EIN MITTSOMMERNACHTS-STURM

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1 Rezension
-Diesen ganzen düsteren Tag lang hatten zwischen den kämpfenden Armeen von Zeit zu Zeit die Kanonen gesprochen.-
1 Donner und Blitz. Eine Heide im Begriff, in Brand zu geraten
Zyklus/Band -
Autor Poul Anderson
Original A Midsummer Tempest
Erscheinungsjahr 1974, dt. 1982
Verlag Bastei Lübbe
ISBN 3-404-20042-X
Subgenre Pseudo-historisch
Seitenzahl 269
Probekapitel -
Worum's geht:
Prinz Rupert verliert die Schlacht für die britische Krone gegen die parlamentarischen Rebellen unter Oliver Cromwell und gerät in die Gefangenschaft von Sir Shelgrave. Er ahnt, daß sein Verhalten entscheidend für den Krieg ist und ein Fehler das Ende für König Karl I. bedeuten könnte. Glücklicherweise verlieben sich Shelgraves Mündel Jennifer und der Prinz ineinander, so daß sie ihm bei der Flucht behilflich ist. Kaum entkommen trifft er auf Elfen, die ihm einerseits weiterhelfen, andererseits aber auch den Auftrag geben, Prosperos Buch und Stab nach England zu bringen, um das Schwinden der Magie aufzuhalten, denn Cromwell und seine Puritaner drohen diese aus der Welt zu treiben…

Bibliotheka Phantastika verleihtSterne:
Im Jahre 1644 unterliegt Prinz Rupert in der Schlacht bei Marstonmoor, was ein entscheidender Punkt im Englischen Bürgerkrieg zu sein scheint. Aber in diesem England ist einiges anders. Die puritanischen Rebellen dieser Paralleldimension nutzen ein ausgedehntes Eisenbahnnetz und profitieren von ihren Fabriken. Auch wenn der Pulverdampf von Kanonen und Musketen häufig über dem Schlachtfeld hängt, sind die Auseinandersetzungen oft handgemein. Pferde und Segelfahrzeuge sind die dominanten Transportmittel. Einen weiteren Unterschied gibt es noch: Shakespeare war kein Dichter und Dramatiker, sondern ein Historiker - alles, worüber er schrieb, hat sich so zu getragen! Das bedeutet für die Geschichte allerdings nur sehr wenig, da nur ein paar Figuren aus seinen Werken auftreten, bzw. erwähnt werden. Um dem Leser das Setting, welches eine Mischung aus Ambiente und wohl intendierter atmosphärischer Untermalung ist, näher zu bringen, ergeht sich der Autor in z. T. kitschigen Beschreibungen.

Es gibt ein paar magische Elemente, wie den Elfenkönig Oberon und seine Frau Titania (nicht zankend) und Puck aus Ein Sommernachtstraum, die Prinz Rupert auf den Weg bringen. Ariel, Caliban und Prosperos Buch und Stab aus Der Sturm sind notwendig, damit Rupert die Magie in England wirken kann. Weiter wird das Gasthaus Alter Phönix betreten, welches im Schnittpunkt der Dimensionen liegt und so die Möglichkeit zum Austausch von Geschichten zwischen den Ebenen bietet. Nun sollten die magischen Elemente eine ganz besondere Rolle spielen, da das Kernthema immerhin das "Thinning", das Schwinden der Magie aus der Welt, ist. Zwar sieht der Leser die Relevanz der magischen Elemente für den Plot deutlich, allerdings kann er sie kaum spüren - in nur wenigen Szenen treten die Elemente auf und dann werden sie auch nicht besonders eindringlich geschildert.

