Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Wahnsinn, Tod, Rache und die Unerbittlichkeit des Schicksals sind die
beherrschenden Themen in Shiels Kurzgeschichten.
Vaila ist eine von hohen Felsen umgebene, nördlich von Großbritannien,
inmitten gefährlicher Strudel gelegene, sturmumtoste Insel, und der
Stammsitz derer von Harfager. Als seine Mutter im Sterben liegt, bitte
Haco von Harfager seinen alten Studienfreund, den Ich-Erzähler der
Geschichte, ihn zu besuchen. Schon die Überfahrt erweckt in dem Freund
den Eindruck, als führte unsere Fahrt ins Jenseits dieser Welt und
was ihn auf Vaila erwartet, könnte schlimmer nicht sein. Harfagers
Mutter ist tot und wartet im offenen Sarg auf ihre Beerdigung, Haco selbst
ist vorzeitig gealtert und wirkt verwahrlost, er hat Gehörhalluzinationen
und die fixe Idee, daß ein alter Fluch das Haus und das Leben der
letzten Harfangers -seines und das seiner Schwester- bedroht. Ein grauenhaft
entstelltes Faktotum kümmert sich um das Haus, und die Insel scheint
sich auf unerklärliche Weise zu drehen. Jede Zeile dieser Geschichte
atmet Verfall und Bedrohung, die Szenerie ist unheimlich, und dennoch
geht Vaila dem Leser nicht wirklich unter die Haut. Allzu deutlich erinnert
die Erzählung an Poes Untergang des Hauses Usher, allzu genau
erfüllt sich die Erwartung des Lesers, die durch die Erwähnung
von Wahnsinn, Tod und einem alten Fluch geschürt worden ist, und
zu artifiziell ist das Gebilde, von dem die Bedrohung ausgeht - ein riesiges
Stundenglas. Ein Stundenglas, auch wenn es in absehbarer Zeit seinen Dienst
einzustellen droht, wirkt nicht so angsteinflößend, wie z.B.
ein beständig unaufhaltsam näherrückendes Pendel wie in
Poes Geschichte Die Grube und das Pendel, und schließlich
darf der Leser eines von einem Ich-Erzähler verfaßten Berichtes
immer darauf hoffen, daß die Geschichte wenigstens für einen
der Protagonisten gut ausgeht. Dies alles trägt dazu bei, daß
der Leser trotz der unheimlichen Atmosphäre eher in die Rolle eines
stillen Beobachters gedrängt wird, als in die, eines unsichtbaren,
mitleidenden und sich ängstigenden Beteiligten. Dennoch ist Vaila
zweifellos die beste der hier versammelten Geschichten.
Die zweite Erzählung, Huguenins Frau, beginnt ähnlich
wie die erste. Der Ich-Erzähler erhält den verzweifelten Brief
eines alten Freundes, der allein mit zwei Dienern, die ihn beharrlich
zu meiden scheinen, in einem riesigen Haus auf der griechischen Insel
Delos lebt und sich nach menschlicher Nähe sehnt. Diesmal geht die
Gefahr von einem schrecklichen Ungeheuer aus, das auf geheimnisvolle Weise
mit Huguenins verstorbener Frau in Verbindung zu stehen scheint. Auch
hier wieder findet man viel Poe, vermischt mit ein wenig griechischer
Sagenwelt.
In Elendes Los eines gewissen Saul gibt es sogar zwei Ich-Erzähler.
Der erste, in der Rahmenerzählung, gibt den Bericht des mittlerweile
lang verstorbenen James Dowdy Saul wieder, der diesen um 1601 im Alter
von 60 Jahren verfaßt hat, den er in einer Manuskript-Truhe der
Cowling-Bibliothek gefunden hat. Saul erzählt kurz, aber eindrucksvoll,
von seinen Abenteuern auf See und zu Land und berichtet dann, wie er 1571
auf Hispaniola in die Hände der Spanischen Inquisition fällt.
Er wird auf ein Schiff verfrachtet und während eines Sturms in einem
Faß über Bord geworfen. Das Faß sinkt rasch mit seiner
lebendigen Fracht. Saul macht alle Qualen eines Ertrinkenden durch und
gelangt schließlich in eine mit Luft gefüllte Höhle, in
der sich auch ein Süßwassersee befindet. Nahrung bieten ihm
die Tiere und Früchte des Meeres. Dies ist keine Horror-Geschichte
im Stile Poes. Elendes Los eines gewissen Saul ist eine Abenteuergeschichte
und wäre der Autor unbekannt, könnte man die Theorie verfechten,
dies sei eine von Jules Verne verfaßte Version von Robinson Crusoe.
