DAS HOHE HAUS
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1 Rezension
-Das Hohe Haus, Abendsee, das seine Giebeldächer zwischen den großen Hügeln erhebt, die eine Landschaft voller Efeu, Rotdorn und Brombeersträuchern überragen, deren Früchte so süß und klein sind wie die Fingerspitze eines Kindes, das Hohe Haus haben normale Sterbliche nur selten gesehen.-
Ein großes Haus
Zyklus/Band Abendsee (1)
Autor James Stoddard
Original The High House
Erscheinungsjahr 1998, dt. 2000
Verlag Bastei Lübbe
ISBN 3-404-20381-X
Subgenre High Fantasy
Seitenzahl 443
Probekapitel -
Worum's geht:
Carter wächst als Sohn von Lord Ashton Anderson in dem geheimnisvollen alten Herrenhaus Abendsee auf. Seine glückliche, wenn auch durch den Verlust der Mutter etwas einsame Kindheit verbringt er mit Enoch, dem Uhrenwächter, Chant, dem Lampenentzünder, dem Butler Brittle und dem übrigen skurrilen Personal des Hauses. Jedoch wird der Friede durch die Präsenz seiner Stiefmutter, der kalten und intriganten Lady Murmur, getrübt. Als Carter den Schlüsselbund seines Vaters durch eine List Murmurs an das Oberhaupt der Anarchistengesellschaft verliert und diesem somit ungewollt den Zutritt zum Anwesen verschafft, wird Carter der Obhut von Freunden Lord Ashtons anvertraut, da der Verbleib in Abendsee zu gefährlich für ihn wird. Jahre später kehrt er in Begleitung des jungen Anwalts William Hope zurück: Lord Ashton ist spurlos verschwunden, das Haus steht ohne Herr da, die Anarchisten stiften noch immer Unfrieden - und Lady Murmur sähe lieber ihren eigenen Sohn, Carters Halbbruder Duskin, als Erben des Hauses. Gegen alle Widerstände versucht Carter mit Hopes Hilfe, die Geschäfte seines Vaters zu übernehmen, doch Gefahr und Verantwortung sind groß, denn er weiß, dass Abendsee weit mehr als nur ein verwinkeltes englisches Landhaus ist.

