Worum's geht:
Gilda Joyce fühlt die Berufung in sich, parapsychologische Ermittlerin
zu sein. Zur Zeit ist die Dreizehnjährige allerdings noch hauptsächlich
Schülerin. Es ist der letzte Schultag vor den großen Ferien
und Gilda liest heimlich unter der Bank das Handbuch für Meisterhellseher.
Gerade ist sie beim Kapitel Folge deinen Impulsen, egal wie unlogisch
sie dir vorkommen mögen angelangt, da wird sie von der Lehrerin
gefragt, welche Pläne sie für die Sommerferien habe. Gilda hat
sich vorgenommen, dem Verkäufer des Minimarktes hinterherzuspionieren,
will das ihrer Lehrerin aber nicht sagen. Also folgt sie ihren Impulsen
und sagt: Ich fahre nach San Francisco. Um nach den Ferien nicht als Lügnerin
dazustehen, schreibt sie einen Brief an den Cousin ihrer Mutter, zu dem
der Kontakt seit Jahren abgebrochen ist und den sie noch nie gesehen hat
und bittet ihn, sie einzuladen. Gilda wird tatsächlich eingeladen.
Sie verbringt ihre Ferien bei Lester Splinter und seiner Tochter Juliet,
die in Gildas Alter ist. Leider ist Juliet meistens unfreundlich und benimmt
sich auch sonst ziemlich eigenartig. Ob ihr Benehmen damit zusammenhängt,
daß es in dem alten Haus spukt? Das behauptet zumindest Splinters
mexikanische Haushaltshilfe. Gilda Joyce, die parapsychologische Ermittlerin,
wittert ihren ersten Fall
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Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Gilda Joyce ist eine Wucht. Beseelt von ihrer selbstgewählten Aufgabe,
ihre übersinnlichen Fähigkeiten zu entwickeln und rätselhafte
Fälle zu lösen, greift sie zu unkonventionellen Methoden. Der
Brief mit dem sie sich selbst bei Splinters eingeladen hat, gehört
da noch zu ihren leichteren Übungen:
Ich bin sicher, Sie
können sich vorstellen, welche Mühe es macht, eine übernatürlich
begabte Tochter (das bin ich) und einen unglaublich unattraktiven und
schwachsinnigen Sohn (das ist mein Bruder) allein aufzuziehen. Jeden Tag
schuftet meine Mutter, die Hände tief in Blut und Erbrochenem, in
den unbarmherzig grell erleuchteten Räumen eines Krankenhauses. Aber
selbst wenn sie Patienten, die so schwer wie Lastwagen sind, über
die Schulter wirft, um sie in den OP zu tragen, schafft sie es noch, die
lustigsten Witze zu erzählen, die man je im Leben gehört hat
.Kurz
und gut, Mr Splinter: Meine Mutter ist der Ansicht, daß mir ein
Tapetenwechsel sehr gut tun würde. Erst heute hat sie zu mir gesagt:
"Eine so begabte junge Dame wie du darf den Sommer nicht damit zubringen,
einem großen dumpfen Riesenbaby den Sabber vom Mund zu wischen.
Sie sollte raus und ihr sonniges Wesen auf glanzvollere Familien in einer
schöneren Gegend scheinen zu lassen.
Gildas Bruder ist übrigens völlig gesund und ihre Mutter hat
ihre Hände auch nicht täglich tief in Blut und Erbrochenem,
obwohl sie als Krankenschwester arbeitet. Gilda besitzt nur einen für
den Leser höchst vergnüglichen Hang zur Melodramatik und nicht
nur ein sonniges Wesen, sondern auch ein gesundes Selbstbewußtsein.
Als sie die Einladung tatsächlich erhält, hat sie nicht die
geringste Ahnung, daß sie die nicht ihrem überzeugenden Schreibstil
zu verdanken hat, sondern einem Mißverständnis zwischen Mr
Splinter und seiner Sekretärin.
Gilda ist nicht zu bremsen. Als ihre parapsychologischen Ermittlungen
ins Stocken geraten, folgt sie einem weiteren Rat des Handbuch für
Meisterhellseher. Sie versucht es mit "Bücherstechen".
Man nimmt ein Buch, das einen "magisch" anzieht, stellt eine
Frage, schließt die Augen, schlägt wahllos eine Seite auf und
tippt immer noch blind mit dem Finger auf eine Stelle. Häufig wird
dazu die Bibel benutzt. Gilda fühlt sich jedoch von einem Wörterbuch
magisch angezogen, stippt mit dem Finger hinein und findet das Wort "Mafia".
Nun ist alles klar. Mr Splinter, von Beruf Steuerberater, arbeitet mit
der Mafia zusammen, um deren illegalen Einkünfte zu verschleiern.
Um ihn zu überführen verkleidet sich die Dreizehnjährige
als Möchtegernvamp und sucht Mr Splinter in seinem Büro auf.
Im Gegensatz zu den Lesern findet der das überhaupt nicht komisch.
Immer wieder gerät Gilda durch ihre Offenheit, die unglücklicherweise
nicht mit Diplomatie gepaart ist, und durch ihren festen Entschluß,
ihre Ermittlungen mit Hilfe der Parapsychologie durchzuführen in
witzige, für sie jedoch peinliche, Situationen.
Aber Gilda Joyce in geheimer Mission ist nicht nur komisch. Gildas Hang
zum Übersinnlichen ist nicht einfach eine kindische oder pubertäre
Laune. Das Mädchen hat vor zwei Jahren ihren Vater an Krebs sterben
sehen, vermißt ihn schrecklich und wünscht sich nichts sehnlicher,
als mit ihm in irgendeiner Weise kommunizieren und seine Nähe fühlen
zu können. Alle ihre Versuche, ihr parapsychologisches Talent zu
entwickeln, entspringen dem Wunsch, mit ihrem Vater in Verbindung bleiben
zu können. Und auch hinter dem Spuk in Splinters Haus steckt die
tragische Geschichte einer jungen Frau, die am Leben verzweifelt ist.
Daß daraus kein sentimentaler, gefühlsduseliger Roman geworden
ist, ist Jennifer Allisons erfrischender, witziger, unsentimentaler Erzählweise
zu verdanken und natürlich der tapferen, patenten, phantasievollen,
unnachahmlichen Gilda, die entschlossen ist, sich von ihrem Schmerz und
ihrer Trauer nicht überwältigen zu lassen.
(rezensiert von: Top
Dollar)
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