Worum's geht:
Abner Marsh ist mit seinen 300 Pfund Lebendgewicht, seinen Warzen und
seiner polternden Stimme mit Abstand der häßlichste Kapitän
auf dem Mississippi und jederzeit in der Lage, einen impertinenten Untergebenen
oder einen dumm im Weg herumstehenden Passagier einzuschüchtern.
Der Fluss, seine prachtvollen Passagierdampfer und sein illustres Völkchen
von freigelassenen Sklaven, Dampferpiloten, Halsabschneidern und dünkelhaften
Pflanzern ist Marshs Lebenselement. Nur ist fast die gesamte Raddampferflotte
seiner Schifffahrtsgesellschaft, der Fevre River Packet Company, in einem
Eissturm gesunken. Da erhält Kapitän Marsh ein verlockendes
Angebot von einem exzentrischen Gentleman: Gemeinsam mit dem grantelnden
Flussbootfahrer will Joshua York den größten, schönsten,
luxuriösesten und schnellsten Schaufelraddampfer bauen, der je den
Mississippi befahren hat. Für Kapitän Marsh wird ein Traum wahr.
Als der Dampfer, die Fevre Dream, gebaut ist, glaubt er sich am
Ziel all seiner Wünsche. Doch Kapitän York, sein mysteriöser
Teilhaber, weist ein mehr als seltsames Verhalten auf: Er lässt sich
nur bei Dunkelheit an Deck blicken, er scheint nachts wie eine Katze sehen
zu können und er verschwindet manchmal tagelang in den abgelegenen
Uferregionen des Flusses. Kapitän Marsh hat noch nie von Vampiren
gehört, doch er schöpft Verdacht ob der finsteren Umtriebe seines
Teilhabers - und damit nicht genug: York scheint einen Gegenspieler zu
haben, der auf einer heruntergekommenen Plantage außerhalb der fiebrigen
Metropole New Orleans eine blutige Schreckensherrschaft errichtet hat...
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Bewertet mit Sternen
(Besucher-Rezension):
Vergesst Anne Rice, vergesst Stephen King: George R. R. Martin erweist
sich mit diesem Roman (vor einigen Jahren neu erschienen in der Reihe
Fantasy Masterworks bei Gollancz) als der unangefochtene Meister
der Gothic Novel. Hier wechselt sich atemlose Spannung mit blankem Schrecken
und nostalgischer Schönheit ab. O ja, Martin versteht es, die Welt
auf dem Mississippi des 19. Jahrhunderts genauso, wie man sie sich seit
der Lektüre Mark Twains vorgestellt hat, wiedererstehen zu lassen.
Der Leser fiebert im wahrsten Sinne des Wortes mit, man spürt sie
förmlich die Moskitos, die Sümpfe, das schweiß- und blutüberströmte
Elend der Sklaven, die Hitze der Dampfkessel und die gediegene Atmosphäre
der Salons auf den wunderschönen Flussbooten. Die dekadente Welt
der Pflanzeraristokratie und der kreolischen Dandies nimmt vor dem inneren
Auge Gestalt an; und der breite, knorrige Südstaatenakzent der Protagonisten
klingt förmlich in den Ohren (daher unbedingt im Original lesen!).