Es gibt relativ viele Figuren, denen jeweils nicht viel Raum zugestanden wird. Es handelt sich um flache Exzentriker, deren innere Zustände kaum beleuchtet werden. Für gewöhnlich treten die Figuren nur einmal kurz auf und spielen dann keine weitere Rolle mehr. Die Protagonisten werden von Prinz Rupert von der Rheinpfalz angeführt. Der junge Militär ist außergewöhnlich talentiert: Er ist ein hervorragender Taktiker, interessiert sich für Kunst und Wissenschaft, doch nicht nur das - er ist auch loyal, tapfer und tolerant. Insgesamt ein bewundernswerter Mann, denn der große dunkle Prinz sieht auch umwerfend aus. Sein treuer Gefolgsmann ist William Fairweather, eine hagere Vogelscheuche mit einer Rübennase, jedoch mit Schlag bei den Frauen - bekommen sie nicht den Prinzen, nehmen sie gerne mit diesen liebenswürdigen Schelm vorlieb. Und dazu bekommt der Diener viele Gelegenheiten. Die dritte im Bunde ist die liebreizende Jennifer Alayne, die ohne den Prinzen nicht mehr leben mag. So lange die beiden treu zueinander sind, kann ihnen nur wenig etwas anhaben.
Der Antagonist ist Sir Malachi Shelgrave, ein fanatischer Puritaner, der so hartherzig ist, daß er ohne zu zögern sein schutzbefohlenes Mündel foltern läßt - wenngleich in der leichtesten Gangart. Dem Parlamentarier und Wissenschaftsgläubigen stehen einige Handlanger zur Verfügung, die nicht nur absurde Namen, wie Sword-of-the-Lord, Righteous oder Goforward Meeker, tragen, sondern sich eher auffällig (und) trottelig benehmen. Echte Slapstick-Figuren. Kurzum: Die Königstreuen sind liebenswert, tolerant, menschenfreundlich und fähig, während die Rebellen abstoßend, intolerant, menschenverachtend und unfähig sind.
Erwähnenswerte Nebenfiguren, die kurz im Alten Phönix auftreten, sind Holger Danske aus Dreiherz, der nichts zur Geschichte beiträgt, und Valeria Matuchek aus Operation Chaos, die Rupert und dem Leser grob das Multiversum und die Mathematik der Magie erklärt. Aufgrund von Holgers In-Der-Kneipe-Sitzen-Und-Bier-Trinken wird diese Geschichte oftmals als Fortsetzung zu Dreiherz gehandelt.

Im Grunde funktioniert der Plot wie eine Queste: Prinz Rupert muß auf der Suche nach einem magischen Artefakt, mit dem die Transformation in eine ärmere Welt verhindert werden kann, allerlei Schwierigkeiten meistern. Diese jedoch entsprechen oft nicht der üblichen Abenteuer- und Reisethematik, sondern erscheinen vielmehr so, wie ich mir eine kitschige Liebesgeschichte vorstelle: Prinz Rupert muß sich den Nachstellungen von diversen schönen Frauen widersetzen (die dann Will nimmt) um die Probleme lösen zu können - es wird von Rupert die doppelte Treue verlangt: Sowohl zum König wie auch zu Jennifer. Jennifer dagegen muß häßlichen und groben Halunken entkommen, um zu ihrem Liebsten zu gelangen.
Sachte schwingt ein Chaos-Ordnung Konflikt mit, bei dem Oliver Cromwell als Puritaner für die rationalisierende Ordnung gegen den wahren König, der für das Chaos steht. Inspiration hierfür dürfte die Sage, daß Cromwell die Feen aus England vertrieben habe, gewesen sein.
Spannung soll wohl in gleichen Maßen aus den bedrohlichen Situationen, den Wendungen, den Wundern, wie auch auf psychologischer Ebene entstehen - nur leider haben die Figuren keine glaubwürdige Psyche, die Wunder werden nicht eindringlich geschildert und die Wendungen sich vielfach vorhersehbar. Die bedrohlichen Situationen schließlich berühren kaum, da die Figuren fremd bleiben und ebenso wie die Wunder nur oberflächlich geschildert werden. Hinzu kommt, daß die Plotpunkte nur weit verstreut liegen, die Geschichte also eher langsam vorankommt. Bisweilen versucht der Autor die Geschichte mit etwas albernem, slapstickartigem Humor aufzuheitern.
Erzählt wird die Geschichte aus auktorialer Perspektive von einem zurückhaltenden Erzähler. Der Handlungsaufbau entwickelt sich dramatisch und progressiv an zunächst einem, später an zwei Erzählsträngen entlang.

