KINDER DES WASSERMANNS

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Wertung: 3 von 5
1 Rezension
-Steil erhebt sich die Küste von Dalmatien.-
Prolog
Zyklus/Band -
Autor Poul Anderson
Original The Merman's Children
Erscheinungsjahr 1979, dt. 1981
Verlag Moewig
ISBN 3-8118-3767-2
Subgenre Pseudo-historisch, Märchen
Seitenzahl 287
Probekapitel -
Worum's geht:
Der neue Erzdiakon Magnus Gregersen entdeckt Schauerliches: Vor dem dänischen Dorf Alsen gibt es eine Kolonie des Seevolks. Mittels eines Exorzismus' wird diese zerstört. Die überlebenden Meermenschen machen sich unter der Führung ihres Königs Vanimen auf, eine neue Heimat zu finden; dieses ist aber nicht leicht, denn viele Küsten sind entweder schon exorziert worden oder beherbergen schon zu viele Feenwesen. Die vier Kinder des Königs bleiben zunächst zurück, denn das Jüngste vermag nicht so schnell zu schwimmen, weil ihre Mutter eine Sterbliche war. So beschließt man, sie an Land zu bringen, Gold zu besorgen um ihr eine freie Zukunft zu ermöglichen und später nach den Verwandten zu suchen - es gilt nicht nur unbarmherzige Meeresbewohner und andere Kalamitäten zu überstehen, sondern auch die Krone und die Kirche zu überlisten…

Bibliotheka Phantastika verleihtSterne:
Das Geschehen findet fast beständig im Meer oder an der Küste, von Dänemark über Grönland ins Mittelmeer nach Dalmatien des "realen" Europas im beginnenden 14. Jahrhundert statt, doch nur Dänemark und Teile Dalmatiens werden näher beschrieben.
Da eine ganze Reihe von unterschiedlichen Kulturen (Dänen/Norweger, Inuit und die Slawen Dalmatiens) vorgestellt werden und es immer wieder zur Kontrastierung von Heidentum und Christentum kommt, bleibt das milieuartige Setting eher an der Oberfläche, zumal diesem nur begrenzt viel Raum gewährt wird. Doch der Autor bemüht sich die Figuren stimmig in den historischen Kontext einzubetten.
Die Unterseewelt wird leider nur im ersten Teil etwas ausführlicher dargestellt.

Magische Elemente gibt es einige, die auch eine größere Rolle spielen. Im Zentrum steht natürlich das Seevolk. Diese Feenwesen sehen Menschen zwar sehr ähnlich - sie haben nur größere Füße und Hände, jeweils mit Schwimmhäuten versehen, wie sie auch blaues oder grünes Haar haben können - unterscheiden sie sich von den Sterblichen doch sehr, denn im Gegensatz zu diesen haben sie keine Seele. Sie altern nicht, aber wenn sie sterben, dann vergehen sie ohne etwas zu hinterlassen; es gibt für sie keine Nachwelt. Auch ist ihre Moral eine anderen: Sexualität wird frei (und häufig) ausgelebt, es gibt keine Ehe und kein Inzest-Tabu; ihre Vorliebe für die Nacktheit befremdet die prüden Christen zusätzlich.
Doch daneben gibt es noch einige weitere Wesen aus der europäischen Sagen- und Mythenwelt: es gibt den Selkie, eine Mischung aus Mensch und Seehund; den Tupilak, eine unheilige, mörderische Kreatur und die Vilja, der verführerische Geist einer Selbstmörderin. Auch das Christentum hat seine Wunder, die sich an Legenden des Mittelalters orientieren: Dessen Rituale können z.B. das Feenreich vertreiben.
Vielfach orientiert sich Anderson an dem dänischen Sagenstoff, so verarbeitet er die Geschichte um die schöne Agnete, die sich in einen Wassermann verliebt, mit ihm unter das Meer geht und sieben Jungen gebiert, schließlich aber an Land und zur Christenheit zurückkehrt.
Das Kernthema ist das "Thinning" - das Schwinden des Zaubers aus der Welt, hier gebunden an das Heidentum - und wie der "Aberglaube" durch Rationalität ersetzt wird. Da allerdings die Auseinandersetzung eher oberflächlich bleibt, das Christentum generell in einem negativen und das Heidentum in einem positiven Kontext steht und das Wunder der Seele nicht weiter erläutert wird, bietet die Geschichte in dieser Hinsicht nicht sonderlich viel Stoff zum Nachdenken an.

