Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Die Geschehnisse im Zauberwald finden zur Zeit der Minoischen Palastkultur
statt, als der legendäre Minos noch König ist und die Archäer
zwar schon Überfälle unternehmen, aber noch keine ernste Bedrohung
darstellen. Kreta wird von freundlichen, den Augenblick lebenden Menschen
bewohnt, auf dem Lande geht es zwar etwas einfacher und zurückhaltender
zu, doch in der Stadt Knossos herrscht ein freizügiges und buntes
Treiben, welches sich in den farbenfrohen und vielgestaltigen Palästen
wiederspiegelt; dort hat der weise und gerechte König Minos seinen
Herrschersitz. Doch die Menschen haben einen Pakt geschlossen mit den
Tiermenschen Kretas, deren Heimat soll von Menschen nicht betreten werden.
Der Zauberwald ist hauptsächlich ein Wald, in dem seine Bewohner
sehr angepaßt an diesen leben, so sind die Häuser nicht aus
dem Wald gebaut, sondern mit dem Wald gebaut. Das Zauberhafte beschränkt
sich allerdings auf die Bewohner.
Die Tiermenschen sind der Mythologie Kretas entlehnt, einige, wie der
Minotaur, sind sehr bekannt und im stärkeren Maße an die Mythologie
angelehnt, andere, wie die Thriae, sind weniger bekannt und mit mehr Phantasie
ausgestaltet. Ein Eigenart der meisten Tiermenschenvölker ist es,
entweder nur aus Frauen, wie die Dryaden, oder nur aus Männern, wie
die Minotauren, zu bestehen. Nur in wenigen finden sich sowohl Frauen
als auch Männer, wie bei den Thriae. Die kriegerischen und draufgängerischen
Zentauren werden angeführt vom weisen Chiron; die Panisken - vom
Äußeren Satyren sehr ähnlich - entwickeln sich nicht weiter
als Jugendliche, sie sind stets auf Nonsens aus; die Artemisbärinnen,
zur Hälfte Bär, zur Hälfte Frau, sind auf ewig scheue Mädchen;
die Telchin sind großartige Handwerker mit der Gestalt einer übergroßen
Ameise; die Thriae, die Bienen, sind sehr dünne mit Flügeln
versehene menschenartige Wesen, deren Volk aus Königin, Arbeiterinnen
und Drohnen besteht; die Dryaden sind schöne Frauen, die sich nicht
lange von ihrer Eiche trennen können und Eunostos, der letzte Minotaur,
ist zur Hälfte Bulle, zur Hälfte Mensch, statt Füße
hat er Hufe und aus seinem seidigen, roten Haar ragen Hörner heraus.
Wenn er erst ausgewachsen ist, wird er eine gewaltige Statur haben. Wie
für Minotauren üblich, arbeitet er als Zimmermann. Er ist ein
lebhafter und stürmischer junger Bulle, doch kann er auch sehr sanft
und poetisch sein. Er ist unsterblich in die Dryade Kora verliebt. Diese
ist eine junge, romantische Dryade, vielleicht die älteste Jungfrau
(sie ist schon neunzehn) im ganzen Wald. Sie wirkt durch ihre Zurückhaltung
auf viele erhaben, vielleicht ist sie aber einfach nur unsicher. Saffron
ist die Königin eines Thriae-Stammes, sie ist lüstern und arrogant;
sie erwartet von anderen, daß diese sich ihr - der schönen
Königin! - fügen. Zudem ist sie eitel und gierig. Zoe, die Dryadin,
ist die Erzählerin der Geschichte, sie ist äußerst beliebt
und hat sowohl zu Kora und deren Mutter als auch zu Eunostos, mit dessen
Mutter sie befreundet war, ein gutes Verhältnis. Eunostos nennt sie
Tante Zoe, obgleich sie sich diesen Titel nicht wünscht, da sie heimlich
andere Gefühle für ihn hegt. Schließlich ist da noch der
menschliche Kreter Aeacus, der Bruder König Minos'. Ihn verschlägt
es im zweiten Teil der Geschichte in den Wald - auch er verliebt sich
in die schöne Dryade Kora. Die Charaktere sind einfach, was nicht
weiter stört, da die Tiermenschen einfache Geschöpfe sind, doch
manchmal agieren sie ein wenig zu typisch. Dieses mag im Konzept so angelegt
sein, um die Schlichtheit der Natur besser gegen die komplizierte Zivilisation
abheben zu können, nimmt der Geschichte aber ein wenig an Spannung.
Die Geschichte ist in zwei Teile geteilt, die durch die Liebe Eunostos'
zu Kora zusammengehalten werden. Im ersten Teil geht die Bedrohung von
der Königin Saffron aus, dieser Teil ist wesentlich humorvoller und
handlungsreicher. Während hier Liebe und Lust die Figuren motivieren,
sind es im zweiten Teil Liebe und Pflicht. Aeacus ist der Mann in Koras
Traum, aber er hätte nicht in das Reich der Tiere kommen dürfen,
denn auch wenn er und die Dryade sich lieben, werden seine Kinder doch
königlichen Geblütes sein. Hinzu kommt, daß der sanfte
Eunostos viel besser mit den Kindern umgehen kann. Wenn Tugend und Laster
einander gegenüberstehen, ist ein gutes Ende immer möglich,
aber wenn zwei Tugenden sich gegenüberstehen, dann ist eine Tragödie
am Ende unsausweichlich. So gibt es zwar wiederum komische oder harmonische
Episoden, dieser Teil ist aber deutlich melancholischer und dem Leser
wird schnell klar, daß am Ende das Leid unvermeidbar sein wird.
Auch wenn die Geschichte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Märchen
Die Schöne und die Bestie von Jeanne Marie Leprince de Beaumont
hat, ist Eunostos der Einzige, der seine Physis negativ beurteilt. Auch
wenn die Thematik Liebe sehr dominant ist, gibt es doch einige gefahrenvolle
Momente und überraschende Wendungen zu überstehen in dieser
ungewöhnlichen Geschichte. Dieses ist zwar der zweite Teil aus der
Minotaurus Reihe, aber er kann völlig unproblematisch nur für
sich gelesen werden.
Die Erzählung wird zwar von Zoe erzählt, doch diese gibt bisweilen
sogar die Gedanken der Figuren wieder, wie ein antiker Historiograph seinen
Protagonisten eine Rede in den Mund legen mag. Die Geschichte ist somit
aus einer unüblichen Perspektivenmischung von auktorialer Erzählstruktur
und Ich-Erzählsituation dargestellt. Die flüssigen Sätze
und die treffende Wortwahl passen gut zu dieser schnellen und frivolen
Geschichte.
(rezensiert von: Theophagos)
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