Bewertet mit Sternen
(Besucher-Rezension):
Ich habe eine Vorliebe für phantastische Literatur mit Lokalkolorit.
In diesem Falle trägt der Handlungsort beim Leser allerdings zu einer
wachsenden Irritation bei. Meyers fiktives Südwestafrika hat, gelinde
gesagt, nicht die geringste Ähnlichkeit mit der deutschen Kolonie
der Vergangenheit oder dem unabhängigen Staat Namibia der Gegenwart.
Ich will damit nicht sagen, dass die phantastische Verfremdung diese bedauerliche
Wirkung ausmacht. Im Gegenteil, das echte Namibia ist von einer phantastisch-morbiden
Stimmung, die wohl niemanden unberührt lässt. Hier findet sich
wilhelminische Kolonialarchitektur, die eine Ahnung davon gibt, wie Deutschland
vor hundert Jahren ausgesehen haben mag, umgeben von Nebelschwaden und
Wüstenlandschaften. Festungsartige Berge, die im Innern ihrer Ringgestalt
die uralten Felsmalereien der San behüten. Geisterstädte, in
denen heute Sanddünen und Giftschlangen zurückerobern, was früher
von gewissenlosen Händlern, Diamantenschürfern und Missionaren
bevölkert war. Schlachtfelder, auf denen der Wind die Totenklage
eines untergegangen Volkes zu spielen scheint. Menschliche Geschichte
und menschliches Leid (was fast dasselbe ist) lassen den Reisenden nicht
los. Ein faszinierendes Land, das für mich kostbar wie kaum ein zweites
ist. In Göttin der Wüste erkenne ich es jedoch nicht
wieder.
Das hat vor allem zwei Gründe, die ich kurz erläutern will.
Zunächst sind da die fahrlässigen Darstellungen einzelner Details,
die den Eindruck erwecken, der Autor habe sich nur sehr oberflächlich
mit der Region und ihren Bewohnern beschäftigt. Eine Frau vom Volk
der Herero, die Männerkleidung trägt? San (im rassistischen
Kolonialjargon 'Buschmänner' genannt), die in der Hauptstadt Windhoek
leben? Eine philanthropisch-schöngeistige Familie, die inmitten der
Savanne in großbürgerlichen Verhältnissen lebt? Nichts
davon hat es je gegeben! Einige dieser groben Verzerrungen wären
vielleicht nicht weiter bemerkenswert (zumal in einem Werk der Phantastik),
wenn sie Bedeutung für die Handlung hätten, aber sie werden
eher beiläufig eingeflochten, als ob sie den Leser mit den Hintergründen
des Handlungsortes vertraut machen sollten. Da sie mit diesen Hintergründen
allerdings nichts zu tun haben, bewirken sie das genaue Gegenteil. Hier
zeigt sich, dass Phantastik in der Regel eben nur dann funktioniert, wenn
sie in sich stimmig ausgearbeitet ist, wie schon Tolkien feststellte.
Der zweite Grund hängt mit der Mythologie zusammen, die den metaphysischen
Hintergrund des Romans ausmacht. Ich will nicht näher auf sie eingehen,
da sich sonst Spoiler kaum vermeiden ließen. Meyer, der selbst kein
Esoteriker ist, benutzt gern Elemente der Esoterik für seine Romane.
In diesem Fall ist er stark von Robert von Ranke-Graves beeinflusst. Ich
kann mir gut vorstellen, dass zahlreiche Leser aus diesem Grund von Göttin
der Wüste fasziniert sein werden. Wenn man Namibia allerdings
kennt, kann man es kaum anders empfinden, als dass einem Land, dass bereits
in seiner Eigentümlichkeit und Einzigartigkeit 'phantastisch' ist,
Allgemeinplätze übergestülpt werden, die nichts mit seinem
ureigensten Charakter zu tun haben.
Erschreckend finde ich, wie Meyer den Vernichtungskrieg der deutschen
Kolonialtruppen gegen die Herero behandelt. Der Autor läuft hier
Gefahr, den Völkermord zum atmosphärischen Effekt zu bagatellisieren.
Ähnlich verhält es sich mit dem Element des Inzests, der nach
meinem Dafürhalten im Plot vollkommen unnötig und weniger schockierend
als einfach nur abstoßend ist.
(rezensiert von: Marengo)
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