Bewertet mit Sternen
(Besucher-Rezension):
Tobias O. Meißners Paradies der Schwerter könnte - um
einen prophetischen Vorstoß zu wagen - zu einem Kultbuch in Fantasykreisen
avancieren.
Die Tendenz in moderner Fantasy zu düsteren, mittelalterlichen Welten,
die von Intrigen, Egoismus, Machtgier und Herrschaftssucht gezeichnet
sind - als Beispiel seien hier George R.R. Martins Lied von Eis und
Feuer genannt, das die Grenzen zwischen Gut und Böse vielfach
ins schemenhafte treibt, oder auch Markolf Hoffmans (um einen deutschen
Kollegen ins Spiel zu bringen) Zeitalter der Wandlung, das kaum
Platz für wahren Heroismus oder gar Altruismus lässt -, greift
Meißner spielerisch auf und erhebt dieses Prinzip sogar zur Regel.
Wobei "Regel" in diesem Fall mehr als wörtlich zu verstehen
ist, immerhin erschuf Meißner alle 16 Kombatanten in einem dem Rollenspiel
ähnlichen Verfahren, bestimmte durch das Los die Kampfpaarungen und
schlußendlich erwürfelte er ebenso das Schicksal seiner Protagonisten.
Eben jene jedoch sind von solch schauerlicher Mensch- und Unmenschlichkeit,
Tragik und Traurigkeit, dass der Leser immer zwischen Depression und Delirium
gefangen gehalten wird. In der ersten Hälfte des Buches erfahren
alle Mitstreiter eine mehr oder weniger ausführliche Vorstellung.
Dieser expositorische Teil des Werkes, der noch unbefleckt ist von der
Macht des Zufalls, zeigt Meißners schriftstellerische Kreativität.
Optisch hat der Zufall hier jedoch seinen Platz in den wahrlos auf den
Buchseiten verteilten Seitenzahlen erhalten.
Die eigentliche Welt, in der Meißners fantastische Utopie spielt,
bleibt eine Skizze. Krieg herrscht im Land (übrigens ein Merkmal
des utopischen Romans; sei es 1984, Fahrenheit 451 oder
Brave New World, parallel zur eigentlichen Handlung dräut
ein unwirklicher Krieg), es gibt nur wenige große Städte und
überall verspürt man eine depressive und gewalttätige Stimmung.
Dennoch erscheinen die Charaktere gar nicht wie skizzenhafte Stereotype.
Da gibt es Saul, der einen Pflug hinter sich herzieht, wie einst Django
seinen Sarg, und dieses monströse Untier aus Haken, Eisen, Scherben
und Holz als grausame Waffe benutzt, oder einen versehrten Kriegsveteranen,
der einen hölzernen Kiefer und einen feuerroten Degen sein eigen
nennt, oder einen Mann der sich schlicht das Nichts nennt. Das sind nur
drei der durchweg interessanten und moralisch oftmals fragwürdigen
Figuren, die in der Hölzernen einen tödlichen Tanz wagen.
Die Spannbreite ihrer Motive und Triebfedern ist ebenso groß, wie
die Verschiedenheit der Hintergrundgeschichten der Männer. Geltungssucht,
Selbstbestätigung, Schicksal, Suche, Armut, Lebensmüdigkeit
und Geldgier finden neben Hass, Verehrung und Brüderlichkeit alle
durchaus auch mehrfach ihr Pendant in den schillernden Gestalten dieses
Klingenparadieses.
Diesen Figuren ist es auch zu verdanken, dass das Paradies der Schwerter
nicht bloß zur Allegorie über Zufall und Schicksal wird oder
lediglich eine harsche Kritik an Voyeurismus und Gladiatorenspielen (respektive
wohl auch modernerer Unterhaltung: reality TV) bleibt, sondern durch nervenzereißende
Spannung das tragische Schicksal der Gladiatoren mitfühlen lässt.
