KREUZZUG IN JEANS

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1 Rezension
-"Und das", sagte Dr. Simiak, "ist die Zeitmaschine."-
Der große Sprung
Zyklus/Band -
Autor Thea Beckman
Original Kruistocht in spijkerbroek
Erscheinungsjahr 1973, neu 1996, dt. 2006
Verlag Urachhaus
ISBN 3-8251-7544-8
Subgenre Kinder- und Jugendbücher
Seitenzahl 285
Probekapitel -
Worum's geht:
Der Vater des 14jährigen Rolf Wega ist mit zwei Erfindern befreundet, die eine Zeitmaschine konstruiert haben. Bisher haben die Wissenschaftler nur mit Tieren experimentiert. Aber Rolf brennt darauf, selbst in die Vergangenheit zu reisen. Er hat in einem Buch von dem Turnier gelesen, das der Graf von Dampierre am 14. Juni 1212 veranstaltet hat. Da möchte Rolf unbedingt dabei sein. Also lassen sich die Wissenschaftler von dem begeisterten 14jährigen breitschlagen, schärfen ihm aber ein, daß er sich exakt vier Stunden nach seiner Ankunft in der Vergangenheit wieder an genau dem Ort befinden muß, an dem er angekommen ist, damit sie ihn zurückholen können. Doch dann geht alles schief. Rolf landet nicht in Frankreich, sondern in Deutschland. Und als er zur verabredeten Zeit zurück in die Gegenwart geholt werden soll, steht ein anderer Junge auf dem bestimmten Platz. Rolf muß hilflos zusehen, wie der Junge aus dem Mittelalter plötzlich verschwindet.

