: Die Geschichte Grube und Pendel handelt von einem zum
Tode verurteilten Mann, der nach seiner Urteilssprechung ins Koma fällt,
ohne jedoch völlig das Bewusstsein zu verlieren. Dämmerhaft
bemerkt er, dass er mehrere Treppen hinab getragen wird und schließlich
auf dem Boden einer dunklen Grube allein gelassen wird.
Mit dieser Erzählung entblößt Poe gnadenlos seine sadistische
Ader. Und wie in fast allen seiner Geschichten quält er auch hier
den Protagonisten bis zum bitteren Ende - eher psychisch als physisch.
So ertastet der Ich-Erzähler eine Wand im dunklen Loch, in dem er
sich befindet, und stellt fest, dass die Grube rund ist. Als er deren
Durchmesser anhand von Schritten ermitteln will, stolpert er und muss
mit Entsetzen erkennen, dass in der Mitte ein tiefes Loch klafft, in das
er beinahe gestürzt wäre. Nachdem seine sadistischen Richter
feststellen mussten, dass der Verurteilte nicht wie erhofft in das Loch
gestürzt war, ließen sie sich eine neue Folter einfallen. So
wird der Ich-Erzähler, nachdem er wieder eingeschlafen war, auf eine
Holztrage gelegt und darauf festgebunden. Nur seinen linken Arm kann er
noch bewegen, um zu einer Schüssel mit Nahrung und Wasser greifen
zu können. Und hier kommt dann das Pendel ins "Spiel".
Im schwachen Licht sieht der Erzähler ein riesiges Pendel über
seinem Kopf schweben, an dessen unterem Ende eine gewaltige Klinge befestigt
war. Stunde für Stunde pendelt sie sich Zentimeter für Zentimeter
zu ihm herunter.
Wenn man genauer über den Sinn nachdenkt, so sind Poes Geschichten
nicht nur Angstmacherei. Vielmehr prangert er menschliche Vergehen wie
Mord (Das verräterische Herz), sinnloses Töten von Tieren
(Der schwarze Kater), Ignoranz (Die Maske des roten Todes)
oder Vorurteile (Die längliche Kiste) an. Und dies faszinierte
nicht zuletzt den berühmten Psychologen Sigmund Freud.
Gewürzt mit einer Prise sarkastischen Humors sind diese Geschichten
ein Schmaus für jeden Leser.
(rezensiert von: Tinchen)
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