Bewertet mit Sternen
(Besucher-Rezension):
Ein Photograph sucht sich als Motiv für ein neues Buch eine verfluchte
Villa aus. Auf der Suche nach guten Motiven zeigen sich ihm plötzlich
Gespenster in den Schatten des Hauses und er muß unfreiwillig
erfahren, welche Verbrechen hier stattgefunden haben.
Ein wenig konstruiert aber ein sehr guter Opener. Gespickt mit filmreifen
Bildern, die der Autor im Kopf des Lesers entstehen läßt ("Ein
Lichtspalt ließ seine Haare hell glänzen, als er mit beiden
Händen hoch in die Vorhänge griff und sie mit Schwung auseinander
stieß, so dass er einen Moment mit wagerecht gestreckten Armen und
gesenktem Kopf dastand.").
"X" bedeutet "Schatz", vermutet eine
Gruppe Abenteurer, die auf einer Insel im Packeis tatsächlich ein
Schiffswrack findet, das in einer unterirdischen Höhle eingeschlossen
ist. Wären da nur nicht die Funkmeldungen der an Bord zurückgebliebenen
Kameraden, die von schwankenden Gestalten im Nebel und von umherwandernden
Erscheinungen im verlassenen Basislager der Schatzsucher sprechen.
Ebenfalls eine sehr schöne, stimmungsvolle Geschichte, die leider
gegen Ende etwas hastig und unrund wird. Es wirkt so, als hätte der
Autor die zentralen Ideen der Story (eingeschlossenes Schiff, geisterhafte
Erscheinungen) abgearbeitet und hätte nun zu einem Ende kommen müssen.
Während des Besuches bei seinen Großeltern auf einer Nordseeinsel
erscheint einem Jungen des Nachts Das Gesicht am Fenster.
Zufälligerweise erfährt er, dass sich sein Großvater und
dessen Freund in den bestehenden Kriegszeiten als Fluchthelfer nach Norden
betätigen. In der nahegelegenen, verfallenen Mühle stößt
der Junge auf ein Geheimnis, das sein Großvater verbergen wollte.
Eine gute Story, die beständig die Spannung steigert und das auch
bis zum Ende durchhält. Ebenfalls eine Geschichte über das Erwachsenwerden,
wie bei Markus Korb des öfteren zu finden.
In der Nähe eines alten Tempels beobachten drei Freunde eine Sonnenfinsternis.
Am Eingang dieses Schattenverwobenen Pavillons im Licht der ringförmigen
Dunkelsonne glaubt einer der Männer seine Geliebte zu erkennen,
die sich gerade auf Reisen befindet. Er folgt ihr während der Eklipse
in den Tempel, und dort verwischen sich die Grenzen von Leben und Tod.
Ein sehr schönes Beispiel, wie der Autor durch die Beschreibung von
vermeintlichen Kleinigkeiten Atmosphäre erzeugt ("... und sah
dabei zu Boden, wo das ungemähte Gras im Wind zitterte. Der Lufthauch
spielte auch mit Maries glockenförmigem Kleid, hob es leicht empor,
so dass Hans ihre weißbestrumpften Waden sehen konnte"). Ebenso
wird durch die Beschreibungen der Personen eine zeitliche Zuordnung gemacht
(Zylinder, Frack, Weste), ohne diese explizit vorzusetzen. Dadurch wird
der Leser gefordert und das Interesse aufrecht erhalten.
Eine Floristin trifft sich nach Feierabend mit dem Aristokraten Van Dere.
Nach einer abenteuerlichen Reiseschilderung, mit der Entdeckung einer
bis dato unbekannten fleischfressenden Pflanze als Höhepunkt, begleitet
sie ihn auf sein Anwesen, um diese Pflanze im Vollmondlicht in Van
Deres Gewächshaus blühen zu sehen.
Wiederum eine sehr atmosphärische, leicht humorige Geschichte, die
allerdings das Thema der Zusammenstellung nicht ganz trifft. Leider kann
man das Ende der Geschichte auch schon früh erahnen, was der Qualität
aber keinen Abbruch tut.
Ein Junge führt ein Mädchen zu einem zerfallenen Bungalow
am Strand, um sie dort in der Einsamkeit der Nacht zu verführen.
