Worum's geht:
An einem australischen Sommertag, dem Valentinstag des Jahres 1900, veranstalten
die Schülerinnen des Appleby Colleges unter Aufsicht ihrer Gouvernante
ein Picknick am Fuße des Hanging Rock. Vier Mädchen machen
sich auf, um die Felsformation näher zu erkunden. Eine von ihnen
kehrt Stunden später völlig in Panik, hysterisch schreiend und
mit zerrissenen Kleidern zurück, ohne sich daran erinnern zu können,
was geschehen ist. Die anderen Mädchen bleiben vorläufig verschwunden
und auch die Gouvernante ist plötzlich nicht mehr auffindbar.
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Warum's so gut
ist:
In diesem Roman gibt es keine Elfen, Feen, Magier oder Drachen; man wird
auch kein Grüppchen Aufrechter darin finden, die gegen das Böse
kämpfen. Das Faszinierende an Joan Lindsays Roman ist, daß
eine friedliche Idylle unerwartet und auf unheimliche Weise zerstört
wird. Die Szenerie ist real. Was könnte harmloser, friedvoller, unbeschwerter
und romantischer wirken als ein Grüppchen junger Mädchen, korrekt
gekleidet in lange weiße Musselinkleider, mit Handschuhen und Sonnenschirmen.
Und wie groß muß das Entsetzen sein, wenn ein Mädchen
derart derangiert wieder auftaucht und die drei anderen samt ihrer Gouvernante
verschwunden bleiben. Ein weiteres Mädchen wird eine Woche später
aufgefunden, nur leicht verletzt, ebenfalls halb bekleidet, ohne Erinnerung
an das Geschehene und das letzte, was man von der Gouvernante hört,
ist, daß sie noch einmal gesehen wurde - nur in Unterwäsche.
Jeder Leser kann sich halbwegs vorstellen, was am Hanging Rock geschehen
sein muß und darf diese Vermutung gleich wieder über Bord werfen.
Die beiden Mädchen sind immer noch jungfräulich.
Nach diesem Schock scheint das Leben im Appleby College den Umständen
entsprechend normal weiter zu gehen und der Leser könnte auf den
Gedanken kommen, daß der Roman jetzt so vor sich hinfließt
und längere Zeit nichts Spannendes oder Unheimliches passiert. Das
ist aber nur vordergründig so. Das Unheimliche und Phantastische
tritt nicht mehr so plakativ auf, wie am Anfang der Geschichte, es steckt
in Anspielungen, Nebensätzen und muß zwischen den Zeilen herausgelesen
werden. Dieser Roman braucht Leser, die sich auf leise Untertöne
und Bildersprache verstehen. Zum Ende hin gewinnt er wieder an Dramatik,
als sich die Tragödien häufen, die alle mit den Geschehnissen
am Hanging Rock in Zusammenhang stehen.
Das Ende des Romans bleibt offen, jedenfalls war das über zwanzig
Jahre lang so und in englischsprachigen Ausgaben endet das Buch auch heute
noch mit dem siebzehnten Kapitel. Joan Lindsay hat aber ein Schlußkapitel
geschrieben, in dem sie das Rätsel um den Verbleib der drei Verschwundenen
auflöst. Die Autorin hat verfügt, daß dieses Kapitel am
dritten Valentinstag nach ihrem Tod veröffentlicht wird. In meiner
Ausgabe gibt es dieses erklärende achtzehnte Kapitel und noch ein
alternatives Schlußkapitel, das sich der Übersetzer hat einfallen
lassen. Mein Tip ist: Hören Sie nach dem siebzehnten Kapitel auf
zu lesen. Die angebotenen Auflösungen sind nicht schlecht und tendieren
in die Richtung, die die meisten Leser ohnehin vermuten werden. Aber es
besteht die Gefahr, daß für einige Leser der Zauber des Buches
zerstört wird und andere werden die angebotenen Auflösungen
nicht glauben und ihre eigene Theorie vom Grund des Verschwindens der
Mädchen trotz der Vorgabe nicht aufgeben.
(rezensiert von: Top
Dollar)
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