Worum's geht:
Latro hat in der Schlacht des Großen Königs eine Kopfwunde
erhalten und sein Gedächtnis verloren, und damit seine Identität,
seine Freunde und sein bisheriges Leben. Als ob das nicht schon genug
wäre, vergißt er auch jeden Tag wieder aufs Neue und muß
von vorne beginnen. Aus diesem Grund führt er dauernd eine Schriftrolle
mit sich, in die er bei jeder Gelegenheit seine Erlebnisse notiert, um
sie wieder nachlesen zu können. Bald stellt er fest, daß er
als einziger die Götter sehen und mit ihnen sprechen kann - und er
findet heraus, daß ihm vielleicht die Erdgöttin helfen kann,
seinen Fluch loszuwerden. Er macht sich auf die Reise, erschwert von seinem
ständigen Vergessen, findet einige Freunde - und kann sich dennoch
nie sicher sein, ob ihn die Götter nicht doch nur benutzen...
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Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Für seinen Zyklus um den Soldaten Latro hat sich Gene Wolfe ein wirklich
faszinierendes Konzept einfallen lassen: Die Hauptperson Latro hat ihr
Gedächtnis verloren und vergißt auch das gerade erlebte täglich
wieder. Da man, wie in der Rahmenerzählung um uralte antike Papyrus-Rollen
angemerkt, innerhalb des Buches nichts anderes als Latros sporadische
Niederschriften seiner Tage liest, die er anfertigt, um seine Erlebnisse
nachlesen zu können, wenn er sie wegen seiner Kopfverletzung vergessen
hat, taumelt man beinahe genauso nichtsahnend, verwirrt und zusammenhanglos
durch die Handlung wie der Protagonist selbst. Wie Latro muß man
sich beim Lesen darauf verlassen, daß die Niederschriften möglichst
vollständig sind, daß Latro keinen allzu großen Fehleinschätzungen
aufgesessen ist und daß er alles korrekt notiert hat. Kurzum, Latro
ist einer der unzuverlässigsten Erzähler, die man sich vorstellen
kann - manchmal hat er vor einem neuen Eintrag das bisher aufgeschriebene
nicht lesen können und interpretiert alles falsch oder neu, manchmal
gibt es lange Lücken in der Handlung, wenn Latro keine Zeit zum Schreiben
hatte.
Wie die Hauptfigur weiß man nicht, welche Persönlichkeit Latro
vor dem Gedächtnisverlust war - aber zumindest der "neue"
Latro macht einen liebenswerten Eindruck, und zusammen mit Wolfes gelungenem
Stil (ein vermeintlich ganz einfach gehaltenes Erzählen, das die
komplexen Hintergründe recht gekonnt verbirgt) macht das die einzelnen
Einblicke, die in Latros Suche nach sich selbst gewährt werden, zu
einem Lesevergnügen: Da gibt es eher komische Einlagen, mit einem
tanzenden Gott oder einem turbulenten Hurenhaus, verstörendes mit
düsteren Göttern, durchaus auch actiongeladenere Kampfszenen
und vieles mehr. Latros mit dem Gedächtnisverlust einhergehende Fähigkeit,
die Götter zu sehen, beschert ihm immer wieder Begegnungen der besonderen
Art, und bald interessieren sich auch mächtige Anführer für
den einfachen Soldaten.
So geht es auf einer turbulenten Reise mit wenigen konstanten Freunden
- die sich Latro tagtäglich neu erklären müssen - und etlichen
Brückenfiguren, die immer wieder einmal auftauchen, durch das antike
Griechenland. Wenn man aber Latros Odyssee durchschauen möchte, helfen
einem die Bezüge zur antiken Mythologie und Geschichte, die in Massen
eingestreut sind, nur bedingt weiter, denn Wolfe verwendet für Orte
und Götter übersetzte Namen, wie Latro sie versteht: So wird
aus Sparta Seil, aus Athen Gedanken und so fort. Auch das
auftretende, gar nicht unisono handelnde Pantheon sorgt für Verwirrung.
Man hangelt sich also an Latros unzuverlässigen Tagebucheinträgen
entlang durch unbekanntes Terrain - für ein Gefühl der Fremdheit
und Andersartigkeit ist somit durchaus gesorgt.
An Auflösungen, Zusammenhängen und fortlaufenden, treibenden
Handlungssträngen fehlt es allerdings gewaltig. Jede Szene ist ein
Neubeginn, daran ändert sich bis zum Ende des Buches nichts, und
auch, wenn man als Leser dem Text einige Zusammenhänge abringen kann,
schwimmt man doch mit Latro im Nebel und kann sich zumindest in diesem
Band nur auf die wenigsten Geschehnisse einen Reim machen (da die deutsche
Ausgabe nicht mehr fortgesetzt wurde, ist das besonders unbedfriedigend).
Hinter den meisten Fakten stehen noch große Fragezeichen: Hat Latro
einen Göttin verletzt und erleidet nun die Strafe? Spielen die Götter
nur mit ihm? Ist er ihr Instrument? Wem kann er trauen? Durchaus interessant,
aber es bleibt auf weiten Strecken einfach restlos alles dermaßen
schwammig, daß die Geschichte nur sehr wenig Schwung entwickeln
kann.
Nichts desto trotz hat man aber am Ende ein wenig das Gefühl, gleich
nochmal von vorne beginnen zu wollen, um nun alles besser zu verstehen
- und so gekonnt, wie das Buch geschrieben ist, ist das auch ein ganz
erstrebenswertes Ansinnen ...
(rezensiert von: mistkaeferl)
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