Der Bungalow ist ehemals einem Feuer zum Opfer gefallen und das Mädchen
muß erkennen, warum es den Jungen immer wieder hierher zieht.
Sehr gute, sehr dichte Story mit einem wirklich überraschenden Finale.
Die Einsamkeit des Hauses am Strand ist förmlich spürbar. Während
der Autor auf äußere Schrecken lauschen läßt ("Dort
oben", flüstert sie mir zu. "Läuft dort jemand umher?"),
kommt die wahre Bedrohung aus einer gänzlich anderen Richtung. Gegen
Ende ist der Leser dem Grauen ebenso schutzlos ausgeliefert wie das Mädchen.
Ein junges Liebespaar gerät bei einem Spaziergang in den sagenumwobenes
Waldstück, von dem ihre Ahnen Unheimliches zu berichten wissen. In
dem verbotenen Hain stoßen Sie auf ein Bauwerk, dass
von sterbenden Göttern bewohnt wird. Das Mädchen möchte
den Göttern helfen, die ursprüngliche Botschaft des Einklangs
von Mensch und Natur wieder zu verbreiten.
Eine schöne Dark Fantasy-Geschichte, die ein unvohergesehenes Finale
liefert. Die Stimmung ensteht hier aus der Vereinigung von verschiedenen
Archetypen der Fantasy- und Gruselliteratur (verfluchter Wald, geheimnisvoller
Tempel, sterbende Götter, grausame Mischwesen).
Der Fotograph Troy Paiva ist ständig auf der Suche nach Friedhöfen
der Ziviliation, um diese abzulichten und seiner Bildersammlung "Lost
America" hinzuzufügen. Beim nächtlichen Besuch
der "Leiche" des Phoenix Trotting Park wird ihm gezeigt, worauf
die amerikanische Kultur in Wahrheit aufgebaut ist.
Zu dem wirklich originellen Setting der Geschichte ließ sich Markus
Korb durch die real existierende Website www.lostamerica.com inspirieren
(Ein Besuch dort vertieft die Wirkung der Geschichte enorm). Der Gang
durch die sterbenden Gebäude ist wie immer sehr präzise dargestellt,
wodurch ein Großteil der Stimmung vemittelt wird. "Lost America"
hebt sich in sofern von den anderen Geschichten ab, dass hier eine Botschaft
transportiert wird. Durch die Wahl des Handlungsortes und der Geistermanifestationen
wird unmittelbar dargestellt, dass die Unterdrückung und teilweise
Ausrottung der amerikanischen Ureinwohner zugunsten einer kurzlebigen
Spaßgesellschaft erfolgt ist.
Warum sollte jemand Die Kapelle im entlegenen Teil des Dorffriedhofs
anzünden? Vielleicht wegen dem, was er dort im verfallenen
Beichtstuhl gesehen hat?
Leider muß man die Geschichte als verzichtbar bezeichnen. Die Erscheinungen
bleiben zu vage, die Erklärungen bleiben aus und am Ende der ohnehin
kurzen Geschichte bleibt nur ein ratloses Schulterzucken.
Die kalte Anni ist mehr als ein Schauermärchen für
unartige Kinder, und das Grauen, das sie bringt, ist schrecklicher als
der Tod.
Leider wirkt auch diese Story bemüht und das Fehlen wäre verschmerzbar.
Formal allerdings top.
Vier Schiffbrüchige stranden auf einer Felseninsel, die von einem
verlassenen Anwesen überragt wird. Entgegen der ersten Vermutung,
aufgrund allgegenwärtiger Gittertüren, in einem verlassenen
Gefängnis zu sein, stellt sich das Gebäude auf der Insel
des Todes als ehemalige Irrenanstalt heraus, die darüber
hinaus gar nicht so verlassen ist.
Die Geschichte ist deutlich länger und entspannter angelegt als der
Rest der Sammlung. Markus Korb läßt sich bei allem mehr Zeit.
