Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Im Jahre 1644 unterliegt Prinz Rupert in der Schlacht bei Marstonmoor,
was ein entscheidender Punkt im Englischen Bürgerkrieg zu sein scheint.
Aber in diesem England ist einiges anders. Die puritanischen Rebellen
dieser Paralleldimension nutzen ein ausgedehntes Eisenbahnnetz und profitieren
von ihren Fabriken. Auch wenn der Pulverdampf von Kanonen und Musketen
häufig über dem Schlachtfeld hängt, sind die Auseinandersetzungen
oft handgemein. Pferde und Segelfahrzeuge sind die dominanten Transportmittel.
Einen weiteren Unterschied gibt es noch: Shakespeare
war kein Dichter und Dramatiker, sondern ein Historiker - alles, worüber
er schrieb, hat sich so zu getragen! Das bedeutet für die Geschichte
allerdings nur sehr wenig, da nur ein paar Figuren aus seinen Werken auftreten,
bzw. erwähnt werden. Um dem Leser das Setting, welches eine Mischung
aus Ambiente und wohl intendierter atmosphärischer Untermalung ist,
näher zu bringen, ergeht sich der Autor in z. T. kitschigen Beschreibungen.
Es gibt ein paar magische Elemente, wie den Elfenkönig Oberon und
seine Frau Titania (nicht zankend) und Puck aus Ein
Sommernachtstraum, die Prinz Rupert auf den Weg bringen. Ariel, Caliban
und Prosperos Buch und Stab aus Der
Sturm sind notwendig, damit Rupert die Magie in England wirken kann.
Weiter wird das Gasthaus Alter Phönix betreten, welches im
Schnittpunkt der Dimensionen liegt und so die Möglichkeit zum Austausch
von Geschichten zwischen den Ebenen bietet. Nun sollten die magischen
Elemente eine ganz besondere Rolle spielen, da das Kernthema immerhin
das "Thinning", das Schwinden der Magie aus der Welt, ist. Zwar
sieht der Leser die Relevanz der magischen Elemente für den Plot
deutlich, allerdings kann er sie kaum spüren - in nur wenigen Szenen
treten die Elemente auf und dann werden sie auch nicht besonders eindringlich
geschildert.
Es gibt relativ viele Figuren, denen jeweils nicht viel Raum zugestanden
wird. Es handelt sich um flache Exzentriker, deren innere Zustände
kaum beleuchtet werden. Für gewöhnlich treten die Figuren nur
einmal kurz auf und spielen dann keine weitere Rolle mehr. Die Protagonisten
werden von Prinz Rupert von der Rheinpfalz angeführt. Der junge Militär
ist außergewöhnlich talentiert: Er ist ein hervorragender Taktiker,
interessiert sich für Kunst und Wissenschaft, doch nicht nur das
- er ist auch loyal, tapfer und tolerant. Insgesamt ein bewundernswerter
Mann, denn der große dunkle Prinz sieht auch umwerfend aus. Sein
treuer Gefolgsmann ist William Fairweather, eine hagere Vogelscheuche
mit einer Rübennase, jedoch mit Schlag bei den Frauen - bekommen
sie nicht den Prinzen, nehmen sie gerne mit diesen liebenswürdigen
Schelm vorlieb. Und dazu bekommt der Diener viele Gelegenheiten. Die dritte
im Bunde ist die liebreizende Jennifer Alayne, die ohne den Prinzen nicht
mehr leben mag. So lange die beiden treu zueinander sind, kann ihnen nur
wenig etwas anhaben.
Der Antagonist ist Sir Malachi Shelgrave, ein fanatischer Puritaner, der
so hartherzig ist, daß er ohne zu zögern sein schutzbefohlenes
Mündel foltern läßt - wenngleich in der leichtesten Gangart.
Dem Parlamentarier und Wissenschaftsgläubigen stehen einige Handlanger
zur Verfügung, die nicht nur absurde Namen, wie Sword-of-the-Lord,
Righteous oder Goforward Meeker, tragen, sondern sich eher auffällig
(und) trottelig benehmen. Echte Slapstick-Figuren. Kurzum: Die Königstreuen
sind liebenswert, tolerant, menschenfreundlich und fähig, während
die Rebellen abstoßend, intolerant, menschenverachtend und unfähig
sind.
Erwähnenswerte Nebenfiguren, die kurz im Alten Phönix
auftreten, sind Holger Danske aus Dreiherz,
der nichts zur Geschichte beiträgt, und Valeria Matuchek aus Operation
Chaos, die Rupert und dem Leser grob das Multiversum und die Mathematik
der Magie erklärt. Aufgrund von Holgers In-Der-Kneipe-Sitzen-Und-Bier-Trinken
wird diese Geschichte oftmals als Fortsetzung zu Dreiherz gehandelt.
Im Grunde funktioniert der Plot wie eine Queste: Prinz Rupert muß
auf der Suche nach einem magischen Artefakt, mit dem die Transformation
in eine ärmere Welt verhindert werden kann, allerlei Schwierigkeiten
meistern. Diese jedoch entsprechen oft nicht der üblichen Abenteuer-
und Reisethematik, sondern erscheinen vielmehr so, wie ich mir eine kitschige
Liebesgeschichte vorstelle: Prinz Rupert muß sich den Nachstellungen
von diversen schönen Frauen widersetzen (die dann Will nimmt) um
die Probleme lösen zu können - es wird von Rupert die doppelte
Treue verlangt: Sowohl zum König wie auch zu Jennifer. Jennifer dagegen
muß häßlichen und groben Halunken entkommen, um zu ihrem
Liebsten zu gelangen.
