Warum's so gut
ist:
Jeder, der dieses Buch liest, darf sich an dem lustigen Ratespielchen
beteiligen: Für Leser welcher Altersgruppe ist es wohl gedacht? Erschienen
ist Das magische Zimmer in Heynes Allgemeiner Reihe und der Verlag
wirbt mit dem Slogan "Spannende Geschichten aus dem Reich der Magie".
Was der Verlag vornehm verschweigt, und was der Leser nur ahnen kann,
wenn er die hier versammelten Autoren kennt, ist, daß dieses Buch
nur für Leser zwischen zehn und zwölf Jahren spannend ist. Wenn
Sie das Buch unbesehen in einer Internetbuchhandlung bestellen, finden
sie keinen Hinweis darauf, daß die Geschichten in erster Linie für
Kinder gedacht sind. Heyne versucht mit dieser Anthologie auf den Harry-Potter-Zug
aufzuspringen. Im Buch findet sich folgende Mitteilung: "Der Herausgeber
stellt die Geschichten in kurzen Einleitungen vor und zeigt so spannende
Zusammenhänge und Traditionslinien auf: Joanne K. Rowlings jugendlicher
Held ist keine singuläre Erscheinung
" Tatsächlich
ist in den Einleitungen bei jeder Gelegenheit von Harry Potter die Rede.
Handelt die Geschichte von einem Drachen, wird Ron Weasley als Drachenexperte
erwähnt, kommt ein Adoptivvater darin vor, wird auf Harrys Pflegeeltern
verwiesen, spielen Kinder irgendein Spiel, erwähnt Haining in seiner
Einleitung unvermeidlich Quidditch. Nur sind das alles durchaus keine
spannenden Zusammenhänge, sondern es ist der Versuch, so oft
wie möglich Rowlings Verkaufsschlager zu erwähnen und so alle
Harry Potter Fans, die händeringend "Bücher wie Harry Potter"
suchen, zum Kauf dieses Buches zu bewegen. Wahrscheinlich spielen die
meisten der Geschichten deshalb auch in Schulen oder handeln von Schülern
auf Klassenreise etc. Diese Varianten des immer gleichen Themas Zauberei
in der Schule öden vor allen Dingen dann an, wenn man sie direkt
nacheinander liest. Der Haken an dieser Sammlung ist, daß man sie
aber keineswegs unter die Rubrik Kinder-und Jugendbuch einordnen kann.
Denn obwohl der größte Teil der Geschichten bedenkenlos von
Zehnjährigen gelesen werden kann, so gilt dies nicht für alle
Erzählungen: Die Satansschüler könnte für so
junge Kinder zu gruselig sein, in Der unsichtbare Junge sticht
eine Hexe urplötzlich eine Nadel ins Auge einer Fledermaus. Das
Überraschungs-Ei kann zwar von Kindern gelesen werden, aber sie
werden spätestens dann die Lust an der Geschichte verlieren, wenn
sie in eine Satire abgleitet, ein Arbeiter sozialistische Reden schwingt
und gegen imperialistische Drachen wettert. Im letzten Drittel des Buches
taucht dann plötzlich eine Geschichte auf, die in des Wortes doppelter
Bedeutung ausgezeichnet ist. Sie ist hervorragend und wurde 1988 als "The
Year's Best Fantasy" ausgezeichnet, ihr Titel: Ich heiße
Dolly von William F. Nolan. Nur gehört diese Kurzgeschichte in
kein Kinderbuch. Zwar ist die Hauptperson ein kleines Mädchen, aber
dieses Kind wird von seinem Adoptivvater sexuell belästigt und rächt
sich auf sehr dramatische Weise an ihrem Peiniger. Philip Pullmans Lesen
ist die einzige Geschichte in dieser Anthologie, die für jüngere
und ältere Leseratten gleichermaßen interessant sein dürfte,
da jeder der leidenschaftlich gern liest, die Handlung nachvollziehen
kann. Auch Diana Wynne Jones Erzählung Carol Oneirs hundertster
Traum kann von Kindern und Erwachsenen mit Gewinn gelesen werden.
Übersetzt wurden alle Geschichten von einer einzigen Übersetzerin
und wahrscheinlich mit Blick auf ein jüngeres Lesepublikum. Das hat
zur Folge, daß alle Geschichten, ob sie nun 1937 oder 1989 zum ersten
Mal erschienen sind, dieselbe moderne Sprache besitzen, was die Erzählungen
nivelliert und sie ihres individuellen Charakters beraubt.
Die Geschichten sind durchaus nicht schlecht, sie sind nur falsch zusammengestellt.
Als erwachsener Käufer dürfen Sie nun entscheiden, ob Sie 7,95
Euro für zwei, drei gute Geschichten ausgeben möchten oder ob
Sie das Buch mit ruhigem Gewissen ihren Kindern überlassen können
und diese auch die Erzählungen lesen lassen, die nicht für sie
geeignet sind.
(rezensiert von: Top
Dollar)
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