Der Stil ist emphatisch. Sätze und Wortwahl suchen häufig die Nähe zum shakespeareschen Drama - was weitgehend scheitert. Auch hier wirkt es eher kitschig als romantisch oder zauberhaft. Weiterhin - was wohl der Übersetzung geschuldet ist - wimmelt es von Fehlern: Was mag wohl ein "xildes Feuer" (S. 227) sein? Es geht bis zur Doppelung von Halbsätzen.
Das Titel- und Rückbild sind durchaus gut gelungen - nur: Sie zeigen Gandalf, der mit den großen Adlern kommt, um Frodo und Sam vom Schicksalsberg zu hohlen.

In der Realität war der Englische Bürgerkrieg ausgebrochen, da der König Karl I. immer wieder Differenzen mit dem Parlament hatte. In einem langjährigen Hin und Her, in dem er willkürlich den Steuerdruck verstärken wollte, die Angelikanische Kirche durchsetzen wollte, unter anderem, indem er drohte, die Puritaner zu Häretikern zu erklären, und diverse Rechte brach, schaffte er es, eine breite Koalition aus religiös Unterdrückten, Kleinadligen und Bürgerlichen gegen sich auf und hinter die Banner der Parlamentarier zu bringen. Nachdem das Parlament mit knapper Mehrheit eine Anklage gegen den König beschlossen hatte, versuchte dieser die Führer der Bewegung zu verhaften - was verfassungswidrig war und die Londoner Bevölkerung gegen ihn aufbrachte. 1642 begann daraufhin der Bürgerkrieg. Im eigentlichen Vorgehen gaben sich die Kontrahenten nicht viel; nach dem ersten verlorenen Bürgerkrieg begann der König einen zweiten, in dem er ebenfalls unterlag, was zu seiner Hinrichtung führte. Oliver Cromwell, der zunächst die nun ausgerufene Republik als Lord Protector regierte, löste später das Rumpfparlament auf um eine Art Militärdiktatur zu etablieren. Dieses führte nach seinem Tod zur Restauration des Königtums. Dennoch: Der Aggressor war zweifellos Karl I.
Prinz Rupert wird im Deutschen üblicherweise Prinz Ruprecht von der Pfalz genannt und war in der Tat eine vielseitige und spannende Gestalt; nach der Niederlage des Königtums wandte er sich zunächst der Freibeuterei gegen die Republik und später der Forschung und der Kunst zu. Nach der Restauration kehrte er in den Dienst der englischen Flotte zurück.
Anderson vereinfacht die Sache erheblich: Die Parlamentarier sind Rebellen, menschenverachtende und intolerante Puritaner, die nach Macht streben, um ihre religiösen Vorstellungen durchzusetzen, zu denen eine unbarmherzige Rationalisierung gehört. Die Royalisten dagegen sind tolerante, loyale, aufrechte und tapfere Gesellen, die eine gute und individualistische Gesellschaft wollen - wer frei sein will, muß für den König kämpfen. Mehr als deutlich sichtbar wird hier Andersons Kritik am sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt (der technische wird nicht bewertet), die sicherlich in einzelnen Punkten nicht unberechtigt ist, aber mich in dieser verherrlichenden Form einfach abstößt, weshalb ich in der Gesamtwertung einen halben Punkt abziehe.

Wer sich an große Vorbilder heranwagt, der hat große Erwartungen zu erfüllen: Die Prämissen sind durchaus interessant, doch Anderson gelingt es nicht, diese zu entwickeln; viel zu viele gute Ideen werden in den Raum geworfen und dann nicht oder nur mit grober Hand verarbeitet.
(rezensiert von: Theophagos)

Wertung
gesamt
Welt
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Sprache
Story
Karte
Personenglossar
Sachglossar
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Gloriana

Fazit: Prinz Rupert muß die magischen Utensilien Prosperos finden, um einen Sieg der rationalistischen Puritaner zu verhindern; ein bißchen pseudo-historische Fantasy, ein bißchen Revisionist Fantasy und viel Romanze - Anderson wagt ein interessantes Experiment, welches leider auf vielen Ebenen scheitert.


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