Bewertet mitSternen (Besucher-Rezension):
In der Fantasy spielt der Schauplatz eine eigenständige Rolle. Dies versichert uns George R. R. Martin, und wer jemals in Westeros, Mittelerde, Hogwarts oder Narnia gewesen ist (andere mögen an dieser Stelle Zamonien, Gormenghast, Glorianas Schloss oder New Crobuzon einfügen), der wird ihm lebhaft beipflichten. Dieser Satz trifft auf wenige Fantasies so stark zu wie auf Stoddards Debütroman. Abendsee, das Hohe Haus, ist der eigentliche Star dieser Geschichte. Es macht einfach Spaß, sich in seinen Räumen und Fluren aufzuhalten. Abendsee vermittelt dem Leser das warme Kribbeln im Unterleib, dass man nur dann empfindet, wenn man es sich in einem vertrauten, gemütlichen Zimmer bequem gemacht hat, und den angenehmen Schauer, der einem den Rücken hinunterläuft, wenn man ein labyrinthisches Schloss oder eine alte Bibliothek erkundet.
Abendsee ist im wahrsten Sinne des Wortes ein gewaltiges Phantasiegebäude. Sein Inneres wird von Flüssen durchkreuzt und sogar von, ähem, hausgemachten Naturkatastrophen heimgesucht. Es umschließt Fürstentümer und Ozeane, Urwälder und Agrikulturen. Enge Korridore und Geheimgänge wechseln sich mit majestätischen Hallen ab. Mal trifft man monatelang kein lebendes Wesen, wenn man seine Zimmerfluchten durchstreift, mal bereist man dichtbevölkerte Reiche. Auf den Dachböden hausen Drachen und in den Kellern Raubtiere, die sich als Möbel tarnen. Es gibt immens viel zu entdecken!
Es sei bei all dem darauf hingewiesen, dass es nicht etwa um eine konventionelle Parallelwelt geht, in die man durch eine magische Pforte oder ähnliches eintritt, sondern es handelt sich um ein wirkliches Haus, das ein Universum für sich darstellt. Es sind Salons, in denen tropische Vegetation alles überwuchert, Flure, in denen über Meilen der Nebel wabert, Säle, in denen Märkte abgehalten werden, und Innenhöfe, auf denen Getreide kultiviert wird. Von außen sieht Abendsee wie ein ganz gewöhnliches Herrenhaus mit leicht verwunschener Atmosphäre aus, das sich mit seinen Türmchen, Galerien, Wasserspeiern und Bogenfenstern als architektonisches Durcheinander präsentiert. Doch wenn man von den Inneren Räumen aus, in denen der Herr von Abendsee residiert, durch gewisse Türen schreitet, gelangt man in den Langen Gang, der die Länder des Weißen Zirkels miteinander verbindet, welche dem Herrn des Hauses die Treue geschworen haben. Hat man den Weißen Zirkel durchquert, so schließen sich zahlreiche weitere Reiche und Landstriche an, die teils mit dem Herrn und seinen Verbündeten in Frieden leben, teils kriegerische Absichten hegen. In den verschiedenen Ländern haben sich gelegentlich skurrile Gesellschaftssysteme entwickelt - so genießen in Gegenden mit Dielenböden und hölzernen Geländern und Wandverkleidungen die Feuerwehrleute das höchste Ansehen, während anderswo die Kaste des häuslichen Reinigungspersonals sogar die Regierung stellt. Dies mag zur Erläuterung genügen, ist aber bei weitem nicht alles, da man am besten selbst die labyrinthartige Architektur des Hohen Hauses erkundet und seine phantastischen Bewohner kennenlernt.
Das Hohe Haus ist eine Hommage an die Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger von Lin Carter herausgegebene Reihe Adult Fantasy, in der stilbildene Werke von AutorInnen wie Lord Dunsany, Poul Anderson, Hope Mirrlees, George MacDonald, James Branch Cabell und Joy Chant erschienen. Unter diesen Autoren sind auch Stoddards Vorbilder zu suchen, und entsprechend steckt Das Hohe Haus voller Anspielungen und Querverweise, die auf liebevolle Art in den Roman integriert wurden, so dass niemals die Eigenständigkeit unter der Größe der Vorbilder leidet. (Ein größerer Unterschied zwischen diesem Vorgehen und einem Werk wie etwa Christoph Marzis Lycidas, das aus Versatzstücken von Dickens, Miéville und Gaiman zusammengeschrieben wurde, ist kaum denkbar!) Die Handlung scheint im viktorianischen England zu spielen. Es könnte sich aber auch um einen gewollten Anachronismus handeln, da Stoddards wohl größtes Vorbild, George MacDonald, in dieser Zeit lebte. Abendsee selbst liefert in dieser Hinsicht kaum Anhaltspunkte, da sich hier Ritterheere bekämpfen, während anderswo Männer in Hüten und dunklen Mänteln mit Pistolen und Messern aufeinander losgehen. In der Tat macht gerade auch dieses kunterbunte Durcheinander den Reiz der Geschichte aus. Der kosmologische Hintergrund von Abendsee wird eher im Vorbeigehen gestreift, was ihn für weitere Romane ausbaufähig macht. (Das Hohe Haus ist ein abgeschlossener Roman, eine Fortsetzung ist bereits unter dem Titel Rückkehr nach Abendsee, im Original The False House, erschienen.)
Der Plot selbst ist, wie viele Fantasyromane, eine geradlinige Abenteuergeschichte mit Ansätzen zum Entwicklungsroman. Carter und seine Verbündeten bekämpfen die Gesellschaft der Anarchisten, deren Ziel - Bescheidenheit ist ihre Sache nicht - die völlige Vernichtung des Universums ist. Wer hier konservative Instinkte wittert, liegt ganz richtig: Die traditionellen Staatssysteme der verschiedenen Reiche von Abendsee sind stets volksnah und sinnstiftend, während die Anarchisten verantwortungslose Brandstifter und Hetzredner sind, berauscht von ihrer eigenen Machtgier und Zerstörungswut. Da aber die Absicht der Anarchisten keineswegs wie im politischen Anarchismus die Errichtung einer herrschaftsfreien Gesellschaft ist, sollte man die politische Lesart nicht überstrapazieren. Allenfalls ließe sich sagen, dass "Gesellschaft der Nihilisten" vielleicht ein passenderer Name gewesen wäre, da eher den Zielsetzungen dieser Bösewichter entsprechend.
Auffällig ist, dass Stoddard auf explizite Sex- und Gewaltdarstellungen vollständig verzichtet und sich somit von vielen zeitgenössischen Fantasyautoren stark abhebt, was den Roman auch für Kinder gut lesbar macht. Tiefgehende Charakterzeichnungen sucht man außer bei der Hauptfigur vergeblich, herauszuheben ist aber auf jeden Fall, dass Stoddard dem Gros der Fantasyautoren stilistisch überlegen ist. Ein starkes Manko stellt in meinen Augen die Bastei-übliche schlampige Aufmachung des Taschenbuchs dar. Was die fünf keulenschwingenden Hampelmänner mit Greif, Hund und Burg auf dem Cover dieses Romans zu suchen haben, ist mir schleierhaft. Aber dafür kann der Autor natürlich nichts.
(gelesen von: Marengo)

Wertung
gesamt
Welt
Aufmachung
Sprache
Story
Karte
Personenglossar
Sachglossar
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Fazit: Der ganz große Wurf ist James Stoddard mit Das Hohe Haus noch nicht gelungen, doch handelt es sich hier um ein Talent, das man im Auge behalten sollte. Ein Erstlingsroman, der vor allem Spaß beim Lesen macht.


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