Es treten relativ viele Figuren auf, die zwar rund sind, aber eine ausgeprägte Stoßrichtung haben. Im Zentrum stehen die fünf Protagonisten. Da ist zunächst Vanimen, der König des Seevolks von Liri. Er ist groß und muskulös, ein gewaltiger Jäger, der in seiner Jugend weit umherstreifte und im Alter über eine reiche Erfahrung verfügt. Er ist verantwortungsbewußt und handelt daher vielfach zögerlich und vorsichtig, ist aber auch bereit viel zu riskieren, wenn es der Sache dient. Seine Kinder, die Geschwister Tauno und Eyjan, sind ebenfalls großgewachsen und schön anzusehen. Da ihre Mutter Agnete eine Sterbliche war, können sie sich etwas freier unter den Menschen bewegen. Tauno, der Ältere, übernimmt wie sein Vater die Verantwortung und die Entscheidungsgewalt. Eyjan fällt durch ihre sehr stark ausgelebte Sexualität auf. Beide sind zwei Sterblichen, die ihnen weit helfen, sehr zugetan: Ingeborg und Niels. Stockfisch-Ingeborg ist nach dem Tod ihres Mannes in die Prostitution gerutscht und verliebt sich schließlich in Tauno. Sie ist eine sehr empathische Frau. Niels ist ein junger und anständiger Seemann, der sich in die rothaarige Eyjan verliebt. Er ist ein kluger Kopf, wenn auch etwas unerfahren. Da der Autor die psychologische Ebene vielfach nur anreißt, sind manche Entwicklungen nur schwer nachvollziehbar.
Weiter gibt es noch etliche Figuren aus dem Seevolk, wie Meiiva, die besondere Freundin Vanimens; Raxi, die sexuell aktivste, oder Yria, die Schwester Taunos und Eyjans, die sich an Land taufen läßt und so zur Sterblichen Margrete wird, aber auch Menschen, wie die verkommene Besatzung der Herning, die den Geschwistern "hilft" bei der Suche nach Gold für Margrete, den offenen und freundlichen Inuit Minik und seinen Stamm, den stolzen und fremdenfeindlichen Norweger Haakon und seine Untertanen oder den pragmatischen, doch nicht prinzipienlosen Vater Tomislav und seine dalmatische Gemeinde, neben Feenwesen, wie den mysteriösen Selkie Hauau oder die verführerische Vilja Nada. Viele dieser Figuren sind durchaus ambivalent gestaltet und begehen manch' grausame Tat aus Liebe und manch' hilfreiche Handlung aus Eigennutz - vielfach sind gerade die Nebenfiguren besonders interessant.

Die Handlung folg zunächst zwei, später drei Plotsträngen. Nach der Zerstörung Liris macht sich das Seevolk unter König Vanimen auf eine neue Heimat zu finden. Einer Odyssee gleich irren sie durch die See. Viel Raum wird dieser Reisegeschichte allerdings nicht gewährt. Der Hauptstrang entwickelt sich um die Kinder Vanimens; Yria wird zu Margrete und ihre Geschwister wollen ihr ein freies Leben unter Menschen ermöglichen. Dazu müssen sie Gold bergen - Ingeborg und die Mannschaft der Herning, zu der auch Niels gehört, werden dazu benötigt. Später teilt sich dieser Strang auf. Während die Geschwister ihr Volk suchen, versuchen die menschlichen Verbündeten den illegal erworbenen Schatz in legalen Besitz umzuwandeln. Sobald die Geschwister involviert sind, nimmt der Strang viel Platz ein und wird immer wieder von Abenteuern durchzogen, sind die Menschen alleine, kommt ihnen nicht viel Geltung zu und die Sprünge der Handlung beim Tricksen und Feilschen werden sehr groß. Spannung entsteht zumeist aus den überraschenden Wendungen und bedrohlichen Situationen, ein wenig (trotz der fehlenden Psychologie) aus den Charakteren; allerdings kommt der Strang um die Sterblichen zu kurz, um Spannung aufbauen zu können.
Die Handlung ist progressiv, episodisch und - entsprechend des Kernthemas - desillusionierend.

Die Stilhaltung ist neutral, wobei Wortwahl und Satzduktus schwanken: Mal wirkt es spröde und distanziert mit subtilen Charakterisierungen, mal sind die Beschreibungen etwas überzogen und überdeutlich, so daß es zuweilen ein wenig plump und ungelenk wirkt - meistenteils sind sie jedoch unauffällig.

Bedenklich sind Frauenbild und die Darstellung von Vergewaltigung.
Frauen werden im Laufe der Geschichte immer stärker auf die Sexualität und besonders die Ehefrauen-/Mutterrolle reduziert. War Ingeborg zu Beginn noch eine erfahrene Unterhändlerin und Eyjan eine starke Jägerin, so definieren sie sich später nur noch über ihre Beziehungen zu Männern, besonders zu Tauno. Die einzige unabhängige Frau ist die Priorin, bei der Margrete eine Zeitlang untergebracht wird - und diese wird in einem sehr schlechten Lichte dargestellt, wie das Klosterleben (und vor allem die damit verbundene Keuschheit) als nicht lebenswert beschrieben werden.
In der Episode um den Schatz wollen einige Mitglieder Eyjan vergewaltigen, doch sie wehrt sich voller Zorn dagegen, ihre Brüder springen ihr sofort bei und riskieren einen Kampf auf Leben und Tod. Später will ein anderer Mann Eyjan vergewaltigen, wagt es aber nicht. Eyjan bedauert es halb, daß er es nicht tat und Tauno hätte es auch nicht viel ausgemacht. Während in der Kurzgeschichte (s. U.) Vergewaltigung noch etwas Abstoßendes war, wird sie in der Überarbeitung zu bloßem Sex mit fremden Männern - und da Eyjan (und Ingeborg) davon sehr viel haben, ist eine Vergewaltigung für sie belanglos.

Ursprünglich hatte Anderson zwei Kurzgeschichten um die Geschwister geschrieben: Die Kinder des Wassermanns und Der Tupilak. Später überarbeitete er beide Geschichten, fügte einige Episoden und Handlungsstränge hinzu, um daraus die vorliegende Geschichte zu schaffen.
(rezensiert von: Theophagos)

Wertung
gesamt
Welt
Aufmachung
Sprache
Story
Karte
Personenglossar
Sachglossar
Hinweise zu Sprache/Aussprache
Illustrationen
Zeichnungen/Sonstiges

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Fazit: Nach der Zerstörung Liris macht sich das Seevolk unter Vanimen auf, um eine neue Heimat zu finden, während seine Kinder zunächst Yria versorgen und den Verwandten später folgen; einerseits eine Irrfahrt durch die Meere Europas, andererseits Abenteuergeschichten - einige Sagen und Märchen werden aufgegriffen, doch sowohl die historische Seite als auch das Kernthema werden nur wenig beleuchtet.


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