Worum's geht:
Es wird von dem Leben Túrins, des Sohns von Húrin, berichtet,
wie der Junge seine angestammte Heimat verlassen mußte und von dem
Elbenkönig Thingol aufgenommen und erzogen wurde. Es wird erzählt,
wie es dazu kam, daß er davonging und als Exilant ruhelos umherzog
mit seinem Schicksal hadernd, aber immer wieder dazu berufen, sich zum
Fürsten unter Menschen aufzuschwingen, und wie es immer wieder zu
bösen Zwischenfällen kam. Es wird aber auch die Rede von seinem
Vater Húrin sein, der gegen Morgoth, der einst der Erste der Valar
war, zog, von seiner stolzen und halsstarrigen Mutter Morwen und vom Verhängnis
seiner schönen Schwester Nienor.
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Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Die Kinder Húrins lebten in der Zeit der Altvorderen, im ersten
Zeitalter Mittelerdes, als es noch das schöne Beleriand gab. Die
Noldor, die mächtigen Fürsten der Elben, die in den Westen gegangen
waren, sind vor 469 Jahren zurückgekehrt und kämpfen noch immer
gegen Morgoths furchtbare Orkhorden. Beleriand wird von weiten Ebenen
und tiefen Wäldern überzogen, von Hügelketten geformt und
von hohen Bergen vor dem Zugriff Morgoths aus dem Norden und dem Osten
bewahrt. In diesem Gebiet siedeln einige Menschen der drei getreuen Häuser
der Edain, aus denen in ferner Zukunft das Geschlecht der Dúnedain
hervorgehen soll, und wenige Zwerge, doch die Herren sind die Elbenfürsten.
Die Gesellschaftsstruktur wird kaum erwähnt, aber man erhält
den Eindruck, es handele sich um eine Mischung aus Stammeskultur (ähnlich
der Germanen) und sehr früher Feudalgesellschaft. Es scheint keine
allgemeinverbindlichen gesellschaftlichen Werte zu geben; dieses mutet
etwas postmodern an - daher ist das Setting eher ein Ambiente als ein
Milieu.
Es gibt zwar einige magische Elemente - neben den schon erwähnten
Völkern der Elben, Orks und Zwerge gibt es magische Gegenstände,
wie das Schwarze Schwert Gurthang (welches übrigens keine direkte
Verbindung zu Elrics Schwarzen Schwert Sturmbringer
aufweist) und den Drachenhelm, der den Träger vor Tod und Verwundung
bewahrt, doch diese beeinflussen die Geschichte nur wenig; bedeutender
ist der kurze Auftritt des dunklen Feindes Morgoth und seines Dieners,
des mächtigen Drachen Glaurung. Dieser ist ein gewaltiger, echsenartiger
Wurm, der feuerspeiend und mit giftigem Blute versehen eine große
Macht über die Geister der Lebenden besitzt.
Die magischen Elemente erinnern deutlich an den Sagenstoff der Völkerwanderung,
bzw. des frühen Mittelalters.
Es treten zwar relativ viele Figuren auf, doch die meisten werden nur
knapp skizziert, was deren Handlungen z. T. eigentümlich erscheinen
läßt. Alle Figuren haben etwas Archetypisches, was vielfach
jedoch nicht weiter störend ist.
Die interessanteste Figur ist sicherlich der im Zentrum stehende Túrin.
Als er ein Junge ist, zieht sein Vater Húrin in eine Schlacht gegen
Morgoth, nach der ihr Lehen, Dor-lómin, an die Diener des Feindes
verloren geht. Um der Sklaverei zu entgehen, flüchtet Túrin
sich an den Hof Thingols, wo er zu einem mächtigen Krieger heranwächst.
Er ist ein harter, gerechter Mann, aber durchaus zu Mitleid und Gnade
fähig. Doch sein Stolz, sein Jähzorn und seine Impulsivität
lassen ihn immer wieder Taten begehen, die Unglück über ihn
und seine Liebsten bringen.
Andere Figuren sind Mablung, ein gewaltiger Jäger der Elben und Freund
Túrins; Saeros, ein Elb, der eifersüchtig auf Túrin
ist; Morwen, die stolze und unbeugsame Mutter Túrins; Mim, ein
alter Zwerg mit einem Geheimnis und Brandir, der vorsichtige Hauptmann
von Brethil, neben vielen weiteren.
Wie in den Sagen und Epen, die für den Plot Pate standen (hier ist
besonders die finnische Kalevala
und der tragische Held Kullervo zu erwähnen), wird hier hauptsächlich
die Lebensgesichte Túrins erzählt, wobei die wichtigen Episoden
genau beleuchtet werden und lange Zeiträume, in denen wenig geschieht,
zusammenfassend erzählt werden. Außerdem werden bedeutende
Ereignisse, die Túrins Leben aber nur indirekt beeinflussen, ebenfalls
mit eingeflochten, so wie Húrins Begegnung mit Morgoth und Morwens
und Nienors Suche nach Túrin. Auch wenn Túrin ein großer
Krieger und ein Fürst der Menschen ist, dessen Ziel die Rache am
dunklen Fürsten ist, nehmen Kämpfe und Kriege doch eine eher
untergeordnete (aber durchaus wichtige) Position ein. Relevanter ist das
Wirken des Schicksals, im Großen wie im Kleinen, und Túrins
Reaktionen darauf - Túrins Charakter legt eine Tragödie nahe.
Hieraus erwächst auch die Spannung, der Leser fragt nicht, ob Túrin
fällt, sondern wie tief er fallen wird. Spannend ist es deshalb,
weil Túrin nicht unsympathisch ist, aber in letzter Instanz seines
"Glückes" Schmied ist.
Anzumerken ist noch, daß die Geschichte aus dem Band Nachrichten
aus Mittelerde entnommen ist. Dieser heißt im Original treffend:
Unfinished Tales of Numenor and Middle-earth - zu recht, denn auch
diese Geschichte ist nur ein Fragment. Genauer gesagt sind es zwei Fragmente,
denn ein gewaltiges Stück in der Mitte fehlt. Die Lücke wird
zwar mehr oder weniger durch einen Anhang geschlossen, doch es bleibt
ein Fragment.
Erzählt wird die Geschichte aus auktorialer Perspektive, wobei der
Erzähler zurückhaltend ist. Der Handlungsaufbau entwickelt sich
im Großen und Ganzen dramatisch, auch wenn es episodenhafte Einschübe
und Zeitsprünge gibt.
Die Stilhaltung ist zwar empathisch, aber von einer gewissen Kühle
geprägt. Die Satzkonstruktionen und die Wortwahl erinnern sehr an
Sagen, was gut zu Gesamtkonzept der Geschichte paßt.
(rezensiert von: Theophagos)
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