Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Strenggenommen ist der Titel des Buches Weihnachtsspuk nicht ganz
passend. Viele Spukgeschichten spielen einfach nur im Winter, ohne einen
direkten Bezug zum Weihnachtsfest zu haben, manche Geschichten erzählen
zwar vom "Zauber der Weihnacht", die guten Geister, die dort
wirken, sind aber freundliche Menschen und keine übernatürlichen
Wesen, und dann gibt es noch Eine Geschichte aus Ross-shire von
William Roy Mackenzie, in der sich ein Whiskyschmuggler vehement gegen
einen Zollbeamten zur Wehr setzt und ihn verletzt. Nun spielt diese Geschichte
zwar zur Weihnachtszeit, aber unter einer "weihnachtlichen Geschichte"
stellt man sich doch etwas anderes vor.
Eine andere Geschichte, die nicht zum Titel Weihnachtsspuk passen
will, ist Veilchen und Erdbeeren im Schnee von Shena Mackay. Sie
erzählt von einem Alkoholiker, der Weihnachten in einer psychiatrischen
Klinik zwischen Süchtigen, Traumatisierten und geistig Verwirrten
verbringen muß und Besuch von seinen Kindern erhält - eine
ungewöhnliche Weihnachtsgeschichte, die zu Herzen geht.
Doch es gibt viele andere Geschichten, die unheimlich und gruselig sind
und in denen es nicht mit rechten Dingen zugeht. Robert Louis Stevenson
erzählt in Markheim von einem heimtückischen Mord. Als
der Mörder am Ort des Verbrechens von einem seltsamen Besucher überrascht
wird, der ihn vor dem früher als üblich heimkehrenden Hausmädchen
warnt, glaubt Markheim, daß ihm der Teufel gegenübersteht,
der ihm auch prompt einen Pakt anbietet. Doch wie es sich am Ende herausstellt,
verfolgt der unheimliche Besucher ganz andere Absichten
Schau nicht zurück von Belle MacDonald ist eine gruselige
Adaption der biblischen Geschichte von Lots Weib, in der alles vorhanden
ist, was zu einer zünftigen Spukgeschichte gehört: eine einsam
gelegene Burg, die hell erleuchtet ist, von ferne hört man Musik
und Gelächter. Eine Jagdgesellschaft amüsiert sich beim Tanz,
die Tafel biegt sich vor lauter herrlichen Köstlichkeiten, mit denen
die Gäste bewirtet werden. Es ist der Glückstag der alten Bettlerin,
die dort Einlaß gefunden hat, denn der Koch füllt ihren Korb
reichlich mit den für die Herrschaften zubereiteten Delikatessen.
Wenn nur die jugendliche Festgesellschaft sich nicht so seltsam benehmen
würde
Viele werden sich daran erinnern können, daß sie als kleines
Kind irgendwann einmal in ihrem Bettchen aufgewacht sind und voller Verzweiflung
festgestellt haben, daß die Mama nicht da ist. Wie groß war
die Freude und die Erleichterung, wenn sie, als sie das Weinen hörte,
aus einem anderen Zimmer angelaufen kam. Von einer ähnlichen Erfahrung
erzählt Margaret Oliphant in ihrer unheimlichen und bewegenden Geschichte
Die offene Tür. Im 19. Jahrhundert kehrt eine Familie aus
Indien nach Schottland zurück. Der Sohn Roland ist etwas kränklich
und weil ihnen die anderen Kinder weggestorben sind, sorgen sich die Eltern
um diesen Sohn besonders. In der Nähe ihres Hauses liegt die Ruine
des früheren Herrschaftshauses, die nur noch aus bruchstückhaften
Gebäuderesten besteht, unter anderem ist noch ein Giebel mit Mauerwerk
und einem offenen Eingang erhalten, der völlig frei da steht - eine
offene Tür mitten im Gelände, ein ziemlich skurriler Anblick.
Einige Zeit nach dem Einzug erkrankt Roland schwer, die Eltern fürchten
um sein Leben. Er will zunächst nicht sagen, was ihm fehlt, doch
dann rückt er mit der Sprache heraus: Jedesmal, wenn er im Park an
der alten Ruine vorbeikommt, hört er einen gotterbärmlichen
Schrei. Niemand ist zu sehen, aber Roland hört ein leises Weinen
und ein jämmerliches Rufen: "Mutter, laß mich rein! Mutter,
laß mich rein!" Roland ist von dem Gedanken besessen, dem unsichtbaren
Wesen, das so verzweifelt nach seiner Mutter schreit, zu helfen. Aber
ruft da wirklich ein Gespenst, das Hilfe benötigt? Oder ist es Roland,
dem dringend geholfen werden muß?
Das Weihnachtsfest des Försters ist eine besonders warmherzige
Geschichte, in der man den Zauber der Weihnacht verspürt, weil keine
überirdischen Wesen helfend eingreifen, sondern weil ein freundlicher
Großgrundbesitzer eine gute Tat vollbringt, die zur Folge hat, daß
ein alter Förster felsenfest an den Nikolaus glaubt.
Bei dieser Gelegenheit soll noch lobend erwähnt werden, daß
in keiner der Geschichten der Weihnachtsmann auftaucht, der ja weniger
für eine stimmungsvolle Weihnachtszeit, sondern mehr für Kommerzialisierung
und Konsumrausch steht. In diesen Geschichten bringt der Heilige Nikolaus
an Weihnachten die Geschenke und sorgt für die rechte weihnachtliche
Stimmung, jedenfalls so lange sie nicht von bösartigen Wesen aus
der anderen Welt gestört wird, z.B. wenn Kobolde eine Frau entführen
wollen, wie in der kurzen Sage von der Insel Shetland In einer Winternacht.
(rezensiert von: Top
Dollar)
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