Bewertet mit Sternen
(Besucher-Rezension):
Saraykeht ist die bedeutendste der großen Sommerstädte:
vor Leben pulsierend, ein Hort des Friedens und des Fortschritts. Doch
leider hat Saraykehts sagenhafter Reichtum den Neid seiner Nachbarn geweckt,
die skrupellos auf den Sturz der mächtigen Metropole hinarbeiten
Liest man auf der Buchrückseite diesen Text, glaubt man im Inneren
des Buches einiges an Kriegswirren und Schlachtengetümmel vorzufinden,
doch es wird bald klar, dass man sich auf eine hinterhältige aber
dennoch äußerst kunstvoll eingefädelte Intrige eingelassen
hat. Intrigen
eigentlich nicht mein bevorzugtes Terrain
weder im wirklichen Leben noch in Romanen. Trotz meiner Vorbehalte habe
ich mich auf Daniel Abrahams Sommer der Zwietracht, dem Beginn
der Geschichten um die Magischen Städte, eingelassen und erlebte
eine angenehme Überraschung: je weiter ich in die Geschichte vordrang,
desto mehr sorgfältig beschriebene Details, die oftmals liebevoll
zu nennen sind, z. B. zu Personen, Schauplätzen und Handlungsverlauf,
konnte ich entdecken.
Interessant ist die Gesellschaftsstruktur, die Abraham für die Magischen
Städte gewählt hat und die auf asiatisch anmutenden Lebens-
und Arbeitsverhältnissen basiert. Das vom Autor beschriebene alltägliche
Leben könnte sich genau so in China, Japan oder Thailand abspielen.
Das gesellschaftliche Miteinander wird von komplizierten Gesten bestimmt,
die das Gesagte entsprechend untermauern. In der Übersetzung wurde
leider ein wenig zu oft und damit eintönig der Begriff "Gebärde"
verwendet. Es wäre schön gewesen, wenn man noch ein oder zwei
Synonyme für diesen Begriff gefunden hätte. Man stolperte bei
fortschreitender Lektüre zunehmend über dieses Wort, bis es
einem schließlich, wenn man es wieder las, ein bisschen lästig
wurde
Trotz dieses kleinen Mankos war ich von dieser gesellschaftlichen Besonderheit
fasziniert, denn das Zusammenspiel von Gestik, Mimik und Sprache ist so
gestaltet, dass sich die handelnden Figuren bei allem Respekt die ein
oder andere Unverschämtheit zu verstehen geben können, ohne
sich - beispielsweise bei heftigeren Konflikten - einer plumpen Fäkalsprache
bedienen müssen. Die Geschichte der Sommerstadt Saraykeht wird in
locker-flockiger Art erzählt, die sich unangestrengt und entspannt
lesen lässt. Die Sätze sind nicht zu lang und auf überflüssige
Information wird verzichtet. Alles wird so beschrieben, dass man ein klares
Bild des gerade Geschilderten vor Augen hat, ohne das sich der Autor in
zu genauen Detailbeschreibungen verliert. Die Handlung wird sehr zügig
vorangetrieben und das Erzählte gewinnt dadurch beträchtlich
an Dynamik, so dass keine Langeweile aufkommt.
Tumbe Gewalt ist in Sommer der Zwietracht nicht zu finden, obwohl
durchaus Gewalt vorkommt. Abraham hält sich jedoch nicht länger
als unbedingt nötig mit der Beschreibung solcher Passagen auf. Er
schildert nur, was zum jeweiligen Verständnis der Situation unbedingt
notwendig ist. Diese Balance zu finden und zu halten ist nicht einfach,
doch Abraham ist das hier hervorragend gelungen. Nicht nur bei der Schilderung
von Gewaltszenen hat der Autor bewiesen, dass er mit Bildern und Sprache
umzugehen weiß - gleiches gilt auch für die Beschreibungen
seiner Figuren: Es geht eine Lebendigkeit von diesen Charakterisierungen
aus, dass selbst jemand, der sich sonst mit bildlichen Vorstellungen des
gerade gelesenen schwer tut, keine Schwierigkeiten hat, ein klares Bild
der skizzierten Person vor Augen zu haben. Marchat Wilsin beispielsweise
ist eine Figur, mit der ich ziemlich Mitleid hatte: Er führt ein
Handelshaus in Saraykeht - stammt aber aus dem Galtland. Eben genau jenem
Reich, dass Saraykehts Untergang beschlossen hat und dieses Ziel nun mit
allen Mitteln verfolgt. Wilsin wird von seinem Land in ein Intrigenspiel
gezwungen, dass ihm in der geplanten und auch durchgeführten Form
eigentlich zutiefst zuwider ist. Er sitzt bald zwischen allen Stühlen
und leidet erheblich unter der Situation, in die er von seinem Land getrieben
worden ist. Abraham gelingt es vortrefflich, den Leser Wilsins Verzweiflung
und Zerrissenheit mitfühlen zu lassen, und man ertappt sich ein ums
andere Mal bei der Sorge, wie Wilsin wohl aus diesem ganzen üblen
Schlamassel herauskommen will.
