DAS PARADIES DER SCHWERTER

Anderer Meinung?

Dieses Buch für Bibliotheka Phantastika rezensieren:
Mitarbeiter gesucht

Berwertungsschlüssel:

5 Sterne = spitze
4 Sterne = gut
3 Sterne = geht so
2 Sterne = unbefriedigend
1 Stern = übel
Wertung: 5 von 5
1 Rezension
-Großes Kampfturnier in der Befestigten Stadt! Sechzehn Teilnehmer streiten auf Leben und Tod um einen goldenen Stirnreif. Wert: Eintausend neue Taler. Kommt, um teilzunehmen! Kommt, um zu schauen! Eintritt nur fünf neue Taler. Das Turnier findet statt am Achten des Achten, ab morgens um acht.-
Flugschrift
Zyklus/Band -
Autor Tobias O. Meißner
Übersetzung -
Erscheinungsjahr 2004
Verlag Eichborn Berlin
ISBN 3-8218-0723-7
Subgenre utopischer Roman
Seitenzahl 362
Probekapitel -
Worum's geht:
Eben jene (oben genannte) Flugschrift erreicht die sechzehn Kämpfer und Hauptfiguren in Tobias O. Meißners Paradies der Schwerter und bringt sie alle, nach unterschiedlichen Vorgeschichten und Biographien, in der Hölzernen Arena zusammen, wo sie Mann gegen Mann auf Leben und Tod ein grausames Turnier bestreiten. Eine Geschichte, die auf den ersten Blick von gräßlicher Monotonie scheint, sich aber als spannendes und tiefgründiges Experiment erweist.

