Worum's geht:
Auf der ganzen Welt gibt es nur zwei Keruvim, goldene, geflügelte
Statuen, die die Fähigkeit verleihen, die Schatten der Finsternis
zu beschwören. Eine dieser Figuren besitzt Obadiah Demurral, der
Vikar von Thorpe, der mit dem Bösen im Bunde steht, schon. Nun ist
er auf der Jagd nach der zweiten, denn nur wenn beide Keruvim in seinem
Besitz sind, erlangt Demurral Macht über das Universum. Drei Jugendliche
sind auserwählt, dies zu verhindern: der dreizehnjährige Thomas,
der durch die Unbarmherzigkeit des Vikars obdachlos und zum Betteljungen
geworden ist; eine ominöser Fremder namens Raphah, der schiffbrüchig
an Land gespült wurde, und die vierzehnjährige Kath, Thomas'
Freundin und Tochter des Steuereintreibers.
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Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
G.P. Taylor verlegt die biblische Apokalypse in das England des 18. Jahrhunderts
und peppt sie mit Fantasyelementen auf, erweckt aber den Eindruck, als
solle dies mehr oder minder sein Geheimnis bleiben, um den jungen Lesern
so ganz nebenbei eine esoterisch-christliche Erlösungs-Mystik nahe
bringen zu können. Anders ist es nicht zu erklären, warum aus
den biblischen Cherubim und Seraphim plötzlich "Keruvim"
und "Seruvim" werden und der Erzengel Raphael zu dem ominösen
Schiffbrüchigen "Raphah" aus dem fernen, ägyptisch
angehauchten Lande Kusch mutiert. Sogar Jesus hat einen "Undercover-Auftritt"
in konspirativer Mission. Natürlich wird er namentlich nicht genannt,
seine Erscheinung ist die "geheimnisvollste" von allen. Er wird
vom Autor nur als Der Mann bezeichnet, nennt sich selbst aber "ICH
BIN, DER ICH BIN" (das ist eine mögliche Übersetzung des
Gottesnamen "Jahwe", so stellt sich Gott im Alten Testament
Mose vor, als er aus dem brennenden Dornbusch zu ihm spricht), zitiert
fleißig die Bibel und die ganze Szene ist der Begegnung Jesu mit
seinen Jüngern auf dem Weg nach Emmaus nachempfunden. Raphahs "Gott"
heißt Riathamus. Raphah begegnet dem Mann und bemerkt nicht, dass
es sich offensichtlich um Riathamus handelt, dem personifizierten Guten,
dem er schon sein Leben lang dient. Die ganze Geschichte hindurch gibt
es mehr oder weniger verhüllte Hinweise auf Gott, Jesus und die Bibel,
z.B. wenn einer der Bösewichte sagt: Alles ist anders geworden,
die Gesetze mache jetzt ich. Der Sieger im Kampf auf dem Schädelberg
ist jetzt der Verlierer. Gebräuchlicher als "Schädelberg"
ist im Deutschen das Wort "Schädelstätte" als Übersetzung
für das hebräische Wort "Golgatha", das den Ort bezeichnet,
an dem Jesus ans Kreuz geschlagen wurde. Und am Schluss dürfen alle
einmal vom Baum der Erkenntnis naschen und ein Toter wird zum Leben erweckt
Das Ärgerliche an diesem Roman ist nicht, dass G.P.Taylor die Offenbarung
des Johannes und die Bibel insgesamt als Vorlage für seine Geschichte
benutzt, das haben andere vor ihm auch schon getan. Die Apokalypse ist
ein beliebter Stoff für Horror-, Endzeit-Katastrophen-Filme und Fantasyromane.
Das Ärgerliche ist, dass er den Anschein erweckt, das alles sei seine
eigene Erfindung und höchstens von den Sagen und Legenden seiner
englischen Heimat inspiriert. Noch im Nachwort versucht er diese Illusion
aufrechtzuerhalten. Dort schreibt er: Die Menschen, Schauplätze und
Erscheinungen, von denen im Schattenbeschwörer die Rede war,
finden sich alle an der Küste von Yorkshire, der Grafschaft im Nordosten
England. Nein, das tun sie nicht. Wenn auch nicht "alle", so
finden sich einige davon zuerst einmal in der Bibel, bevor G.P.Taylor
sie in Der Schattenbeschwörer verbraten hat.
Der zweite Vorwurf, den man dem Autor machen muss, ist, dass er seine
Vorlage verhunzt hat. Die Dialoge erinnern an schlechtes Theater. Jesus,
Verzeihung, Der Mann, spricht so pathetisch, dass man ihm kein zweites
Mal begegnen möchte. Raphah redet wie ein amerikanischer Fernsehprediger:
Riathamus steht an der Tür deines Lebens und klopft an. Wenn du
seine Stimme hörst und ihm antwortest, tritt er in dein Leben und
bleibt für immer bei dir. Er kann euch aus all eurer Armut herausholen,
euch frei machen, damit ihr die Menschen, sein könnt, als die ihr
gedacht wart, und nicht die sein müsst, zu denen ihr geworden seid.
Ein anderer Protagonist äußert sich rätselhaft wie die
Pythia, woraus man ersehen kann, dass die Bibel nicht die einzige Quelle
ist, aus der Taylor seine Inspiration geschöpft hat. Auch die Weltliteratur
darf nicht fehlen. Das Wort "Stregoika" (Hexe) z.B. kennt der
Leser, sofern er nicht Rumänisch spricht, gewöhnlich nur aus
Bram Stokers Dracula. Jonathan Harker schnappt es auf, als er die
Kutsche besteigen will, die ihn über den Borgo-Pass bringen soll.
Nun hat es auf wundersame Weise auch in Der Schattenbeschwörer
Eingang gefunden. Aber wenn man es recht betrachtet, ist das gar kein
Wunder. G.P.Taylor hat sich großzügig aus der Bibel, aus Mythen,
Sagen, Legenden und Romanen der Weltliteratur bedient, alles zusammengewürfelt,
ein paar Mal durchgeschüttelt und wahrscheinlich darauf gehofft,
dass die jungen Leser zu wenig Lese-Erfahrung besitzen, um zu bemerken,
was für ein abstruser Mischmasch ihnen damit geboten wird.
Dazu kommen sprachliche Ungenauigkeiten wie: Bei dem Geräusch
seines fallenden Körpers und dem Knacken des Knotens hatte die Menge
entsetzt den Atem angehalten. So wird eine Hinrichtung durch den Strang
beschrieben. Ein Knoten kann aber nicht "knacken", das Einzige,
was bei dieser Art der Hinrichtung "knackt", ist das Genick
des Delinquenten, wenn es bricht. Im achtzehnten Jahrhundert allerdings
trat der Tod beim Erhängen noch durch Erdrosseln ein, da die damalige
geringe Fallhöhe nicht ausreichte, um den Opfern das Genick zu brechen.
Das ist nicht der einzige Anachronismus in der Geschichte. Im Roman wird
noch mit Schwertern gekämpft, die waren im 18. Jahrhundert aber nicht
mehr gebräuchlich. Als Hieb- und Stichwaffe benutzte man damals den
leichteren Degen.
Schlecht recherchiert, schlecht geschrieben und schlecht geklaut, das
ist zu viel des "Guten".
(rezensiert von: Top
Dollar)
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