Worum's geht:
Kreta wird von Feinden aus dem Norden überfallen, und die beiden
Königskinder Thea und Icarus können den einfallenden Horden
mit Hilfe eines hölzernen Gleiters entfliehen.
Obwohl sie davor gewarnt worden sind, müssen sie mit dem Gleiter
am Rande des abgelegenen Zauberwaldes landen, den kein Mensch je betritt.
Als sie dennoch gefangen werden und sich tatkräftig gegen die Feinde
zur Wehr setzen, werden sie in die Höhle des gefürchteten Minotauren
geworfen, auf daß er sie verspeisen möge. Doch alles kommt
anders: Eunostos, der letzte Minotaur, hat wenig Interesse an Menschenfleisch,
vielmehr dagegen an der Schönheit der Prinzessin Thea - allerdings
ist er ein eher schüchterner Zeitgenosse. Kurzerhand nimmt er die
beiden jungen Königskinder mit in seine Behausung im Zauberwald und
bietet ihnen dort Schutz.
Als die Angreifer das erfahren, ist ihnen der Zauberwald mit seinen Dryaden,
Zentauren und vielen anderen Fabelwesen ein Dorn im Auge...
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Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Wer als Jugend-Lektüre einmal mit Begeisterung die Sagen des klassischen
Altertums gelesen hat, wird wohl aus dem Staunen nicht mehr herauskommen,
wenn er von Thomas Burnett Swann in dessen Version der antiken, mythischen
Welt entführt wird. Auf eine ganz eigene Art beschwört der Autor
den Zauber einer vergangenen Zeit herauf, bringt die Geschehnisse anschaulich
und direkt vor das innere Auge, ohne aber auf eine Art Schleier zu verzichten,
so daß der Leser niemals die paar tausend Jahre vergißt, die
zwischen ihm und der von Swann beschriebenen Zeit liegen. Eine Gratwanderung
zwischen Fremdem und Vertrautem, die der Autor hauptsächlich anhand
von poetischer Sprache und einem vermittelnden Erzähler - Eunostos,
dem Minotauren selbst - meistert.
Ein gelungener Vorspann soll der Erzählung einen historischen Kontext
verleihen - ein alter Kniff, der hier aber sehr schön eingepaßt
ist und der Geschichte einen Rahmen gibt. Hat man dann erst einmal den
erzählenden Minotauren kennengelernt, muß man den bescheidenen,
ruhigen Muskelprotz mit der poetischen Ader, der sein Licht gerne unter
den Scheffel stellt, von der ersten Seite an ins Herz schließen.
Dabei ergeht es ihm im Verlauf der Geschichte ohnehin nicht besonders
gut: Mit den beiden flüchtenden Königskindern, die er bei sich
aufnimmt, bringt er Ärger in sein Haus und seinen Wald. Anfangs ganz
harmlos, fängt die liebreizende Thea an, den ursprünglichen
und naturverbundenen Minotauren zu domestizieren: Sie räumt sein
Haus auf, schneidet die Blumen aus seinem geliebten Kraut- und Rübengarten
ab und steckt sie in Vasen und rümpft die Nase über seine rustikalen
Freunde, die Dryade Zoe und den Zentauren Moschus. Als dann auch noch
der wilde Ajax mit seinen Kampfgenossen den Wald angreift, weil er die
beiden Königskinder haben will, wird langsam klar, daß die
Zeit der Fabelwesen von der Zeit der Menschen abgelöst wird. Auch
das ist ein alter Topos der Fantasy - das Schwinden des Zaubers aus der
Welt. Das Ende der Erzählung, bei deren letzter Kapitelüberschrift
The Passing of the Beasts man schon schlimmstes fürchtet,
steht dem Ende eines Herrn der Ringe diesbezüglich in nichts
nach: meisterhaft werden Melancholie und Trost miteinander verbunden,
wobei die versöhnlichen Elemente für die Charaktere überwiegen,
die Welt aber "gemindert" zurückbleibt.
In nicht einmal 200 Seiten sollte man sich aber von Day of the Minotaur
keine komplexe Handlung erwarten; die Gechichte plätschert eher dahin,
aber nicht als langweiliger Strom, sondern eher als hübsch anzusehender,
munterer Bach. Der poetische, gewitzte und manchmal auch anzügliche
Schreibstil allein ist schon ein Vergnügen, und nur in dieser gekonnt
umgesetzten archaischen Atmosphäre kann man zum Beispiel von den
gefürchteten "swelling breasts" lesen, ohne gleich
"Kitsch, lass nach!" zu stöhnen. Auf dem kleinen Raum sind
auch die Charaktere liebevoll dargestellt, und die Atmosphäre lebt
von den Fabelwesen, die gerade ausreichend klischeemäßig sind,
um vertraut zu wirken, aber kein Quentchen mehr. Märchenhaft-poetische
Fantasy in einer antiken Umgebung kann man sich nach der Lektüre
dieses Buches kaum mehr anders vorstellen.
Ein deutlicher Stilbruch in diesem so gekonnt ausgearbeiteten Rahmen ist
das Titelbild - ein muskelbepackter Minotaur mit der falschen Haarfarbe,
eine halbnackte Frau, ein Held im Hintergrund, ein reißerischer
Schriftzug. Man betrachte sich einmal das Bild und vergleiche mit folgendem
Zitat von Eunostos, als er erstmalig auf die schöne Thea trifft,
und urteile selbst: I stood awkwardly, shifting my weight from hoof
to hoof, and wondered what I could say to reassure her. 'He's right,'
I blurted. 'I want to be your friend, and you won't have to pleasure m-m-me.'
(rezensiert von: mistkaeferl)
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