Der Dichter Heshai ist ebenfalls eine faszinierende Gestalt: Fett, unförmig
und ziemlich hässlich, mit sich und seinem Leben unzufrieden und
eine nicht überwundene Trauer, die schwer auf seiner Seele lastet,
mit sich tragend, präsentiert er sich seinem neuen Schüler Maati
und dem Leser als mürrischer, eigenbrötlerischer und wortkarger
Mann mit einem Hang zur Trunkensucht. Nach und nach erfährt man mehr
über ihn, beginnt ihn und seine nach außen hin kalte und abweisende
Art zu verstehen und entdeckt verborgene und liebenswürdige Seiten
an ihm. Marchat Wilsins Verwalterin Amat Kyaan ist eine alte Frau, die
sich auf Grund von Hüftproblemen schwer auf einen Stock stützt.
Ihre besten Jahre hat sie wahrlich schon hinter sich, aber sie ist eine
gewiefte Geschäftsfrau, mit allen Wassern der Vertragsverhandlung
gewaschen, einem exakt, logisch, messerscharf und kühl arbeitenden
Verstand, schlau und neugierig mit hervorragendem Geschäftssinn.
Sie steckt ihre Nase überall hinein und einmal bringt sie das in
eine äußerst unangenehme Lage
Amat Kyaan ist trotz dieser Eigenschaften, die sie zu einer bedingungslos
auf den Vorteil bedachten Geschäftsfrau machen, keine unsympathische
Frau. Sie hat durchaus sehr warmherzige und menschliche Seiten. Ich hätte
sie gerne persönlich kennengelernt
Nachdem aus den Magischen Städten eine Tetralogie werden soll,
gibt es in Sommer der Zwietracht auch Figuren, bei denen abzusehen
ist, dass eine Weiterentwicklung des Charakters geplant ist. Dies gilt
vor allem für den Sohn des Khai Machi, den Dichterschüler Maati,
die angehende Verwalterin Liat und das Inselmädchen Maj, die Hauptrollen
in dieser Geschichte innehaben und sicher noch eine Rolle zu spielen haben
werden
Kein Fantasy-Roman ohne ein wenig Magie - doch das magische Element ist
hier genauso ungewöhnlich wie die Geschichte selbst. Magie im eigentlichen
Sinn kommt nicht vor, sondern nur in Form eines Geschöpfes, dass
in seiner Beschreibung ein wenig an die am Computer erschaffenen, perfekten
und mit phantastischen Fähigkeiten ausgestatteten Avatare diverser
Fantasy- und Science-Fiction-Filme erinnert. Die "Andaten" sind
zu menschlicher Gestalt geformte Gedanken und Ideen, mächtig, ja
nahezu gottähnlich, die allerdings fast wie Sklaven unter der Herrschaft
des Menschen stehen, der sie Kraft seiner Vorstellungen erschaffen hat.
Nun ist es aber nicht ganz einfach ein solches Wesen zum Dasein zu erwecken,
geschweige denn, es unter Kontrolle zu halten. Das Wissen, das dazu notwendig
ist, wird streng gehütet und nur an Auserwählte weitergegeben.
Diese Ideen sind neu und man möchte so bald wie möglich mehr
über diese faszinierenden Wesen erfahren, die so gar nichts mit den
bekannten Feen, Elfen und Kobolden gemein haben.
Sommer der Zwietracht arbeitet mit dem uralten Erfolgsrezept der
Intrige in den höchsten (und damit entscheidungsbefugten) Kreisen,
dennoch liest man hier keine abgedroschene "Königshausintrigengeschichte",
wie man sie schon zum wiederholten Mal in anderen Büchern (und Filmen)
vorgefunden hat, sondern bewährte Zutaten in neuer Komposition. Erfrischend
anders in der Zusammensetzung mit menschlichen Figuren, deren Gedanken
und Gefühle dem Leser hier sehr nahegebracht werden, so dass man
auch für die "andere Seite" Mitgefühl und Verständnis
aufbringt und die Grenzen von Gut und Böse verschwimmen.
Ich hoffe, dass Daniel Abraham mit seinem Winter des Verrats an
diesen starken Auftakt anknüpfen kann
(rezensiert von: Katerchen)
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