Ohne diese Beziehung zu den Charakteren, die durch deren Vorgeschichte
aufgebaut wurde, wäre man wohl ebenso wie das Publikum in der Hölzernen
Arena und würde als Leser womöglich in einem ähnlichen
primitiven kathartischen Zustand verharren, der durch Blut, Schweiß
und Tod ausgelöst wird. Denn Meißners Sprache in den Kämpfen
ist eindringlich, der ständige Wechsel der Erzählerperspektive
führt zu einem filmhaften Erlebnis und die Geschwindigkeit der Kämpfe
ist umwerfend.
Das eigentlich abstoßende und zugleich faszinierende Element ist
aber doch die unübertroffene Spannung, die durch die Unvorhersehbarkeit
der Kämpfe aufkommt. Man spürt als Leser das süße
Kribbeln eines ungewissen Kampfes, man setzt unwillkürlich auf den
eigenen Favoriten und weiß doch immer, dass man keinen haben sollte.
Keinen haben kann, denn die Würfel fällen ein ungnädiges
Urteil.
Neben der sprachlichen Eindringlichkeit der Kämpfe verspürt
man aber auch im restlichen Geschehen, dass Meißner ein Experiment
geglückt ist. Mal sind die Vorgeschichten der Kämpfer anekdotenhaft,
dann wieder kommt eine kühle Distanz durch paragraphenhafte Beschreibung
auf oder man verfällt in den Rhythmus des jungen Daimiyo Kriegers,
wenn Meißner staccatohaft und präzise seine Bewegungen und
Kampffiguren beschreibt.
Die Tempuswechsel steigern das Lesegefühl, rücken das Geschehen
bisweilen näher an den Leser (bspw. immer dann, wenn Meißner
das Präsens benutzt). Mal erklärt ein Bewusstseinsstrom die
Gedanken eines Kämpfers und dann weisen nur aphoristische Phrasen
auf das Schicksal eines Kämpen hin. Diese Vielschichtigkeit bewahrt
sich das Buch ohne nur verkopft oder unleserlich zu werden; letztlich
bleibt die Lesefreude und das Grübeln über das Geschehene die
Hauptaufgabe des Lesers und nicht das vielleicht befürchtete Erklimmen
eines kryptischen Elfenbeinturms eines übermütigen Autors.
Ebenso wie das Werk sprachlich ansprechend ist, die dramatis personae
überzeugend skurril auftritt, beweist das Buch aber auch interpretatorischen
Spielraum.
Die existenzialistische Idee, dass man das eigene Sein gerade in Grenzerfahrungen
stärker wahrnimmt (bei Heidegger ist der Mensch sich niemals näher
als im Todesmoment), wird ebenso beleuchtet, wie die Psychologie der Masse,
die Günstlinge erwählt, nach Blut lechzt und irgendwann saturiert
oder frustriert von dannen zieht.
Denn Meißners Hölzerne Arena hat ihren Zenit bereits überschritten,
sie ist die letzte Bastion einer ausgehenden Ära von ehrenhaftem
Kampf, wie der Arenabesitzer Gillet mehrfach betont. Diese paradoxe Perversität,
dieses Ehrverständnis von Kampf auf Leben und Tod wird besonders
deutlich, wenn man einen kleinen Kommentar mit einbezieht, der besagt,
dass das Paradies der Schwerter in Tobias O. Meißners Roman
Neverwake unter dem Titel Rakuen ein berühmter Bestseller
wird. Neverwake handelt von einer Welt der Computerspielligen und von
virtuellem (deswegen moralisch hochwertigerem?) Kampf. Ein solches Spiel
im Spiel findet auch dann statt, wenn der Arenabesitzer scherzhaft die
Siegeschancen für einen Teilnehmer errechnet.
Die Hölzerne Arena ist ein Auslaufmodell für die Welt von Neverwake,
vielleicht eine dystopische Zukunftsvision für unsere Realität,
vielleicht auch ein mahnender Zeigefinger oder einfach nur ein verdammt
spannendes Buch über "Kampf, Zufall und das Gegenteil von Nichts".
(rezensiert von: Philipp
Latz)
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