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1 Rezension
-Wahrscheinlich hätte Florian den Wald von Acaire niemals betreten, wenn man ihm nicht immer und immer wieder gesagt hätte, daß er sich davon fernzuhalten habe.-
I. Der fahrende Knabe
Zyklus/Band Die Chroniken von Poictesme (4)
Autor James Branch Cabell
Original The High Place
Erscheinungsjahr 1923, dt. 1987
Verlag Bastei Lübbe
ISBN 3-404-20099-3
Subgenre Fun-tasy / Klassische Phantastik
Seitenzahl 254
Probekapitel -
Worum's geht:
Die Familie de Puysange herrscht über die Provinz Poictesme. Der kleine Florian de Puysange wird von einer sonderbaren Frau in den merkwürdigen Wald von Acaire geführt, wo er die schönste Frau der Welt schlafen sieht. Jahre später ist Florian selbst der Herr und die Logik, der er zu folgen pflegt, gebietet, daß er sich erneut verheiratet - die fünfte Frau wartet schon. Schnell werden Unziemlichkeiten, wie Mätresse und Lustknabe, aus dem Schloß entfernt und der Herzog macht sich auf zu seiner Braut. Doch unterwegs wird ihm die Chance geboten, sein Schönheits-Ideal zu erlangen - die schlafende Melior - wenn er auch mit dem ewigen Widersacher einen grausigen Pakt eingehen muß. So "küßt der Prinz seine Prinzessin wach" und heiratet sie, aber da beginnen erst die eigentlichen Probleme...
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Die Geschichte spielt in weiten Teilen in der fiktiven französischen Provinz Poictesme am Golfe du Lion, aber auch am Hofe in Versailles zur Zeit des Rokoko. Die Eigenheiten dieser Zeit beeinflussen die Form der Handlungen der Figuren massiv. Der Adel neigt zu Ausschweifungen und Orgien, die unter Louis XIV. noch vertuscht wurden, unter dem Regenten Philippe II. von Orléans aber offen ausgelebt wurden. Gleichzeitig ist diese Zeit einerseits von Romantik und Poesie, andererseits von Rationalität geprägt, alles wird jedoch sehr individuell ausgelebt.
Die Geschichte besitzt unzählige magische Elemente, wenngleich vieles sehr symbolhaft ist (aber niemals so gelesen werden muß). Da ist die verzauberte Burg Brunbelois, in der seit einigen Jahrhunderten deren Bewohner, von gräßlichen Monstren bewacht, schlafen. Meliors Schwester Melusine, beide gehören zu den Léshy, hatte diesen Zauber bewirkt. Es gibt einen Zauberstab, einen Ring, der vor Gefahren warnt, und natürlich das magische Schwert Flamberge. Weiter ist da ein Heiliger, der besonders gut im Zerschmettern ist und nach belieben Engel herbeirufen kann (was er zu deren Verdruß auch macht). Es tritt der Erzengel Michael auf. Der ewige Widersacher ist Janicot und er schließt einen Pakt mit Florian; der Held kann seine angebetete Schönheit ehelichen und bekommt die Mittel, um den Pakt einzuhalten. Dafür verschwindet Melior nach der Geburt des ersten Kindes von Florian und dieses Kind muß dem Herren der Welt geopfert werden, ein Vorgang, der, wie der Leser erfährt, nicht schwieriger ist als das Schlachten eines Kaninchens.
Es gibt eine Reihe von Figuren, doch noch stärker als bei den magischen Elementen merkt man ihnen die Symbolhaftigkeit an. Die meisten sind eher Ausdruck einer gewissen menschlichen Verhaltensart denn echte Personen. Dieses bringt Horvendile auf den Punkt: "Und heute trägt Euch, Monsieur Puysange, dieses Leben als ein einstweiliges Gewand oder vielleicht als eine Maske: Morgen seid ihr gleichfalls abgelegt. Denn das ist immer das Ende der Komödie." (S. 134) Nichtsdestoweniger wirken die Figuren wie aus dem Leben gegriffen und gerade die sehr zentrale Figur Florian ist interessant und keineswegs holzschnittartig. Der Held der Geschichte ist ein menschliches Monstrum. Nach außen ist er ein wohl gelittener Herr, denn die Maxime der Puysanges lautet: "Vergehe dich nicht wider den Ansichten deiner Nächsten." Gibt es einen Präzedenzfall und folgt es der Logik, dann kann der Romantiker jede Handlung vor sich rechtfertigen - am Ende weiß er nicht, was er bereuen sollte, denn alles ward getan um eine bessere Welt zu schaffen. So hat er seine vier Ehefrauen getötet, das Ende seiner Neuen ist im Pakt schon enthalten, wie auch die Opferung seines ersten Kindes mit Melior. Er tötet seinen Bruder und seinen Gönner Philippe von Orléans, denn ein Puysange steht zu seinem Wort. Sicherlich, er bedauert diese Morde, denn er hatte die beiden wirklich gern. Besonders ärgerlich ist, daß sie für diese dumme Frau sterben mußten, denn nachdem er einmal Melior hat, muß er feststellen, daß auch sie nur aus Fleisch und Blut ist, welches niemals mit den Träumen konkurrieren kann. Florian ist eine sehr spannende Person: Trotz Ehebruch, Inzest und Morden en masse kommt er zu dem logischen Schluß ein guter Mensch zu sein.
