Worum's geht:
Indien, 19. Jahrhundert: Der reiche Händler Ahmed Mudhi kauft während
einer Reise die wunderschöne Safia. Weder ihr Vater noch ihr Ehemann
wissen, daß das Mädchen keine Jungfrau mehr ist. Zum Glück
erkrankt Ahmed Mudhi als die Beiden in seinem Haus angekommen sind, so
daß die Hochzeitsnacht, die für Safia unweigerlich das Todesurteil
bedeuten wird, vorerst nicht stattfinden kann. Die junge Frau wünscht
sich nichts sehnlicher, als aus dem Harem zu fliehen. Sie freundet sich
mit dem Diener Lalit an, und während Safia darauf wartet, entweder
eine Gelegenheit zur Flucht oder, nach der Genesung ihres Mannes, den
Tod zu finden, erzählt sie Lalit eine Geschichte, die sie Nacht für
Nacht weiterspinnt.
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Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
"Schon wieder ein deutscher Autor, dem nichts anderes einfällt,
als Altbekanntes schlecht zu kopieren. Diesmal hat Sheherazade mit ihren
Geschichten aus Tausendundeiner Nacht daran glauben müssen."
Dieser Gedanke drängt sich auf, wenn man die ersten Seiten liest.
Die Sprache ist teilweise übertrieben blumig und malerisch, ungefähr
so, wie sich Klein Lieschen eine orientalische Erzählweise vorstellt,
dann wieder ist sie auf unpassende Weise modern. Farhad, Hauptperson und
Held der Geschichte, ißt ein Gebäck, das nicht "knusprig",
sondern "kross" ist, und der ungebildete, sechzehnjährige
Junge, der weder lesen noch schreiben kann und sich sein Geld im Indien
des 19. Jahrhunderts als Dieb und Betrüger verschafft, sinniert über
den britischen Kolonialismus: Eines Tages hatte Indien plötzlich
einer englischen Gesellschaft gehört, und da kein Land einer Gesellschaft
gehören kann, hatte die britische Krone es im Sinne der Gerechtigkeit
und der größeren Zusammenhänge politischer Korrektheit
einfach übernommen. Ein sechzehnjähriger Analphabet dieser
Zeit ist weder zu solch sprachlich geschliffener Ironie fähig, noch
hat er im Entferntesten die Idee, was es mit der in späteren Jahrhunderten
so wichtigen politischen Korrektheit auf sich hat. Hier kapert die Autorin
ihr Märchen, um sich in Szene zu setzen.
Und plötzlich ist alles ganz anders
Die Sprache wirkt nicht
mehr übertrieben blumig, sondern märchenhaft und bezaubernd.
Gerettet wird die Geschichte aber von ihrem wunderbaren Humor in all seinen
Spielarten, von urkomisch bis melancholisch. Nicht nur, daß Farhad
ein gewitzter Gauner ist, den man gernhaben muß, er hat auch einen
ganz besonderen Gefährten, der über einen herrlich trockenen
Humor verfügt: Nirtish, ein weißer Tiger, der eine Todesangst
vor Wasser hat, da eine Prophezeiung besagt, wenn der salzige Saft des
Lebens mich berührt, das kristallklare Blut der Erde, der Tropfen
des Todes, dann werde ich zu Stein werden, zu hartem, kaltem Stein. Dummerweise
ist Nirtish, der alte, zerzauste, räudige Tiger, der auf einer Insel
festsitzt, dazu bestimmt, Farhad als Reittier zu dienen und muß
daher auf irgendeine Weise, sowohl das Wasser, wie auch seine Angst überwinden.
Das ist nur die erste von vielen gefährlichen Prüfungen, die
die Beiden bestehen müssen. Dieses ungewöhnliche Pärchen,
das mehr Angst als Vaterlandsliebe, besser gesagt, als Lust auf Abenteuer
hat, entspricht so gar nicht der Vorstellung, die man von unerschrockenen
Helden zu haben pflegt. Aber was bleibt ihnen anderes übrig? Gott
Krishna, der sehr zornig werden kann, wenn man seine Anweisungen nicht
erfüllt, hat ausgerechnet Farhad, den Dieb und Betrüger, auserwählt,
seine Tochter zu retten, die von dem Dämonenkönig Ravana entführt
worden ist. Also machen sich der Gauner und der weiße Tiger auf
den Weg, die göttliche Prinzessin zu retten und den Leser die ganze
Skala der Gefühle erleben zu lassen: Man lacht, schmunzelt, fürchtet
um die Helden und die gefangenen Mädchen, die romantisch Veranlagten
dürfen ein wenig dahinschmachten und die Sensiblen werden ein paar
Tränen verdrücken, denn traurig und anrührend ist das Märchen
auch.
(rezensiert von: Top
Dollar)
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