Bewertet mit Sternen
(Besucher-Rezension):
Eines Morgens reißt ein auf die Erde einschlagender Komet ein Stück
Algerien mit einem Teil des Mittelmeers und einem Stückchen Gibraltar
aus der Erdkruste und schleudert es in den Weltraum. Auf diesem Stückchen
Erde machen sich nun eine handvoll Menschen unfreiwillig auf eine Reise
durch das Sonnensystem und Verne gestaltet die Romanhandlung so, daß
Hauptmann Servadac, der Held der Geschichte, seine Ordonnanz Ben-Zouf,
der russische Graf und Servadacs Rivale Timascheff und all die anderen
erst einmal keine Ahnung haben, was eigentlich passiert ist. Es wird lange
herumgerätselt ob denn die Erde ihre angestammte Umlaufbahn verlassen
habe, da jetzt die Sonne statt im Osten im Westen aufgeht
Ob die
Erde durch den Zusammenstoß mit dem Kometen an Masse verloren habe,
da man nun mit einem Sprung eine Höhe von bis zu 12 m erreichen kann
Dieses Rätselraten bildet zunächst das Hauptmotiv des Romans
- die Beschreibung und Erforschung des Himmelskörpers "Gallia"
nimmt einen Großteil der Handlung in Anspruch. Dynamik wird dadurch
ins Geschehen gebracht, daß sich der Komet in einer elliptischen
Bahn zunächst zur Sonne hin (was die Temperaturen dramatisch ansteigen
läßt) und dann sehr weit von der Sonne wegbewegt. Proportional
zur Entfernung von der Sonne sinken die Temperaturen drastisch ab und
die Bewohner ziehen sich in das Höhlensystem eines aktiven Vulkans
zurück, in dem noch halbwegs erträgliche Temperaturen herrschen
Die Originialausgabe erschien 1877 zweibändig in Paris unter dem
Titel Hector Servadac. Voyages et aventures á travers le monde
solaire, wovon der erste Band am 19. Juli 1877 und der zweite am 7.
November des gleichen Jahres erschien. Der Verlag Bärmeier u. Nikel
hat diesen Roman neu übersetzt und stark gekürzt, wobei besonders,
wie der Verlag mitteilt, die allzu polemischen Äußerungen Vernes
über den im Roman als Händler auftretenden Juden Hakhabut herausgestrichen
bzw. abgemildert wurden. Doch auch in dieser überarbeiteten Ausgabe
werden Vernes Meinungen zu politischen und gesellschaftlichen Themen seiner
Zeit deutlich. Nicht nur bei dem jüdischen Händler wird mit
entsprechenden Äußerungen nicht gespart - auch eine Begegnung
von Hector Servadac mit ein paar Briten auf einem Reststück von Gibraltar
läßt erahnen, wie der Autor zum "Empire" stand
Dieser Roman zählt nicht, wie etwa Die Reise zum Mittelpunkt der
Erde oder 20 000 Meilen unter den Meeren zu Jules Vernes Meisterwerken.
Er ist teilweise einfach nur langweilig. In dieser Geschichte reihen sich
Vermessungsdaten mit Berechnungen zu Masse und Gewicht, Beobachtungen
zum Stand der Sterne, der Sonne und Planeten, der Beschaffenheit von Küstenlinien
und Landschaften aneinander, ohne daß irgendetwas nennenswertes
passiert. Der Verlag unterstützt diese, an einen wissenschaftlichen
Text erinnernde Erzählweise noch, in dem er die Angaben zu Maßen
und Gewichten, Zeit und Entfernungen mit ihren physikalisch-mathematischen
Kürzeln versieht. Hinzu kommt noch, daß der Zusammenstoß
des Kometen mit der Erde zu Beginn der Geschichte von niemandem bemerkt
wird. Weder die heraus gesprengten Teile von Algerien noch von Gibraltar
werden vermißt, so daß man sämtlich glücklich Heimgekehrten
ihre Abenteuer nicht glaubt. Es löst sich alles zuvor Beobachtete
und Berechnete in einem bloßen Traumgespinst auf, daß nur
der Phantasie der Heimgekehrten entsprungen zu sein scheint. Dieses Ende
ist zu einfach und zu glatt, um glaubwürdig zu sein und ist deshalb
auch leider nicht befriedigend.
Die handelnden Personen dieses Romans sind von Verne nicht tiefer ausgeführt
und wirken dadurch eher stereotyp: Hauptmann Servadac und seine Ordonnanz
Ben-Zouf (französische Staatsbürger) sind wahre Musterbeispiele
an Tapferkeit und Loyalität. Sie sind beide durchtrainiert, gutaussehend,
untadelig im Verhalten und verkörpern das Idealbild des patriotischen
Franzosen. Die Briten dagegen werden als unhöflich, machtgierig und
engstirnig geschildert, die jedes Krümelchen Erde zum Eigentum der
britischen Krone erklären wollen und die Hilfe der Franzosen brüsk
ablehnen. Der Jude Hakhabut wird als raffgieriger, nur auf seinen Vorteil
bedachter Geschäftsmann charakterisiert, der mit einer gezinkten
Waage betrügt und nur am Geld interessiert ist. Der Astronom und
Physiker Palmyrin Rosette ist ein schrulliger, kauziger Wissenschaftler,
der eigenbrötlerisch tagelang im ungeheizten Studierzimmer sitzt
und alle anderen für Ignoranten hält. Er träumt vom Ruhm
des Kometenentdeckers und stellt ständig neue Berechnungen und Messungen
an.
Die anderen (einige Spanier, die russische Mannschaft des Schoners Dobryna
und ein paar Briten) bleiben im Hintergrund - sie spielen während
der Handlung kaum eine Rolle, so daß sich Verne gar nicht die Mühe
machte, sie näher zu beleuchten.
Ich hatte bei der Lektüre das Gefühl, daß man beim "Entschärfen"
der polemischen Passagen einiges Essenzielle der Geschichte konsequent
weggestrichen hat.
Jules Verne hat wohl seine politischen und gesellschaftlichen Ansichten
in diesem Abenteuer verpackt, und man müßte ihn eher als zeitgenössische
Gesellschaftskritik denn als Zukunftsroman lesen
Lobend erwähnt seien allerdings abschließend die Illustrationen,
denen die Holzstiche der französischen Gesamtausgabe des Hetzel-Verlages
zugrunde liegen, und die manche Szene dieses eher trockenen Romans beleben
und auflockern.
(rezensiert von: Katerchen)
|
|
|