Beim Weg vom Strand zum Haus, beim Rundgang durch das Gebäude, bei
den Überlegungen der Gruppe, wie denn weiter vorzugehen ist. Sobald
sich Korb auf seine schicksalsgebeutelten Personen und deren Beweggründe
konzentriert, stellen sich allerdings leichte Wiederholungserscheinungen
ein. Auch kann man sehr früh erahnen, was denn weiter passiert, befindet
man sich doch in einer Gespenstergeschichte. Glücklicherweise ist
die Geschichte zu kurz, um wirklich Langeweile aufkommen zu lassen, und
die grob vorhersehbare Handlung wird einigermaßen überraschend
entwickelt. Leider bleiben die Manifestationen des Bösen ohne weitere
Erklärungen und man muß annehmen, dass die Geister sich rächen
wollen (obwohl unsere Schiffbrüchigen keinen Bezug zu den ehemligen
Peinigern haben). Der Erzähler der Geschichte ist übrigens Ambrose
Bierce, der spurlos in den Wirren der mexikanischen Revolution verschwunden
ist und dessen genaue Ablebensumstände tatsächlich nicht geklärt
sind.
Zu Insel des Todes ließ sich Markus Korb von seinem Autorenkollegen
Thomas Wagner inspirieren. Der Prolog ist dessen Erzählung Ein
Wurm namens Ewigkeit entnommen und auch im Handlungsverlauf gibt es
eine direkte Textübernahme aus Wagners Geschichte. Ich halte das
für ein sehr interessantes Experiment. Warum nicht Elemeten einer
bestehenden Geschichte neue Seiten abgewinnen. Schließlich hat bereits
Jules Verne die Fortsetzung zu Poes Arthur Gordon Pym geschrieben.
Markus Korb wird gerne als neuer Edgar Allan Poe gehandelt. Der Vergleich
ist meines Erachtens nicht ganz zutreffend. Korb versteht es zweifellos,
souverän unheimliche Stimmungen zu erzeugen. Diese resultieren allerdings
eher aus den detaillierten Beschreibungen der Äußerlichkeiten
und der treffenden Wortwahl. Wo Poe in seine Protagonisten eingedrungen
ist, bleibt Markus Korb an der Oberfläche. Das Äußere
scheint wichtiger zu sein als das Innenleben der Figuren. Seine Geschichten
sind allerdings sehr atmosphärisch, zielstrebig und ausnahmslos gut
konstuiert. Das rückt ihn eher in die Nähe von H.P. Lovecraft.
Die Form der Kurzgeschichte ist für Korbs präzisen Stil wie
geschaffen. Zeit genug, um Stimmung aufzubauen, doch zu kurz, um sich
wiederholen zu müssen.
Sein Stil ist sehr modern und wirkt nicht antiquiert; er versucht nicht,
den Ton der Vorbilder zu kopieren.
Die Geschichten spielen ausnahmslos in ihrem eigenen Mikrokosmos ohne
einen Blick auf die äußere Welt zu werfen. Dadurch sind die
Stories konzentriert und es besteht für den Autor nicht die Gefahr,
von der zentralen Handlung abzuweichen.
Oftmals beginnen die Geschichten zentriert mit einem Dialog oder einer
Personengruppe, um sich dann zu entfalten und ein größeres
Bild zu zeigen. Diese Vorgehensweise erinnert sehr an einen Film, in dem
sich die Kamera von einem zentralen Punkt immer mehr entfernt, um am Ende
eine Totale zu zeigen.
Ebenso wie in einem Film benutzt Markus Korb auch gerne eine "bildliche
Sprache", z.B. die Beschreibung kleiner Gesten, die wiederum den
Leser zu den richtigen Schlüssen leiten.
Damit versteht er es, den Leser von den ersten Sätzen einer Erzählung
an zu fesseln.
Insel des Todes ist nach zahlreichen Anthologiebeiträgen Korbs
dritte komplette (professionelle) Buchveröffentlichung, was - gemessen
an der hohen Qualität der Beiträge - erstaunt.
Das perfekt stimmige Titelbild stammt einmal mehr von Coverstar Mark Freier,
die stimmigen Innenillustrationen von Kollege Timo Kümmel. Beide
haben sich als Coverdesigner/Illustratoren zu Recht einen Namen gemacht,
der aus der aktuellen Kleinverlagsszene nicht mehr wegzudenken ist.
Eine absolute Empfehlung also meinerseits für alle Gespensterfreunde,
die den Autor noch nicht entdeckt haben. Diejenigen, die Markus Korb bereits
kennen, werde sich den Band ohnehin nicht entgehen lassen.
(rezensiert von: Greyshirt)
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