HERR DER RATTEN
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Wertung: 4 von 5
1 Rezension
-Heiseres Geschrei tönte über den Platz vor der Kathedrale, wo die Menge darauf wartete, ein Schwein hängen zu sehen.-
1
Zyklus/Band Weiße Krähe (1)
Autor Mary Gentle
Original Rats and Gargoyles
Erscheinungsjahr 1990, dt. 1996
Verlag Heyne
ISBN 3-453-09476-X
Subgenre Science Fantasy
Seitenzahl 671
Probekapitel -
Worum's geht:
In der gewaltigen Metropole, die Das Herz der Welt genannt wird, brodelt es. Die Menschen leben unterdrückt von den Rattenlords, sie werden aber wegen ihrer Handwerks-Mysterien benötigt, denn deren Strukturen prägen die Welt. Doch die Anhänger des Hauses Salomon um den Meister-Bauer Falke wollen nicht länger Tempel für andere bauen und die Verschwörer um den Priester Plessiez wollen den Rattenkönig von der weltlichen Herrschaft der Dekane, den 36 Inkarnationen des Göttlich-Dämonischen, befreien. In diese Verschwörungen hinein gerät der junge Lucas, ein Student an der Universität des Verbrechens, der sich prompt in die ältere Frau Weiße Krähe verliebt, eine Schüler-Soldatin des Unsichtbaren Kollegs. Langsam spitzen sich die Ereignisse zu und niemanden ist klar, wer in dem Gewirre die Fäden in der Hand hält, an deren Ende das Ende der Welt stehen könnte...

