Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Man nehme ein Tischchen, drapiere eine Weihnachtstischdecke darauf, stelle
einen Teller mit Mandarinen, Nüssen, Spekulatius, Spritzgebackenem
und Butterplätzchen hin, dekoriere das Ganze mit zwei Weihnachtsengelchen
(bitte keine der kitschigen Sorte), zünde mehrere Kerzen an, schnappe
sich zwei Kinder, die man rechts und links von sich auf dem Sofa plaziert,
kuschelt sich zu dritt unter eine Decke und damit hat man die richtige
Atmosphäre geschaffen, um die wunderbaren Geschichten aus Sagenhafte
Weihnacht stilvoll (vor-) zu lesen.
Die Inhalte der Erzählungen sind sehr unterschiedlich und abwechslungsreich.
Die getreue Alte erzählt von der Opferbereitschaft einer alten
Frau. Sie sieht als Einzige eine Katastrophe auf eine große Zahl
von Menschen zukommen, die sich vergnügen und von dem bevorstehenden
Unglück nichts ahnen. Da sie sich allein, krank und halbgelähmt
in ihrem Haus befindet, kann sie nicht zu ihnen laufen und sie warnen.
Großherzig bringt sie sich selbst in Lebensgefahr, um die anderen
zu retten.
Andere Geschichten erzählen von der Natur und den Jahreszeiten, die
märchenhaft personifiziert sind. Der Nordwind möchte
nur spielen, benimmt sich dabei aber so rüde, daß der Winterkönig
ihn den Sommer über einsperren muß und ihn nur im Winter draußen
spielen lassen kann, damit er den Blumen und Früchten kein Leid antut.
Der Schneemann verliebt sich in ein übermütiges Schnee-Elfchen.
Aber wenn ein Schneemann brennende Liebe in seinem Herzen fühlt,
kann die Geschichte eigentlich nicht gut ausgehen. Doch Weihnachtsgeschichten
enden fast immer glücklich, wenn auch manchmal ein bißchen
traurig.
Erstaunt erfährt der Leser, daß die Menschen sich schon vor
langer Zeit über die hohen Heizkosten beklagt haben. Einem Mann,
der darüber jammert, daß er zuviel Geld für das Holz zum
Heizen bezahlen müsse, rät ein anderer, er könne mit einem
Fuder Holz den ganzen Winter auskommen. Er müsse es nur Scheit für
Scheit vom Hof auf den Dachboden tragen, so lange, bis ihm warm werde;
wenn er wieder zu frieren begänne, solle er die Scheite einzeln wieder
heruntertragen, bis ihm warm sei, so würde ihn das bißchen
Holz den ganzen Winter wärmen. Nun, offensichtlich hatte der Mann
weder Frau noch Kinder, sonst hätte es ein ziemliches Gedränge
auf den Stiegen gegeben, wenn alle sich auf diese Weise mit dem Holz hätten
wärmen wollen ;-).
Es gibt Märchen, die auch in jedem anderen Märchenbuch stehen
könnten, wie das vom Teufel, der im Kölner Dom ins Weihwasserbecken
fällt und deshalb mächtigen Ärger mit seiner Großmutter
bekommt oder das Märchen von der Müllerstochter, die eine unerfreuliche
Begegnung mit Räubern hat, während ihre Familie in der Christmette
ist. Dieses Märchen spielt zwar unter anderem am Weihnachtsabend,
die Stimmung ist aber keineswegs weihnachtlich und es geht sehr gewaltsam
zu.
Selbstverständlich dürfen Geschichten vom Christkindchen nicht
fehlen: Der allererste Weihnachtsbaum wird vom fröhlichen
Christkind und dem etwas griesgrämigen Weihnachtsmann geschmückt
und in ein Haus getragen. In Ein Weihnachtsmärchen klopft
ein armes, frierendes und hungerndes Kind eines Winterabends an die Tür
armer Tagelöhner und weil sie es freundlich bei sich aufnehmen, werden
sie reich belohnt. Wer wohl das arme Kindlein war?
Am anrührendsten ist die Geschichte vom Nürnberger Rauschgoldengel,
der dem dortigen Christkindlmarkt den Namen gegeben hat. Sie erzählt
vom Schmiedemeister Erasmus Ebner, der ein herzensguter Mann war und verfolgte
Hugenotten bei sich aufgenommen hat. Einen dieser Gäste, ein Holzschnitzer
aus Lyon, trifft ein schreckliches Unglück. Ebners Frau sinnt darüber
nach, wie sie den trauernden und verzweifelten Mann aufmuntern könnte
und schließlich hat sie einen ganz besonderen Einfall
Es gibt auch gruselige Geschichten in dieser Anthologie, am gruseligsten
ist Die Frühpredigt zu Landsberg, gleichzeitig gehört
sie zu den außergewöhnlichsten Erzählungen.
Normalerweise werden gute und fromme Menschen in Märchen belohnt.
Die Frau, von der diese Geschichte handelt, ist gut und fromm, sie hat
nur das Unglück, daß ihr ein Irrtum unterläuft, an dem
sie keine Schuld trägt und dieser Irrtum wird ihr zum Verhängnis:
Ein altes Mütterchen erinnert sich am Weihnachtsabend, wie sie früher
Heiligabend gefeiert hat. Nun sind all ihre Lieben gestorben: Eltern,
Ehemann und auch die Kinder. Sie ist traurig, betet und geht zu Bett,
am nächsten Morgen um fünf Uhr will sie die Frühmesse nicht
versäumen. Als sie aufwacht, sieht sie, daß es draußen
dämmert, zieht sich rasch an und eilt zur Kirche. Unterwegs trifft
sie auf den Geist eines Ratsherren. Beherzt fragt sie ihn, wie sie ihn
erlösen könne. Er antwortet, sie solle in jener Kirche ein Vaterunser
für ihn beten. Zwar voller Angst, aber gewillt, den unglücklichen
Sünder zu erlösen, betritt sie die Kirche. Dort ist die Gemeinde
schon versammelt. Diese Frühmesse wird für das fromme, barmherzige,
alte Mütterlein zum schrecklichsten Erlebnis ihres ganzen langen
Lebens.
(rezensiert von: Top
Dollar)
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