Bewertet mitSternen
(Besucher-Rezension):
Der Roman Die Tore zu Anubis Reich beginnt mit einem Vorwort von
James P. Blaylock.
Er ist selbst Fantasy-Autor und zählt seit den Studientagen in den
frühen 70er-Jahren zu den engsten Freunden Powers'. In diesem Vorwort
erzählt er von einem Unfug, den Powers und er an der Universität
gemeinsam ausgeheckt hatten:
Um ihre Kommilitonen und das Magazin der Universität auf den Arm
zu nehmen, erfanden die beiden einen englischen Dichter der Romantik mit
Namen William Ashbless. Powers und Blaylock verfaßten gemeinsam
nichtssagende Gedichte, in dem der eine eine Zeile "elegische"
Worte zu Papier brachte und das Blatt dann dem anderen hinschob, um die
nächste Zeile darunterzusetzen. Auf diese Weise entstand einiger
Unsinn, der sich düster und bedeutungsschwer anhörte. Powers
und Blaylock spielten der Redaktion der Uni-Zeitung diese Machwerke zu
mit dem Hinweis, sie hätten die Gedichte des Romantikers William
Ashbless wieder entdeckt und wollten ihn nun unbedingt bekannt machen.
Die Redaktion war begeistert und veröffentlichte die merkwürdigen
Ergüsse dieses bis dahin unbekannten Dichters. Tim Powers und James
P. Blaylock wurden in ihrer Universität von allen ob der Entdeckung
dieses "großartigen Dichters" gewürdigt
Dieses Vorwort stellt ein witziges aber dennoch bedeutendes Detail in
diesem Roman dar, denn mit dem Wissen um diesen Hintergrund erhält
die ganze Geschichte ein schelmisches Augenzwinkern
Dieser William Ashbless, der übrigens auch in einem von Blaylocks
Romanen vorkommt, den er zeitgleich und unabhängig von Powers Anubis
Gates verfaßt hatte, bekommt mit dieser Geschichte so etwas
wie eine eigentümliche Biographie
Powers hat einen Roman vorgelegt, in dem Lücken im Raum-Zeit-Kontinuum
thematisiert werden. Diese Thematik ist im Bereich der Fantasy nichts
Neues oder gar ungewöhnliches, doch Tim Powers hat dieses Thema in
seinem Roman auf interessante Weise aufgegriffen:
Die Geschichte beginnt im Jahr 1983: Professor Brendan Doyle, die Hauptfigur,
erhält von einem gewissen J. Cochran Darrow, einem Industriellen,
das Angebot, einem Vortrag des Dichters und Denkers Samuel Taylor Coleridge
im London des Jahres 1810 beizuwohnen. Darrow hat während langwieriger
und geheimer Forschungen entdeckt, daß im Raum-Zeit-Gefüge
so genannte "Spalten" existieren, durch die man von einer bestimmten
Zeit in eine andere gelangen kann. Professor Doyle nimmt das Angebot an
und findet sich bald darauf im London des Jahres 1810 wieder
Während dieser Zeitreise passieren einige "Zufälligkeiten"
und gleichsam nach dem Motto: Zufall ist Schicksal - Schicksal ist
niemals Zufall wird dem Leser sehr anschaulich und eindringlich vor
Augen geführt, was geschehen würde, würde man in das empfindliche
Netz der Zeit eingreifen. Obwohl hier alles auf den ersten Blick nach
"Zufall" aussieht, ist eben gar nichts Zufall, sondern vom Schicksal
so gewollt
Der Roman ist in zwei "Bücher" unterteilt und innerhalb
davon sind die relativ langen Kapitel vom Verlag in überschaubare
Abschnitte eingeteilt worden, so das man sehr gut von Abschnitt zu Abschnitt
lesen kann. Auf diese Weise verliert man nicht so leicht den Faden, auch
wenn man immer nur ein paar Seiten liest. Diese Einteilung des Lesestoffes
ist sehr angenehm und auch sprachlich hat man einen routiniert geschriebenen
Text vor sich. Es gibt keine groben sprachlichen Schnitzer und die Wahl
der Ausdrucksweise ist dem Milieu angepasst, in welchem die entsprechende
Textpassage gerade spielt. Man hätte jedoch ein wenig sorgfältiger
auf Fehler achten müssen, die in dieser Ausgabe leider reichlich
zu finden sind.