Bewertet mitSternen (Besucher-Rezension):
Tobias O. Meißners Paradies der Schwerter könnte - um einen prophetischen Vorstoß zu wagen - zu einem Kultbuch in Fantasykreisen avancieren.
Die Tendenz in moderner Fantasy zu düsteren, mittelalterlichen Welten, die von Intrigen, Egoismus, Machtgier und Herrschaftssucht gezeichnet sind - als Beispiel seien hier George R.R. Martins Lied von Eis und Feuer genannt, das die Grenzen zwischen Gut und Böse vielfach ins schemenhafte treibt, oder auch Markolf Hoffmans (um einen deutschen Kollegen ins Spiel zu bringen) Zeitalter der Wandlung, das kaum Platz für wahren Heroismus oder gar Altruismus lässt -, greift Meißner spielerisch auf und erhebt dieses Prinzip sogar zur Regel.
Wobei "Regel" in diesem Fall mehr als wörtlich zu verstehen ist, immerhin erschuf Meißner alle 16 Kombatanten in einem dem Rollenspiel ähnlichen Verfahren, bestimmte durch das Los die Kampfpaarungen und schlußendlich erwürfelte er ebenso das Schicksal seiner Protagonisten. Eben jene jedoch sind von solch schauerlicher Mensch- und Unmenschlichkeit, Tragik und Traurigkeit, dass der Leser immer zwischen Depression und Delirium gefangen gehalten wird. In der ersten Hälfte des Buches erfahren alle Mitstreiter eine mehr oder weniger ausführliche Vorstellung. Dieser expositorische Teil des Werkes, der noch unbefleckt ist von der Macht des Zufalls, zeigt Meißners schriftstellerische Kreativität. Optisch hat der Zufall hier jedoch seinen Platz in den wahrlos auf den Buchseiten verteilten Seitenzahlen erhalten.
Die eigentliche Welt, in der Meißners fantastische Utopie spielt, bleibt eine Skizze. Krieg herrscht im Land (übrigens ein Merkmal des utopischen Romans; sei es 1984, Fahrenheit 451 oder Brave New World, parallel zur eigentlichen Handlung dräut ein unwirklicher Krieg), es gibt nur wenige große Städte und überall verspürt man eine depressive und gewalttätige Stimmung.
Dennoch erscheinen die Charaktere gar nicht wie skizzenhafte Stereotype. Da gibt es Saul, der einen Pflug hinter sich herzieht, wie einst Django seinen Sarg, und dieses monströse Untier aus Haken, Eisen, Scherben und Holz als grausame Waffe benutzt, oder einen versehrten Kriegsveteranen, der einen hölzernen Kiefer und einen feuerroten Degen sein eigen nennt, oder einen Mann der sich schlicht das Nichts nennt. Das sind nur drei der durchweg interessanten und moralisch oftmals fragwürdigen Figuren, die in der Hölzernen einen tödlichen Tanz wagen.
Die Spannbreite ihrer Motive und Triebfedern ist ebenso groß, wie die Verschiedenheit der Hintergrundgeschichten der Männer. Geltungssucht, Selbstbestätigung, Schicksal, Suche, Armut, Lebensmüdigkeit und Geldgier finden neben Hass, Verehrung und Brüderlichkeit alle durchaus auch mehrfach ihr Pendant in den schillernden Gestalten dieses Klingenparadieses.
Diesen Figuren ist es auch zu verdanken, dass das Paradies der Schwerter nicht bloß zur Allegorie über Zufall und Schicksal wird oder lediglich eine harsche Kritik an Voyeurismus und Gladiatorenspielen (respektive wohl auch modernerer Unterhaltung: reality TV) bleibt, sondern durch nervenzereißende Spannung das tragische Schicksal der Gladiatoren mitfühlen lässt. Ohne diese Beziehung zu den Charakteren, die durch deren Vorgeschichte aufgebaut wurde, wäre man wohl ebenso wie das Publikum in der Hölzernen Arena und würde als Leser womöglich in einem ähnlichen primitiven kathartischen Zustand verharren, der durch Blut, Schweiß und Tod ausgelöst wird. Denn Meißners Sprache in den Kämpfen ist eindringlich, der ständige Wechsel der Erzählerperspektive führt zu einem filmhaften Erlebnis und die Geschwindigkeit der Kämpfe ist umwerfend.
Das eigentlich abstoßende und zugleich faszinierende Element ist aber doch die unübertroffene Spannung, die durch die Unvorhersehbarkeit der Kämpfe aufkommt. Man spürt als Leser das süße Kribbeln eines ungewissen Kampfes, man setzt unwillkürlich auf den eigenen Favoriten und weiß doch immer, dass man keinen haben sollte. Keinen haben kann, denn die Würfel fällen ein ungnädiges Urteil.
Neben der sprachlichen Eindringlichkeit der Kämpfe verspürt man aber auch im restlichen Geschehen, dass Meißner ein Experiment geglückt ist. Mal sind die Vorgeschichten der Kämpfer anekdotenhaft, dann wieder kommt eine kühle Distanz durch paragraphenhafte Beschreibung auf oder man verfällt in den Rhythmus des jungen Daimiyo Kriegers, wenn Meißner staccatohaft und präzise seine Bewegungen und Kampffiguren beschreibt.
Die Tempuswechsel steigern das Lesegefühl, rücken das Geschehen bisweilen näher an den Leser (bspw. immer dann, wenn Meißner das Präsens benutzt). Mal erklärt ein Bewusstseinsstrom die Gedanken eines Kämpfers und dann weisen nur aphoristische Phrasen auf das Schicksal eines Kämpen hin. Diese Vielschichtigkeit bewahrt sich das Buch ohne nur verkopft oder unleserlich zu werden; letztlich bleibt die Lesefreude und das Grübeln über das Geschehene die Hauptaufgabe des Lesers und nicht das vielleicht befürchtete Erklimmen eines kryptischen Elfenbeinturms eines übermütigen Autors.
Ebenso wie das Werk sprachlich ansprechend ist, die dramatis personae überzeugend skurril auftritt, beweist das Buch aber auch interpretatorischen Spielraum.
Die existenzialistische Idee, dass man das eigene Sein gerade in Grenzerfahrungen stärker wahrnimmt (bei Heidegger ist der Mensch sich niemals näher als im Todesmoment), wird ebenso beleuchtet, wie die Psychologie der Masse, die Günstlinge erwählt, nach Blut lechzt und irgendwann saturiert oder frustriert von dannen zieht.
Denn Meißners Hölzerne Arena hat ihren Zenit bereits überschritten, sie ist die letzte Bastion einer ausgehenden Ära von ehrenhaftem Kampf, wie der Arenabesitzer Gillet mehrfach betont. Diese paradoxe Perversität, dieses Ehrverständnis von Kampf auf Leben und Tod wird besonders deutlich, wenn man einen kleinen Kommentar mit einbezieht, der besagt, dass das Paradies der Schwerter in Tobias O. Meißners Roman Neverwake unter dem Titel Rakuen ein berühmter Bestseller wird. Neverwake handelt von einer Welt der Computerspielligen und von virtuellem (deswegen moralisch hochwertigerem?) Kampf. Ein solches Spiel im Spiel findet auch dann statt, wenn der Arenabesitzer scherzhaft die Siegeschancen für einen Teilnehmer errechnet.

Die Hölzerne Arena ist ein Auslaufmodell für die Welt von Neverwake, vielleicht eine dystopische Zukunftsvision für unsere Realität, vielleicht auch ein mahnender Zeigefinger oder einfach nur ein verdammt spannendes Buch über "Kampf, Zufall und das Gegenteil von Nichts".
(rezensiert von: Philipp Latz)

Wertung
gesamt
Welt
Aufmachung
Sprache
Story
Karte
Personenglossar
Sachglossar
Hinweise zu Sprache/Aussprache
Illustrationen
Zeichnungen/Sonstiges

Buch gemocht? Vielleicht gefällt dann auch...

Nebelriss

Fazit: Eindringlich, brutal, nachdenklich, ästhetisch - ein Paradies für Leser.


©mistkaeferl 2002-07. Es ist nicht gestattet, diese Seiten in fremden Framesets darzustellen oder Inhalte anderweitig zu veröffentlichen. Zum Impressum