Bibliotheka Phantastika verleihtSterne:
Das Herz der Welt ist eine monströse Stadt, die sich bis an den Horizont erstreckt - die Zahl der Einwohner läßt sich nicht einmal schätzen. In und unter der Stadt spielt sich das ganze Geschehen der Geschichte ab. Auch wenn vieles an die Renaissance erinnert, wie Rapiere, Musketen, Kutschen und architektonische Kunstwerke, gibt es doch auch viele andere Details, wie Luftschiffe, Fotoapparate, Mikrophone samt Lautsprecheranlage sowie eine U-Bahn. Noch sonderbarer sind aber die Paradoxa; so gibt es fünf Himmelsrichtungen (Nord - West und Aust), die jeweils in einem 90° Winkel auf einem 360° Kreis liegen oder das merkwürdige Verhältnis von feststehendem Schicksal und beeinflußbarer Zukunft. Diese magischen Elemente, wie das Wirken von Magie insgesamt, sind der hermetischen Magia der Renaissance entliehen; Talismane, Tarot-Karten, astrologische Tabellen und insbesondere das Prinzip der Korrespondenz spielen eine große Rolle, Zauberstäbe und Feuerbälle keine.
Die Zahl der auftretenden Figuren ist überwältigend. Da ist der Priester Plessiez, eine schwarze humanoide Ratte, die mittels Nekromantie plant, den Rattenkönig von der Herrschaft der Dekane zu befreien und dazu gewillt ist über Leichen zu gehen (besonders, wenn es nur die Leichen von niederen Menschen sind), ein wichtiges Hilfsmittel ist das Königsgedächtnis, ein besonders geschulter Geist, der jedes Gespräch fehlerfrei wiedergeben kann - diese Person ist Zar-bettu-zekigal, eine lesbische Katayanerin, eine Mischung aus Frau und Affe, die sich ständig verliebt. Zusammen mit Lucas wohnt sie in der Holzschnitzerstraße. Dieser ist der Erbsohn der königlichen Dynastie von Candover, der an der Universität des Verbrechens studiert; die beste Vorbereitung auf den Thron. Lucas eignet sich am besten als Identifikationsfigur, da er ebenso wenig wie der Leser überblicken kann, was vor geht. Aus bloßer Verliebtheit zu Valentine, der Weißen Krähe, die in der selben Straße wohnt, versucht er ihr zu helfen. Diese dreißigjährige Frau ist eine Schüler-Soldatin, eine in der Magia und im Schwertkampf bewanderte Frau. Anfangs möchte sie mit der ganzen Sache nichts zu schaffen haben, aber der Lord-Architekt Baltazar Casaubon kann die Meister-Ärztin überzeugen. Casaubon ist ein gewaltiger, fetter Mann, jovial und gutmütig, der ganz wie Lucas in Valentine verliebt ist. Neben ihm ist der Rädelsführer der Tempelbauer, Meister Falke, nur ein Stümper, aber wenn es Falke gelingen sollte das letzte Wort, Seshat, zu finden, könnte er zum richtigen Zeitpunkt einen Tempel bauen, der die Menschen befreit. Schließlich ist da der Dekan Spagyrus, ein Gott-Dämon, Herr von Mittag und Mitternacht, dem seine alchemistischen Experimente wichtiger scheinen als die Verschwörungen seiner Diener. Viele der Figuren sind umfassend gebildet oder sehr schlau, es gibt kaum einen einfachen Schlagtod oder Langfinger, auch wird ihnen kaum Raum zur Entfaltung zu gestanden. Dafür aber sind es keine geraden Typen, es ist keine Schönheit dabei, kein Muskelprotz oder hagerer Herrscher, sie alle sind ein wenig sonderbar und eigentümlich. Einigermaßen ungewöhnlich ist auch die schiere Zahl der starken Frauenfiguren, deutlich mehr als die Hälfte der aktiven Figuren sind weiblich.
Die Autorin erzählt eine Vielzahl von Geschichten, die einander überkreuzen. Die meisten davon sind in irgendeiner Form Verschwörungen. Im Kern stehen jedoch die Bemühungen von Plessiez und Falke den Status Quo endgültig zu verändern und Valentines Bemühungen das Ende der Welt zu verhindern. Aufgrund der zahlreichen Handlungsstränge wirkt die Geschichte sehr wirr, es scheint, als ob sich die Autorin selbst nicht immer im klaren sei, wohin die Reise gehen soll, denn mindestens ein Strang verläuft ins Leere.
Daß einige Figuren sehr spät eingeführt werden, die Paradoxa des Settings und die Tendenz der Autorin wenige Überblicksinformationen zu geben und die wenigen nur sehr beiläufig, macht das Verständnis nicht leichter. Hinzukommt, daß die Autorin gerne und ausführlich Details beschreibt - so sind die Kern-Plots nach etwa 600 Seiten abgeschlossen, aber es folgen noch ungefähr 70 Seiten. Dennoch ist die Geschichte interessant, einige Stränge sind sogar sehr spannend und die Auflösung um Valentines Strang ist sehr ungewöhnlich - kurzum: Es wird viel magisches, phantastisches und originelles geboten.
Auch wenn diese Geschichte Teil des White Crow Zyklus' ist, sind kaum Anknüpfungspunkte zu den anderen Geschichten zu finden, selbst die zwei wiederkehrenden Charaktere - Valentine und Casaubon - verändern sich von Geschichte zu Geschichte.
Der Schreibstil ist dem Verlauf der Geschichte angemessen, denn die Autorin benutzt häufig mittellange Sätze, deren Duktus nicht immer leicht zu folgen ist. Die Wortwahl ist zumeist angemessen, so ist die Ausdrucksweise der Figuren bisweilen recht derb. Allerdings ist die Übersetzung nicht immer gut - Scholar-Soldier wird mit Schüler-Soldat übersetzt; "Gelehrter-Soldat" oder "Lehrer-Soldat" wäre treffender gewesen, am besten wäre es vielleicht den ersten Teil gar nicht zu übersetzen: Scholar-Soldat.
Das Titelbild ist bescheiden, aber dafür gibt es kommentierte Holzschnitte, die das Geschehen z. T. sehr treffend wiedergeben, aber in jedem Fall gut zur Gesamtstimmung passen.
(rezensiert von: Theophagos)


Wertung
gesamt
Welt
Aufmachung
Sprache
Story
Karte
Personenglossar
Sachglossar
Hinweise zu Sprache/Aussprache
Illustrationen
Zeichnungen/Sonstiges

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Das große Rennen

Fazit: Dieses wahnwitzige, verwirrende Konglomerat von Verschwörungen um den Untergang der Welt, den die Weiße Krähe verhindern will, ist ein schwer zu bewertendes Stück Urban Fantasy; ein Meisterwerk mit massiven Mängeln.


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