Warum's so gut
ist:
Gene Wolfes absolut grenzensprengendes Meisterwerk aus dem Jahre 1980,
ausgezeichnet unter anderem mit dem World Fantasy Award 1981, muss man
bis heute schlicht als unvergleichlich ansehen. Geschrieben in einem sehr
anspruchsvollen Stil, bietet es dem Leser eine Welt, die an Einfallsreichtum
und Ausgefallenheit kaum mehr zu überbieten ist.
Wolfes Fantasie scheint grenzenlos. Der Schatten des Folterers liest sich
wie ein dunkler, surrealer Trip in die verborgensten Winkel des Unterbewussten,
manchmal absolut befremdend, manchmal trügerisch vertraut, wobei
sich aber jedes blinde Vertrauen, wie sollte es anders sein, letztlich
als sehr gefährlich erweist: High-/Dark-Fantasy in einer apokalyptischen,
zerfallenen Welt, in der nichts unmöglich ist und nichts so ist,
wie es scheint.
Die Zivilisation ist auf eine mittelalterliche Kulturstufe zurückgefallen.
Selbst der große Traum der SF, die interstellare Raumfahrt, ist
inzwischen bereits lange verlorene Vergangenheit. Wunderbar, wie Wolfe
diese post-technologische Welt darstellt, wie er immer wieder Relikte
der Vergangenheit erscheinen lässt, Dinge die man zu erkennen glaubt
und die einem für jeweils kurze Momente die Illusion der Vertautheit
vermitteln, nur um dann ebenso plötzlich wieder in surealen, absolut
befremdlichen Szenen zu versinken; ein Spiegelgefecht aus Anspielungen
und Andeutungen, Traum und Wirklichkeit, Vergangenheit, Gegenwart und
Zufunft.
Lässt man sich auf Wolfes Fantasie ein, und das sollte man natürlich
tun, dann schwindet ganz schnell und in fast beängstigendem Maße
jede Distanz, und der Roman scheint einen regelrecht zu verschlucken,
in sich aufzusaugen. Nach wenigen Seiten schon, und im Verlauf des Romans
immer mehr, wird der Leser so zu einem voll integrierten Bestandteil dieser
ungewöhnlichen Welt. Wolfe vermittelt durch seine surreal-bizzaren
Bilder und seinen meisterhaften Schreibstil jedem Leser, der sich einlässt,
exakt jene Gefühle, welche die dunkle Welt von Urth ausmachen. Wer
sich verwirrt fühlt, der erlebt die Verwirrtheit und Zerbrochenheit
von Urth, wer Angst, Befremdung oder Abscheu empfindet, der empfindet
die dunkle Essenz von Urth, wozu schreibtechnisch gesehen die von Wolfe
konsequent durchgehaltene und famos ausgeführte Ich-Perspektive in
nicht unerheblichem Maße beiträgt.
Einfach großartig und ein wahres Fest für jeden, der mit bizzar-surrealer
Fantasy im Stile von "Gormenghast" oder auch mit Dark-Fantasy
etwas anzufangen weiß. Womöglich allerdings, oder ganz sicher
sogar, eine Enttäuschung für denjenigen, der auf zügige
Handlungsentwicklung und beruhigend typische Fanatsy-Klischees steht:
Die Lektüre ist ganz ohne Zweifel äußerst anspruchsvoll.
Wolfe legt allergrößten Wert auf die bilderhaft-sprachliche
Ausgestaltung seiner Szenen, und die gesamte Welt ist überaus komplex,
so dass es schonmal vorkommen kann, dass man eine kurze Zeit lang einfach
mal gar nichts zu verstehen glaubt, bevor Wolfe dann alles wieder in einem
großartigen und unvergleichlichen Bild auflöst, das einem den
Atem nimmt und staunend zurücklässt. Na ja, wie gesagt, keine
einfache Lektüre, die sicher ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit
verlangt, und ebenso sicher diese auch verdient. Fast würde ich dazu
raten, alle zwei oder drei Kapitel, eine Pause einzulegen, um die Szenen
und Bilder auf sich wirken zu lassen. So nämlich, glaube ich, entfaltet
"Der Schatten des Folterers" seine größte Wirkung.
"Handle with Care" also. Aber, wie schon auf Severians Schwert
geschrieben steht: TERMINUS EST - Dies ist die Trennlinie.
A propos TERMINUS EST, erwähnenstwert erscheint mir noch die herrlich
außergewöhnliche Namensgebungen. TERMINUS EST beispielsweise
ist der Name des Schwerts der Hauptfigur. Eine art mysteriöser Regent
des Landes nennt sich der "Autarch" und residiert in einem ebenso
mysteriösen "Haus Absolut". Desweiteren wimmelt es vor
"Hipparchen", "Beglückten", "Optimaten"
und das Gefängniss der Folterer nennt sich die "Oubliette"
und
so weiter.
Really Strange!
Wolfe selbst gibt dem Werk eine gehörige Portion Authenzität
mit, durch eine "Anmerkung des Übersetzers", in der er
sich selbst nur als den Überträger des Buchs der neuen Sonne
darstellt, und sich bei denen bedankt, die ihm bei der Erforschung dieser
Welt vorraugegangen sind und die es ihm ermöglicht haben, die Welt
und ihre Artefakte zu besichtigen. Ein bekannter Kunstgriff der phantastischen
Lteratur.
Neben, wie sollte es anders sein bei dieser Art der Fantasy, Peakes "Gormenghast",
findet man Spuren von Fritz Leiber (Dr. Talos und Baldanders, die mich
irgendwie an Fafhrd und den Grauen Mausling erinnern) und die eine oder
andere, trotz aller Komplexität der Welt manchmal beinahe rührend
naive Figur, erinnert mich, jedoch nur was die Skurilität angeht,
an James P. Blaylock.
Auf geht's zum zweiten Band, "Der Klaue des Schlichters".
(rezensiert von: V.
Groß)
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