Worum's geht:
Vor zwölf Jahren gab es im Wunderland einen Bürgerkrieg, von
dem sich das Land nur langsam erholt hat. Jetzt herrscht ein brüchiger
Friede. Die Matriarchinnen der Familien Karo, Kreuz und Pik neiden Genevieve,
der Königin aus der Herzdynastie, ihre Macht. Doch ihre größte
Feindin entstammt der eigenen Familie, es ist Genevieves Schwester Redd.
Prinzessin Alyss verschwendet keinen Gedanken an Krieg. Sie feiert heute
ihren siebten Geburtstag. An der Parade, die ihr zu Ehren veranstaltet
wird, findet sie keinen rechten Gefallen. Sie wartet sehnsüchtig
auf die Heimkehr ihres Vaters. Er war zu König Arch von Grenzland
gereist, um ihn für eine Allianz gegen Redd zu gewinnen, deren Truppen
sich Berichten zufolge zum Angriff rüsten. König Nolan wird
jeden Moment zurückerwartet, doch Alyss' Vater kommt nicht nach Hause
- niemals mehr. Redds Soldaten haben ihn und seine Männer niedergemetzelt.
Danach stürmen sie den Palast, ermorden die Königin und jeden,
dessen sie habhaft werden können. Mac Rehhut, der Leibwächter
der Königin, packt Alyss und springt mit ihr in den Spiegel. Doch
im Teich der Tränen werden die beiden getrennt. Mach Rehhut landet
im Paris des Jahres 1895 und Prinzessin Alyss im viktorianischen London.
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Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Ihr kennt doch sicher die Geschichte von Alice im Wunderland. Bestimmt
habt Ihr irgendwann einmal das Buch von Lewis Carroll gelesen oder eine
Verfilmung davon gesehen. Erinnert Ihr Euch an die Königin, die jeden,
der ihr widersprach, umbringen lassen wollte, und die ständig "Kopf
ab, Kopf ab" rief? Die war witzig, nicht??? Wenn Ihr das denkt, dann
solltet Ihr einmal Alyss fragen, wie es war, als Redd mit ihrer Mordtruppe
den Palast stürmte und jeden töten ließ, der sich ihr
in den Weg stellte. Fragt sie, wie es war, als der grinsende Kater den
Hauptmann der Palastgarde mit einem Prankenhieb zerfetzte. Ihr könnt
versichert sein: Das war nicht witzig! Gott sei Dank blieb Alyss es erspart,
mit ansehen zu müssen, wie ihre Tante Redd ihrer Mutter eigenhändig
den Kopf abschlug.
Reverend Dodgson hat gewußt, wie es war, als er Alice' Abenteuer
unter der Erde schrieb, das Buch, das er später unter dem Pseudonym
Lewis Carroll veröffentlichte und das unter dem Titel Alice im
Wunderland weltberühmt wurde. Alyss hat ihm ihre wahre Geschichte
erzählt, damals bei dem Ausflug, als sie als Adoptivtochter bei den
Liddells lebte und "Alice" genannt wurde. Aber er hat ihr nicht
geglaubt, er hat sogar ihren Namen falsch geschrieben, wie alle anderen
in der realen Welt auch und er hat es vorgezogen, eine alberne Geschichte
für Kinder daraus zu machen. Reverend Dodgson hat sich über
Alyss lustig gemacht und sie hintergangen. Erst viel später hat ein
anderer die wahre Geschichte von Alyss im Wunderland aufgeschrieben. Sein
Name ist Frank Beddor und er hat diese Aufgabe mit Bravour gemeistert.
Alyss wahre Geschichte ist aufregend, blutig und nichts für schwache
Nerven, doch sie ist auch voller Hoffnung, denn neben all den Grausamkeiten,
die sie beschreibt, erzählt sie auch vom Sieg der Weißen Phantasie
über das Böse. Spannend und atemberaubend schildert Beddor den
Kampf zwischen Alyss und ihren Getreuen und der abgrundtief bösen
Redd und deren Verbündeten, aber er vermag auch die leisen Töne
anzuschlagen. Er benötigt nur wenige Worte, um den Leser an der Traurigkeit
des Leibwächters teilhaben zu lassen, wenn er über eine junge
Frau schreibt, die die zu Redds Mordtruppe gehörenden Gläserne
Augen abgeschlachtet haben: Mac hatte sie sehr gern gehabt. In
diesen sechs Wörtern steckt eine ganze wunderbare Liebesgeschichte.
Die Figuren und Schauplätze aus Carrolls Romanen sind leicht wiederzuerkennen,
aber dennoch anders, allen voran Alyss. Alyss ist hier im Wunderland zu
Hause. Wie alle Frauen ihrer Familie kann sie mit Hilfe ihrer Phantasie
Dinge erschaffen. Die Quelle aller Schaffenskraft ist der Herzkristall,
ein riesiger Edelstein. Was in ihm aufgeht, regt in anderen Welten die
Phantasie an. Alyss muß lernen, ihre Phantasie zu kontrollieren.
Dabei hilft ihr der Hauslehrer Nanik Schneeweiß, dem Carroll als
hektisches weißes Kaninchen ein zweifelhaftes Denkmal gesetzt hat.
Der verrückte Hutmacher wird zum Modisten Mac Rehhut, Genevieves
und Alyss' Leibwächter, der über ein tödliches Waffenarsenal
verfügt.
Die Cheshire-Katze ist Redds rechte Hand, ein grausamer und gnadenloser
Killer mit neun Leben. Erleidet er eine tödliche Verletzung, schließt
sich die Wunde, der Kater erhebt sich und mordet weiter. Redd hat ihn
auf Alyss angesetzt.
Beddor vermischt aber nicht nur seine Fiktion mit der Carrolls, sondern
er webt auch die Realität kunstvoll in seine Geschichte ein. Carrolls
Roman ist tatsächlich entstanden, nachdem Reverend Dodgson mit der
zehnjährigen Alice Liddell und ihren Schwestern einen Boots-Ausflug
unternommen hatte. Alyss' Situation bei den Liddells schildert Beddor
sehr real. In dieser Familie wird sie zu Alice, einem normalen Mädchen,
dem seine Phantasie von den Eltern ausgetrieben wird. In dem Maße,
in dem Alice ihre Phantasie verliert und ihre Erinnerungen an das Wunderland
verblassen, verringert sich auch die Hoffnung der Wunderländer auf
die Befreiung von Redds Gewaltherrschaft durch Prinzessin Alyss. Es gibt
auch Wunderländer, die sich mit der neuen Herrin arrangieren. Der
Karobube wird zum widerwärtigen Opportunisten und löst im Leser
den heftigen Wunsch aus, ihn bei zukünftigen Kartenspielen schnellstmöglich
loszuwerden.
Unterdessen erhält Alice in der Realität einen Heiratsantrag
von Prinz Leopold, einen Sohn Königin Viktorias. Das ist ein unglaublicher
und einzigartiger gesellschaftlicher Aufstieg für ein Waisenkind
von zweifelhafter Herkunft. Wenn der Leser anfängt ernsthaft zu überlegen,
ob Alice Liddell tatsächlich einen Sohn Queen Victorias geheiratet
hat, dann weiß er endgültig, daß ihn "die wahre
Geschichte" der Alice im Wunderland in ihren Bann geschlagen hat.
(rezensiert von: Top
Dollar)
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