Das erste Buch Das Gesicht unter dem Pelz beginnt mit der Flugreise
Professor Brendan Doyles nach London, wo er mit dem alten, verschrobenen
aber sehr reichen und schwer an Krebs erkrankten Industriellen J. Cochran
Darrow zusammentrifft. Dieser macht ihm das ungeheuerliche Angebot, mit
ihm und weiteren ausgesuchten "geladenen Gästen" in das
Jahr 1810 zurückzureisen, um einem Vortrag des Dichters und Denkers
Samuel Taylor Coleridge zuzuhören und Doyle, ein großer Verehrer
Coleridges, sagt nach einigem Zögern zu. Der "Sprung durch die
Zeit" wird vollzogen und man besucht die Lokalität in welcher
der Dichter sprechen soll. Als die kleine Gesellschaft nach Coleridges
Vortrag jedoch die Reise zurück in das Jahr 1983 antreten soll, wird
Doyle zuvor entführt. Er kann sich zwar aus der Gewalt des Entführers
befreien, doch die "Spalte" hat sich inzwischen wieder geschlossen
und Doyle ist nun im London des Jahres 1810 gefangen
Zu Beginn schleppt sich die Handlung etwas: Doyle bemüht sich, sich
in der für ihn fremden Zeit zurecht zu finden, stolpert zunächst
von einer unangenehmen Situation in die nächste - er trifft auf äußerst
zwielichtige Gestalten, von denen es manche zwar gut meinen, die meisten
anderen ihm jedoch ans Leben wollen. Doyle ist fast bis zum Ende des ersten
Buches ausschließlich damit beschäftigt, sich seiner Haut zu
wehren, vor irgendetwas oder irgendjemandem zu fliehen oder sich zu verstecken.
Von den im ersten Buch auftretenden Personen bleiben die meisten ziemlich
unnahbar: Mit keiner der hier beschriebenen Figuren bestanden für
mich irgendwelche Identifikationsmöglichkeiten und auch die Motivation
der Handlungen der einzelnen Figuren entzog sich oftmals meinem Verständnis.
Gegen Ende des ersten Buches gewinnt die Handlung zunehmend an Spannung
und Tempo und im zweiten Buch Die zwölf Stunden der Nacht
wird es kurzweiliger und interessanter. Begebenheiten, an denen man im
ersten Buch noch ratlos herumgerätselt hat, klären sich nach
und nach mehr oder weniger auf, wobei dennoch die Beweggründe einzelner
handelnder Personen nach wie vor im Verborgenen bleiben
Die magischen Ereignisse und das "Wesen" der angewendeten Magie
treten jetzt in den Vordergrund und es wird schnell klar, das es sich
dabei um eine höchst "ungesunde" Form von Magie handelt.
Das Wissen um deren Beherrschung wurde von den beteiligten Magiern seinerzeit
zu einem sehr hohen Preis erkauft
Alles endet dramatisch auf magisch-mystische Weise und Brendan Doyle ist
nach all diesen spektakulären Ereignissen ein ganz anderer Mensch
geworden. Trotz aller Spannung und interessanter Wendungen hat mich die
Lektüre dieses Romans von Tim Powers dennoch ein wenig unbefriedigt
zurückgelassen:
Mit der Unnahbarkeit der Figuren und den schwer nachvollziehbaren Beweggründen
- vor allem der Magier - hatte ich Schwierigkeiten: In die Personen konnte
ich mich einfach nicht richtig hineindenken - ihre Gedanken und Gefühle
blieben mir weitgehend fremd und verschlossen und ich habe auch nicht
verstanden, warum man sich in die Sklaverei einer despotischen Magieform
begibt, wenn man letztendlich nichts von seinen (sowohl seelisch als auch
körperlich qualvollen) Bemühungen hat. Streckenweise fühlte
ich mich während der Lektüre wie ein unbedarfter Zuschauer,
der sich eine ihm unbekannte Oper ansieht, und es zuvor versäumt
hat, das Programmheft genau durchzulesen
Letztlich war für mich das "Zeitreise-Gedankenspiel" das
Interessanteste an diesem Roman: Gut nachvollziehbar und in seiner logischen
Konsequenz weit mehr als beunruhigend
(rezensiert von: Katerchen)
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