Muss man extra sagen, dass Martin einmal mehr absolut glaubwürdige
Charaktere, Schauplätze und Entwicklungen beschrieben hat? Man beginnt
Fevre Dream als außergewöhnlich packenden Roman der
düsteren Phantastik zu lesen, bis man merkt, dass Martin mehr im
Sinne hatte, und ist umso stärker gefesselt: Geschickt verschlüsselt
beherrscht das Thema der Sklaverei diesen Roman. Die afrikanischstämmige
Bevölkerung des amerikanischen Südens, ihr Leid und ihre Knechtschaft,
sind wirklich Thema und nicht nur malerische, romantisch verklärte
Kulisse wie in Interview with the Vampire, wo Schwarze höchstens
als klischeehafte Voodootrommler auftreten. Überhaupt heben sich
Martins Vampire (ich glaube, es ist kein Spoiler, wenn ich das Offensichtliche
verrate: Fevre Dream ist ein Vampirroman, wenn nicht sogar der
Vampirroman überhaupt!) wohltuend von den ätherisch-androgynen,
ständig an romantischen Nichtigkeiten verzweifelnden Gestalten aus
Rice' Vampire Chronicles abheben. Die Vampire aus Fevre Dream
sind Raubtiere, ein von den Menschen gänzlich verschiedenes Volk,
die aber gerade darum lebendig und glaubhaft wirken. Doch sind sie alles
andere als eindimensionale Monstren, deren Aufgabe lediglich darin besteht,
sich Pfähle durch die Brust hämmern zu lassen. Sie haben ihre
eigenen, nichtmenschlichen und ganz und gar unromantischen Probleme, die
den Fortbestand ihrer Art bedrohen. Da sie unter Menschen leben, nehmen
sie stets eine menschliche Identität an, und indem sie im Lauf der
Zeit an Alter und Macht gewinnen, werden sie entweder immer menschenähnlicher
oder immer raubtierhafter. Es ist diese innere Zerissenheit, die sie so
faszinierend macht. Diese Vampire sind Meisterwerke der Evolution, absolut
tödlich, doch sie sind nur zu eigenem Kulturschaffen in der Lage,
wenn sie die Menschen imitieren, die sie doch eigentlich als bloßes
Schlachtvieh verachten. So kommt es, dass sie gleichzeitig kultiviert
und bestienhaft sind, ambivalent und auf eindringliche Weise glaubwürdig.
Die Parallele zu den aristokratischen Plantagenbesitzern des Südens,
die ihre Kultur und ihren Wohlstand parasitär auf dem Leben und der
Arbeitskraft der schwarzen Sklaven aufbauen, ist deutlich. Besonders abstoßend
und zugleich mitleiderregend wird dies dem Leser in der Figur des Sklavenaufsehers
vor Augen geführt, White Trash, wie er verkommener und abgerissener
nicht sein könnte, der sich nach nichts anderem sehnt, als selbst
einer der eleganten und tödlichen Herren der Nacht zu sein. Den Kontrast
dazu bildet Kapitän Marsh, der als Flusskapitän den höheren
Gesellschaftsschichten angehört, jedoch trotz seiner grimmigen Art
durch und durch gutmütig ist. Aufgrund seiner Erfahrungen mit den
Vampiren reift er schließlich über seine eigenen Standesdünkel
hinaus und überdenkt seine Haltung zur Sklaverei von Grund auf. Überhaupt
sind die Vampire selbst manchmal eher Sympathieträger als furchteinflößende
Feinde der Menschheit, da sie wohl zum Aussterben verurteilt sind, wenn
sie nicht, ja wenn sie nicht...
Schwere Kost, könnte man meinen. Doch gewinnt der Roman auch einen
wunderbaren Humor durch die Sprache der Protagonisten und vor allem durch
den Kontrast zwischen dem wuchtigen Kapitän Marsh, der ausgedehnte
Mahlzeiten und halsbrecherische Dampferrennen liebt, und dem kultivierten,
Gedichte lesenden Joshua York. Man kann Fevre Dream als hochspannenden,
atmosphärisch dichten Abenteuer- und Gruselroman lesen, doch steht
es den Absichten des Autors sicherlich nicht im Wege, wenn man durch die
Lektüre zum Nachdenken über Rassismus und Ausbeutung angeregt
wird.
Übrigens: wer meint, ich hätte in dieser Rezension viel zu viel
verraten, dem sei gesagt, dass ich noch nicht mal erwähnt habe, ob
die Fevre Dream denn nun wirklich das schnellste Dampfboot auf
dem Mississippi ist, ob das Gute oder das Böse den Sieg davonträgt
(und wer letzten Endes überhaupt für welche Seite steht), ob
die Queste der Vampire nach ihrer mythischen Stadt, ihrem Neuen Jerusalem,
tatsächlich erfolgreich ist, und ob Billy Tiptons Traum vom Dasein
als Vampir sich doch noch erfüllt...
(rezensiert von: Marengo)
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