DER SCHATTEN DES FOLTERERS
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Wertung: 5 von 5
1 Rezension
-So stand ich also, die Hände auf Terminus Est gestützt, drehte mich bald in die eine, bald in die andere Richtung und rückte den Block zurecht, so dass mein Schatten über diesen fiele.-
Kap. XXXI, Schatten des Folterers
Zyklus/Band Das Buch der neuen Sonne (1)
Autor Gene Wolfe
Original Shadow of the Torturer
Erscheinungsjahr 1980, dt. 1984
Verlag Heyne
ISBN 3-453-31008-X
Subgenre Science Fantasy
Seitenzahl 350
Probekapitel -
Worum's geht:
Severian wächst, zunächst als Lehrling, dann als Geselle, in der Zunft der Folterer auf und erlernt dort sein Handwerk. Als er gegen die Ordnesregeln verstößt, indem er einem Klienten die Möglichkeit zum Selbstmord lässt, wird er ausgestossen, und mit dem Auftrag, eine Scharfrichterstelle anzunehmen in den Norden des Landes geschickt. Dies ist die Geschichte seines Schicksals und seiner Reise durch Urth, einer postapokalyptischen, surreal-bizzaren und dunklen Welt, in der alles möglich ist und nichts ist wie es scheint.

Warum's so gut ist:
Gene Wolfes absolut grenzensprengendes Meisterwerk aus dem Jahre 1980, ausgezeichnet unter anderem mit dem World Fantasy Award 1981, muss man bis heute schlicht als unvergleichlich ansehen. Geschrieben in einem sehr anspruchsvollen Stil, bietet es dem Leser eine Welt, die an Einfallsreichtum und Ausgefallenheit kaum mehr zu überbieten ist.
Wolfes Fantasie scheint grenzenlos. Der Schatten des Folterers liest sich wie ein dunkler, surrealer Trip in die verborgensten Winkel des Unterbewussten, manchmal absolut befremdend, manchmal trügerisch vertraut, wobei sich aber jedes blinde Vertrauen, wie sollte es anders sein, letztlich als sehr gefährlich erweist: High-/Dark-Fantasy in einer apokalyptischen, zerfallenen Welt, in der nichts unmöglich ist und nichts so ist, wie es scheint.
Die Zivilisation ist auf eine mittelalterliche Kulturstufe zurückgefallen. Selbst der große Traum der SF, die interstellare Raumfahrt, ist inzwischen bereits lange verlorene Vergangenheit. Wunderbar, wie Wolfe diese post-technologische Welt darstellt, wie er immer wieder Relikte der Vergangenheit erscheinen lässt, Dinge die man zu erkennen glaubt und die einem für jeweils kurze Momente die Illusion der Vertautheit vermitteln, nur um dann ebenso plötzlich wieder in surealen, absolut befremdlichen Szenen zu versinken; ein Spiegelgefecht aus Anspielungen und Andeutungen, Traum und Wirklichkeit, Vergangenheit, Gegenwart und Zufunft.
Lässt man sich auf Wolfes Fantasie ein, und das sollte man natürlich tun, dann schwindet ganz schnell und in fast beängstigendem Maße jede Distanz, und der Roman scheint einen regelrecht zu verschlucken, in sich aufzusaugen. Nach wenigen Seiten schon, und im Verlauf des Romans immer mehr, wird der Leser so zu einem voll integrierten Bestandteil dieser ungewöhnlichen Welt. Wolfe vermittelt durch seine surreal-bizzaren Bilder und seinen meisterhaften Schreibstil jedem Leser, der sich einlässt, exakt jene Gefühle, welche die dunkle Welt von Urth ausmachen. Wer sich verwirrt fühlt, der erlebt die Verwirrtheit und Zerbrochenheit von Urth, wer Angst, Befremdung oder Abscheu empfindet, der empfindet die dunkle Essenz von Urth, wozu schreibtechnisch gesehen die von Wolfe konsequent durchgehaltene und famos ausgeführte Ich-Perspektive in nicht unerheblichem Maße beiträgt.
Einfach großartig und ein wahres Fest für jeden, der mit bizzar-surrealer Fantasy im Stile von "Gormenghast" oder auch mit Dark-Fantasy etwas anzufangen weiß. Womöglich allerdings, oder ganz sicher sogar, eine Enttäuschung für denjenigen, der auf zügige Handlungsentwicklung und beruhigend typische Fanatsy-Klischees steht: Die Lektüre ist ganz ohne Zweifel äußerst anspruchsvoll. Wolfe legt allergrößten Wert auf die bilderhaft-sprachliche Ausgestaltung seiner Szenen, und die gesamte Welt ist überaus komplex, so dass es schonmal vorkommen kann, dass man eine kurze Zeit lang einfach mal gar nichts zu verstehen glaubt, bevor Wolfe dann alles wieder in einem großartigen und unvergleichlichen Bild auflöst, das einem den Atem nimmt und staunend zurücklässt. Na ja, wie gesagt, keine einfache Lektüre, die sicher ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit verlangt, und ebenso sicher diese auch verdient. Fast würde ich dazu raten, alle zwei oder drei Kapitel, eine Pause einzulegen, um die Szenen und Bilder auf sich wirken zu lassen. So nämlich, glaube ich, entfaltet "Der Schatten des Folterers" seine größte Wirkung. "Handle with Care" also. Aber, wie schon auf Severians Schwert geschrieben steht: TERMINUS EST - Dies ist die Trennlinie.
A propos TERMINUS EST, erwähnenstwert erscheint mir noch die herrlich außergewöhnliche Namensgebungen. TERMINUS EST beispielsweise ist der Name des Schwerts der Hauptfigur. Eine art mysteriöser Regent des Landes nennt sich der "Autarch" und residiert in einem ebenso mysteriösen "Haus Absolut". Desweiteren wimmelt es vor "Hipparchen", "Beglückten", "Optimaten" und das Gefängniss der Folterer nennt sich die "Oubliette"…und so weiter.
Really Strange!

Wolfe selbst gibt dem Werk eine gehörige Portion Authenzität mit, durch eine "Anmerkung des Übersetzers", in der er sich selbst nur als den Überträger des Buchs der neuen Sonne darstellt, und sich bei denen bedankt, die ihm bei der Erforschung dieser Welt vorraugegangen sind und die es ihm ermöglicht haben, die Welt und ihre Artefakte zu besichtigen. Ein bekannter Kunstgriff der phantastischen Lteratur.
Neben, wie sollte es anders sein bei dieser Art der Fantasy, Peakes "Gormenghast", findet man Spuren von Fritz Leiber (Dr. Talos und Baldanders, die mich irgendwie an Fafhrd und den Grauen Mausling erinnern) und die eine oder andere, trotz aller Komplexität der Welt manchmal beinahe rührend naive Figur, erinnert mich, jedoch nur was die Skurilität angeht, an James P. Blaylock.
Auf geht's zum zweiten Band, "Der Klaue des Schlichters".
(rezensiert von: V. Groß)

Wertung
gesamt
Welt
Aufmachung
Sprache
Story
Karte
Personenglossar
Sachglossar
Hinweise zu Sprache/Aussprache
Illustrationen
Zeichnungen/Sonstiges

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Fazit: Unvergleichliches, außergewöhnliches Meisterwerk…dunkel, bizzar, surreal…ABER eine Geschmacksfrage, nichts für jedermann…sprachlich anspruchsvoll, manchmal aber auch anstrengend.


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