Worum's geht:
Seit 13 Jahren herrscht Königin Gloriana über das mächtige
Albion, das vormals von ihrem gewalttätigen und wahnsinnigen Vater
Hern beherrscht wurde. Alles scheint gut zu sein, aber hinter den Kulissen
gärt es: Da ist die Königin, die keine sexuelle Befriedigung
findet, der Lordkanzler Montfallcon, der heimlich Oppositionelle foltern
und ermorden läßt von seinem Zögling Quire und die außenpolitisch
fragile Lage - Polen und Arabien buhlen um die Gunst der Königin,
sollte sie einer erhalten, wäre zu befürchten, daß die
Tartaren sich mit dem anderen verbünden und Albion in einen Krieg
hineinziehen. Doch Montfallcon weiß immer einen Weg die Situation
nicht eskalieren zu lassen - bis es zu einem Zwist zwischen ihm und Quire
kommt...
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Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Die Geschichte spielt in einer Parallelwelt, etwa im 16. Jhd. - schwer
auszumachen, da es keine Kreuzigung gab und keine Christen gibt. Es herrscht
Religionsfreiheit, es steht jedem frei, ob er an griechische, germanisch
oder die alten Götter (also Arioch und Kumpane - eine der wenigen
Verbindungen zum Ewigen Helden) glaubt - doch außer in rhetorischen
Bezügen spielen Götter oder Kirchen keine Rolle. Albion entspricht
dem Britischen Reich, Großpolen wird von einer Wahlmonarchie mit
starken Parlament regiert, Arabien von einem starken Kalifen; die Widersacher
sind die mächtigen Tartaren. Doch die gesamte Geschichte spielt im
Palast der Königin, einem gewaltigen Gebäudekomplex, durchzogen
von Geheimenkammern und -gängen, bevölkert von einer riesigen
Menge Adliger (im Glanze des Palastes), Diener (im Halbschatten) und Ausgestoßenen
(im Schatten). Die bevorzugte Waffe ist der Degen (wie man damit jemanden
enthaupten kann, ist mir zu tiefst unklar), aber es gibt auch Piken und
"Feuerrohre".
Figuren treten außergewöhnlich viele auf, manche sind vage
an historische Personen angelehnt (Dr. Dee war eine historische Persönlichkeit,
Gloriana erinnert an Königin Viktoria etc). Auch wenn es genügend
Raum für eine echte Charakterentwicklung - und überhaupt überzeugende
Charaktere - gibt, so wird dieser kaum genutzt. Dem Leser wird nur eine
sich vielfach wiederholende Korruption, die auf sexuellen Gefälligkeiten
basiert, geboten. Die wichtigsten Personen seien hier kurz skizziert.
Königin Gloriana, eine sexuell unbefriedigte Frau, die sich bemüht,
den Frieden aufrecht zu erhalten und alle glücklich sehen will; sie
schwankt zwischen Pflichtbewußtsein und Vergnügen im Laufe
der Geschichte. Lordkanzler Montfallcon, dem die Sicherheit des Reiches
wichtiger als alles andere ist; er greift zu verbrecherischen Mitteln
zurück um den Frieden aufrecht zu erhalten. Käpt'n Quire, ein
amoralischer Machtmensch, der seine Morde als Kunst versteht; er ist sehr
gewieft und schreckt vor keiner Brutalität zurück: Um an gewisse
Informationen zu gelangen, spießte er ein Mädchen im beisein
ihrer Mutter auf eine Bratenspieß auf und röstete es. Una,
die Gräfin von Scaith, die Sekretärin der Königin und ihre
beste Freundin; sie ist eine lebens- und abenteuerlustige junge Frau.
Doch neben diesen treten noch unzählige weitere Figuren auf, die
geringere bis vollkommen belanglose Rollen spielen; ihnen ist zueigen,
daß sie über eine einfache Etikettierung nur selten hinauskommen
und einander häufig viel zu ähnlich sind.
Magie tritt nur als Kulisse auf, wenn Einhörner die Pracht des Palastes
oder Glorianas Sex mit Tiermenschen ihre grenzenlose Suche nach Befriedigung
verdeutlichen sollen.
Die Handlung ist eine Intrigengeschichte, die mitunter an eine klassische
Tragödie erinnert. Quire inszeniert ein gewaltiges Schauspiel, bei
dem (beinahe) alle nach seiner Pfeife tanzen, denn es gelingt ihm, die
Menschen zu durchschauen und zu manipulieren (nicht weiter schwierig,
sind die doch meist auf Sex versessen). Der Roman weist manche Schwäche
und einige Stärken auf. Der Spannungsbogen ist auch so ein Ding;
nur sehr langsam beginnt sich eine Spannung aufzubauen, hat man sich durch
die ersten 160 Seiten durchgekämpft, wird man mit etwa 240 Seiten
Hochspannung belohnt; rasant entwickelt sich der Plan des Schurken und
manch überraschende Wendung sorgt für Kurzweil, es gibt einen
Höhepunkt und die Spannung fällt schnell ab. Die letzten zwei
Kapitel versuchen noch einmal Spannung aufzubauen, quasi wie in einer
klassischen Kurzgeschichte, was allerdings unangemessen und aufgesetzt
wirkt. Hinzu kommen die sich endlos hinziehenden, überaus detailreichen
Beschreibungen der Pracht des Hofes und einige belanglose Seitenstränge
der Geschichte (z.B. Wheldrakes Dichtungen), die wieder einiges an Fahrt
aus der Geschichte nehmen.
Der Widerstreit zwischen dem Stoiker Montfallcon und dem Nietzsche-Anhänger
Quire ist durchaus interessant, es wird aber keine glaubwürdige Szenerie
entwickelt, die beide Seiten ernsthaft betrachtet; dieses ist meiner Meinung
nach das größte Manko des Buches.
Achtung Spoiler!
Denn Quire ist eine Art Superstecher; er ist natürlich ein fulminanter
Fechter, auch weiß er alle Personen zu durchschauen und zu manipulieren,
während er selbst niemals durchschaut oder manipuliert wird. Alle
lieben ihn, denn er ist sooo charismatisch. Am Ende kann er seine Pläne
verwirklichen, weil er Gloriana so geschickt zu vergewaltigen weiß,
daß sie sich in ihn verliebt. Diese Szene fehlt in der überarbeiteten
Fassung (s.u.). Quire ist der pubertäre Wunschtraum eines unartigen
Jungen.
Spoiler Ende.
Sprachlich bietet das Werk auf der eine Seite lange Aufzählungen,
Bandwurmsätze und schlechte Gedichte, auf der anderen Seite aber
auch ein sehr geschicktes Verschmelzen von Szenen. Im Großen und
Ganzen ist der Sprachstil der Geschichte angemessen, besonders durch die
altertümlich wirkende Kunstsprache, welche die Figuren sprechen.
Kurzer Hinweis: 1983 hat der Autor das Werk komplett überarbeitet,
im Detail hat sich also etwas geändert (verbessert, wie ich meine),
im Großen bleibt es aber unverändert.
(rezensiert von: Theophagos)
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