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Nimmt man es ganz genau, dann muß man der Autorin vorwerfen, die Geschichte nicht sorgfältig konstruiert zu haben. Offensichtlich hat sie keine große Mühe auf die Rahmenhandlung verwandt, die nicht sehr glaubwürdig ist. Zwei erwachsene Wissenschaftler, die bisher nur mit Tieren experimentiert haben, von denen einige in der Vergangenheit geblieben sind, und die genau wissen, daß ihre Zeitmaschine störanfällig und nach jeder Rückholaktion reparaturbedürftig ist, wobei die Reparatur sich mehrere Monate hinziehen kann, lassen sich von einem vierzehnjährigen Teenager überreden, ihn ins Mittelalter zu versetzen, das nun nicht gerade für seine Gewaltlosigkeit, Friedfertigkeit, Gerechtigkeit, Demokratie und sein funktionierendes Gesundheitssystem bekannt ist. Rolfs Eltern werden auch nicht gefragt und auf die Schilderung des Schicksals des armen Jungen, der so unvermutet aus dem Mittelalter in die Gegenwart geschleudert wurde, verwendet Thea Beckman kaum ein Wort. Ausführlich hingegen erzählt sie, wie Rolf Kinder aus den Händen eines Raubritters befreit, dennoch ist diese Episode ebenfalls nicht sehr glaubwürdig.
Aber so genau nehmen wir es heute nicht, da die Güte des Romans durch diese Mängel kaum gemindert wird. Denn Kreuzzug in Jeans ist eigentlich kein Fantasyroman, schon gar nicht das, was man heutzutage unter einem Fantasyroman versteht, denn die Autorin schrieb ihre Geschichte in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als noch niemand ahnte, daß dieses Genre einmal boomen würde. Thea Beckman benutzt Rolfs Zeitreise, um ihren jungen Lesern ein wichtiges Thema nahezubringen: Die Verführbarkeit von Menschen, insbesondere von Kindern und Jugendlichen. Rolf ist nicht, wie er sich erhofft hat, als Zuschauer bei einem Turnier gelandet, sondern er findet sich inmitten tausender Kinder jeden Alters wieder, die unter der Leitung zweier Mönche nach Genua ziehen, um Jerusalem von den Sarazenen zu befreien. Rolf schließt sich dem Kinderkreuzzug an. Die meisten Kinder sind Waisen, Ausgestoßene, sozial Unterprivilegierte, manche stammen aber auch aus höhergestellten Familien. Neben den Mönchen genießen die Kinder aus den besseren Familien eine bevorzugte Behandlung und geben den Ton an. Der offizielle Führer des Kinderkreuzzuges ist Nicolas, ein Hirtenjunge, dem Engel Gottes Botschaft übersandt haben, er solle ein Kinderheer nach Jerusalem führen. Durch sein selbstbewußtes Auftreten wird auch Rolf bald zu einer Führungspersönlichkeit, der maßgeblich dazu beiträgt, daß möglichst viele Kinder die Strapazen der Reise, Hunger, Durst, Kälte, Überfälle und Krankheiten lebend überstehen. Das gelingt aber nicht immer. Doch die wahre Gefahr geht nicht von diesen Übeln aus, sondern von den Mönchen. Die beiden sind nicht nur falsche Propheten, sondern auch falsche Ordensleute und benutzen die Gutgläubigkeit der Kinder für ihre eigenen Ziele. Diese armen Kinder, um die sich nie jemand gekümmert hat, sind erfüllt von dem Glauben an ihre Mission und von der Hoffnung auf ein besseres Leben. Sie glauben daran, das Paradies auf Erden zu finden. Damit ist Kreuzzug in Jeans endgültig keine einfache Zeitreisegeschichte mehr, sondern ein universell gültiges Lehrstück über Manipulation und Verführbarkeit, aber auch über Zivilcourage und den Mut, zu seinen Überzeugungen zu stehen. Man braucht eine größere Anzahl von Menschen, die unterprivilegiert, arm und ohne Perspektive sind oder auch nur subjektiv das Empfinden haben, ihre Lage sei hoffnungs- und ausweglos und einen oder mehrere Führungspersönlichkeiten, die einfache Antworten haben, einigermaßen glaubwürdig eine signifikante Verbesserung der Lebensumstände versprechen und fähig sind, ihre Macht mit Charisma oder Gewalt zu festigen. Auf diese Weise bringt man Kinder dazu, einen Kreuzzug zu veranstalten, in dem Glauben, sie könnten die Heilige Stadt des Christentums von den Sarazenen zu befreien, man kann das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte begehen, indem man Menschen glauben macht, sie seien dazu bestimmt, die Welt zu beherrschen und andere müßten von der Erde verschwinden, oder man verfolgt mit dieser Taktik weitaus banalere Ziele und hämmert Menschen ein, ihr Wert hinge von der "richtigen" Markenkleidung und anderen Statussymbolen ab.
Thea Beckmans Blick gilt aber in erster Linie nicht den Verführern sondern den Kindern. Denn die ursprünglich achttausend Teilnehmer des Kinderkreuzzuges sind ja keine heterogene Masse und es sind auch nicht alles Lemminge, die blind ihren Führern hinterher laufen. Der Jugendliche, der sich besonders hervortut, ist natürlich Rolf, der in der Gegenwart aufgewachsen ist und deshalb selbstbewußter handelt als die Kinder des Mittelalters, die an die Ständehierarchie und "gottgegebene" Ordnung gewöhnt sind. Rolf ist der festen Ansicht, daß ein Anführer sich durch charakterliche Qualitäten auszeichnen sollte und nicht einfach aufgrund seines Standes oder gar aufgrund einer "göttlichen Berufung" diese Rolle inne haben sollte. Die Spannung des Romans resultiert neben den Katastrophen, die die Kinder treffen, hauptsächlich aus Rolfs Anführerrolle, in die er eher unbeabsichtigt hineingerät und die ihm von anderen streitig gemacht wird. Interessant ist aber auch die Frage, wie ein Individuum reagiert, wenn es Teil einer Masse ist. Es gibt fürsorgliche Kinder, die sich um die Kleinen, Schwachen und Kranken kümmern, es gibt Egoisten, die nur ihr eigenes Wohl im Auge haben, es gibt Kinder, die tapfer ihre eigene Meinung vertreten, auch wenn sie nicht der Mehrheit entspricht, es gibt Kinder, die sich um Kompromisse bemühen und es gibt Mitläufer, Opportunisten und Aufwiegler. Und als es zu einer Begebenheit kommt, die die Kinder nicht mehr als Individuen, sondern als aufgebrachte Masse reagieren läßt, lassen sich auch die Friedfertigsten unter ihnen zu kaum für möglich gehaltene Grausamkeiten hinreißen.
(rezensiert von: Top Dollar)

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Fazit: Lehrstück über die Verführbarkeit und Manipulation von Menschen und die Wichtigkeit von Zivilcourage, Selbstbewußtsein und eigenständiges Denken.


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