Die Braut heißt Rachel Evans, teilt Walter Teeger dem Standesbeamten
mit, als er sein Aufgebot bestellt. Dies ist die reine Wahrheit, der Beamte
weiß allerdings nicht, daß es zwei Schwestern gibt, die beide
nach ihrer Großmutter "Rachel" heißen. Die eine,
"Annie Rachel" wird "Annie" gerufen, die andere, "Mary
Rachel", "Rachel". Walter liebt Annie, aber Rachel liebt
Walter und zeigt ihm dies überdeutlich, obwohl zu dieser Zeit von
Frauen Zurückhaltung im Ausdruck ihrer Gefühle erwartet wurde.
Walter ist von Rachels so offensiv zur Schau getragener Leidenschaft berückt
und gebannt und kann sich nicht entscheiden, welche von beiden er nun
heiraten soll. Da entscheidet das Schicksal für ihn, - um dann seinen
unvermeidlichen Lauf zu nehmen. Wieder finden sich eindeutige Anklänge
an Poe.
Der bleiche Affe spukt angeblich im Hause Sir Philip Listers, in
das eine Gouvernante kommt, um die zwölfjährige Esmé,
Vollwaise und Nichte Sir Philips, zu unterrichten. Das Mädchen behauptet
steif und fest, es habe den Geist eines riesigen Affen gesehen, der früher
zusammen mit den anderen, noch lebenden Affen in einem Käfig nahe
eines Wasserfalls lebte. Um die Spannung nicht zu verderben, soll hier
nur so viel gesagt werden, daß Shiel sich ganz offensichtlich an
einen berühmten Roman der Weltliteratur anlehnt.
In Der Primas der Rose hat der verheiratete E.P.Crooks ein Verhältnis
mit der 25 Jahre alten Minna Smyth, deren Bruder Crichton er kennt. Crichton
erzählt Crooks von einem exklusiven Geheimbund, der eine geheimnisvolle
Wohnung in London unterhält, von der nur das Oberhaupt, der sogenannte
Primas der Rose weiß, wo sie sich befindet. Crooks beschwatzt Crichton,
ihm den geheimnisvollen Raum zu zeigen. Der stimmt nach langem Zögern
zu, besteht aber darauf, Crooks die Augen zu verbinden, damit er den Weg
nicht wiederfinden kann. Schließlich steht Crooks allein in dem
ominösen Raum und nimmt die Binde von den Augen
Was mich betrifft ist Shiels kurze, mit Selbstironie gespickte
Lebensbeschreibung, in der er auch sehr warmherzig über seinen Vater
spricht.
Die Auflistung der von Javier Marías verliehenen Titel und Ämter
des Königreiches Redonda ist eher ein Insidergag zwischen Marías
und den Genannten, von denen nur wenige so bekannt sind wie Pedro Almodovar,
Antonia Susan Byatt, John Michael Coetzee und Francis Ford Coppola.
Redonda ist ein fiktives Königreich auf der gleichnamigen unbewohnten
Antilleninsel. Shiel wurde im Jahr 1880 von seinem Vater zum ersten König
dieser Insel gekrönt. Der vierte König ist nun Javier Marías,
der dafür die Erinnerung an das Königreich, die Legende und
die früheren Könige wachhalten muß und dafür die
Rechte an Shiels Werk geerbt hat und so viele Ämter und Titel verleihen
darf, wie er möchte. Sehr viel mehr sagt er über Redonda nicht,
denn wie Javier Marías in seinem Vorwort Nur Luft und Rauch
und Staub mitteilt, hat er das schon in seinen Romanen Alle Seelen
und Schwarzer Rücken der Zeit getan und gedenkt nicht, sich
zu wiederholen. Dieses "Fischen nach Lesern" für seine
eigenen Werke hat Marías eigentlich nicht nötig und es ist
für den Leser nur ärgerlich.
Fazit: Auch wenn die Erzählungen häufig an Poe und andere berühmte
Schriftsteller erinnern, und das schreckliche Ende oft vorhersehbar ist,
so sind die Geschichten doch höchst unterhaltsam und decken ein breites
Spektrum der Phantastik, von der Horrorgeschichte (Vaila), über
den Schauer"roman" bzw. die Prosaversion einer Ballade (Die
Braut) bis hin zur Entdeckung fremder, außergewöhnlicher
Welten (Elendes Los eines gewissen Saul), ab. Außerdem hat
Shiel sich nicht nur von berühmten Autoren inspirieren lassen, sondern
hat unzweifelhaft auch anderen als Vorbild gedient. Für Freunde der
Phantastik sind Shiels Erzählungen ein Muß - lesenswert sind
sie allemal.
(rezensiert von: Top
Dollar)
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