Im Kern ist dieses eine Entwicklungsgeschichte: Als Mittdreißiger muß Florian feststellen, daß ihn all seine Ideale getrogen haben. Melior ist strohdumm und nervt ihn mit ihrem beständigen, geistlosen Geplapper, während ihrer Schwangerschaft geht auch noch ihre Schönheit verloren - Florian freut sich darauf, das Kind endlich opfern zu können um die Mutter loszuwerden. Auch sein Schutzheiliger St. HOPRIG ist eine Enttäuschung: Er war eigentlich ein lüsterner Priester des Llaw Gyffes, ein scharfer Verfolger der Christen; es war sein Opfer HORRIG, der von der Kirche heiliggesprochen werden sollte; nur dummerweise ist ein R-Strich abhanden gekommen und einmal ein Kalenderheiliger, gibt es keinen legalen Kniff mehr, diesen wieder los zu werden. Sehr ironisch und doppelbödig wird das menschliche Miteinander dem Leser vorgeführt.
Die Rolle von Janicot ist wenigstens dreifach kodiert. Einerseits läßt sich sein Part ohne Hintergedanken lesen, dann kann er als Symbol für den Satanismus genommen werden und schließlich als Symbol für die körperlichen Gelüste des Menschen - sein Es. Der Erzengel Michael kann stellvertretend für Christentum (Eine sehr junge Religion - es ist immer der Herr des Himmels, der den Widersacher unterwirft - oder ist es der Fürst der Erde, der den aktuellen Herren des Himmels - z.Z. der Stammesgott der Jude, der vor Kurzem die christliche Wende macht - duldet?) oder die Moral der Menschen insgesamt, quasi sein Über-Ich, stehen. Die strenge Rationalität, geboren aus den Träumen der Menschen, greift beides an.
Auch wenn das Werk 1923 veröffentlicht wurde, finden sich einige Merkmale des post-modernen Romans; besonders gelungen ist die Begegnung mit dem Nachtwächter, der gleichzeitig mit Florian und dem Leser spricht: "Denn ich selbst würde ungern in dieser Geschichte sein, weil sie keine leichte fröhliche Lektüre ist." (S. 57)
Auch sprachlich macht sich dieses bemerkbar, denn Cabell geht sehr spielerisch mit ihr um; Florian äußert seinen Unmut darüber als "kleiner Herzog" betitelt zu werden und Janicot entgegnet: "Ich erbitte Euren Pardon, Monsieur Herzog, für das schlecht gewählte Adjektiv, und ich ziehe es mit Hast zurück." (S. 123) Das Werk sprüht vor Ironie und stilistischer Eleganz.
Das Werk ist der vierte Teil der Biographie des Lebens von Manuel. Es ist zwar ohne weiteres ohne die anderen Bücher zu kennen lesbar, doch gerade hier gibt es sehr viele Anknüpfungspunkte zum Rest des Zyklus und die Kenntnis um den Hintergrund der jeweiligen Figuren, wenn Florian z.B. Manuel trifft, verleihen der Geschichte doch einiges an zusätzlicher Tiefe. Im Zyklus legt Cabell seine Ansichten über Lebensauffassungen dar, die Vertreter sind Dom Manuel (Chevalereske/Ernste), Jürgen - wie auch Florian (Galante/Ironische) und Horvendil (Poetische/Schaffende).
(rezensiert von: Theophagos)
Wertung
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Sprache
Story
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Illustrationen
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Fazit: Florian de Puysange, ein bisexueller Blaubart, gelangt an das Ziel seiner Träume und wird enttäuscht; dieses ist eine bitterböse Satire auf Rationalität, Religion und Romantik, eine hervorragende Komödie der Entzauberung.


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