Sachte schwingt ein Chaos-Ordnung Konflikt mit, bei dem Oliver Cromwell
als Puritaner für die rationalisierende Ordnung gegen den wahren
König, der für das Chaos steht. Inspiration hierfür dürfte
die Sage, daß Cromwell die Feen aus England vertrieben habe, gewesen
sein.
Spannung soll wohl in gleichen Maßen aus den bedrohlichen Situationen,
den Wendungen, den Wundern, wie auch auf psychologischer Ebene entstehen
- nur leider haben die Figuren keine glaubwürdige Psyche, die Wunder
werden nicht eindringlich geschildert und die Wendungen sich vielfach
vorhersehbar. Die bedrohlichen Situationen schließlich berühren
kaum, da die Figuren fremd bleiben und ebenso wie die Wunder nur oberflächlich
geschildert werden. Hinzu kommt, daß die Plotpunkte nur weit verstreut
liegen, die Geschichte also eher langsam vorankommt. Bisweilen versucht
der Autor die Geschichte mit etwas albernem, slapstickartigem Humor aufzuheitern.
Erzählt wird die Geschichte aus auktorialer Perspektive von einem
zurückhaltenden Erzähler. Der Handlungsaufbau entwickelt sich
dramatisch und progressiv an zunächst einem, später an zwei
Erzählsträngen entlang.
Der Stil ist emphatisch. Sätze und Wortwahl suchen häufig die
Nähe zum shakespeareschen Drama - was weitgehend scheitert. Auch
hier wirkt es eher kitschig als romantisch oder zauberhaft. Weiterhin
- was wohl der Übersetzung geschuldet ist - wimmelt es von Fehlern:
Was mag wohl ein "xildes Feuer" (S. 227) sein? Es geht
bis zur Doppelung von Halbsätzen.
Das Titel- und Rückbild sind durchaus gut gelungen - nur: Sie zeigen
Gandalf, der mit den großen Adlern kommt, um Frodo und Sam vom Schicksalsberg
zu hohlen.
In der Realität war der Englische
Bürgerkrieg ausgebrochen, da der König
Karl I. immer wieder Differenzen mit dem Parlament hatte. In einem
langjährigen Hin und Her, in dem er willkürlich den Steuerdruck
verstärken wollte, die Angelikanische Kirche durchsetzen wollte,
unter anderem, indem er drohte, die Puritaner zu Häretikern zu erklären,
und diverse Rechte brach, schaffte er es, eine breite Koalition aus religiös
Unterdrückten, Kleinadligen und Bürgerlichen gegen sich auf
und hinter die Banner der Parlamentarier zu bringen. Nachdem das Parlament
mit knapper Mehrheit eine Anklage gegen den König beschlossen hatte,
versuchte dieser die Führer der Bewegung zu verhaften - was verfassungswidrig
war und die Londoner Bevölkerung gegen ihn aufbrachte. 1642 begann
daraufhin der Bürgerkrieg. Im eigentlichen Vorgehen gaben sich die
Kontrahenten nicht viel; nach dem ersten verlorenen Bürgerkrieg begann
der König einen zweiten, in dem er ebenfalls unterlag, was zu seiner
Hinrichtung führte. Oliver
Cromwell, der zunächst die nun ausgerufene Republik als Lord
Protector regierte, löste später das Rumpfparlament auf um eine
Art Militärdiktatur zu etablieren. Dieses führte nach seinem
Tod zur Restauration des Königtums. Dennoch: Der Aggressor war zweifellos
Karl I.
Prinz Rupert wird im Deutschen üblicherweise Prinz
Ruprecht von der Pfalz genannt und war in der Tat eine vielseitige
und spannende Gestalt; nach der Niederlage des Königtums wandte er
sich zunächst der Freibeuterei gegen die Republik und später
der Forschung und der Kunst zu. Nach der Restauration kehrte er in den
Dienst der englischen Flotte zurück.
Anderson vereinfacht die Sache erheblich: Die Parlamentarier sind Rebellen,
menschenverachtende und intolerante Puritaner, die nach Macht streben,
um ihre religiösen Vorstellungen durchzusetzen, zu denen eine unbarmherzige
Rationalisierung gehört. Die Royalisten dagegen sind tolerante, loyale,
aufrechte und tapfere Gesellen, die eine gute und individualistische Gesellschaft
wollen - wer frei sein will, muß für den König kämpfen.
Mehr als deutlich sichtbar wird hier Andersons Kritik am sozialen und
wirtschaftlichen Fortschritt (der technische wird nicht bewertet), die
sicherlich in einzelnen Punkten nicht unberechtigt ist, aber mich in dieser
verherrlichenden Form einfach abstößt, weshalb ich in der Gesamtwertung
einen halben Punkt abziehe.
Wer sich an große Vorbilder heranwagt, der hat große Erwartungen
zu erfüllen: Die Prämissen sind durchaus interessant, doch Anderson
gelingt es nicht, diese zu entwickeln; viel zu viele gute Ideen werden
in den Raum geworfen und dann nicht oder nur mit grober Hand verarbeitet.
(rezensiert von: Theophagos)
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