Bibliotheka Phantastika verleiht Sterne:
Das erste Kapitel spielt in der Lebenswelt des Erzählers, der von
seinem zukünftigen Leben träumt. Es scheint das 16. Jahrhundert
zu sein, dieses ist aber für den weiteren Verlauf nicht weiter von
Belang, denn dieser findet etliche Millionen Jahre in der Zukunft statt.
Die verbliebenen Menschen leben in einer Stahlpyramide, die über
sieben Meilen hoch ist und eine Seitenlänge von einer Meile hat.
In grauer Vorzeit, als die Erde noch jung war und die Sonne trübe
am Himmel stand, kam es zum Bruch in der Realität und es gelang einigen
Äußeren Kräften und Monstern auf die Welt zu gelangen.
Es entstand Gesetzlosigkeit und Verfall und die letzten vernünftigen
Menschen taten sich zusammen um die letzte Festung zu erbauen. Zur Zeit
der Geschichte beherbergt sie die letzten Millionen der Menschen, die
in verschiedenen Städten leben, die geheimnisvolle Erdströmung
nutzend, um Nahrung anzubauen, um die elektronischen Bulletins zu betreiben,
welche die Öffentlichkeit informieren und über die wissenschaftliche
Theorien ausgetauscht werden, bewacht von den Monsterwachern, die stets
das Nachtland beobachten, und geschützt durch den Lichtkreis, der
die Pyramide umgibt und die Monster am Eindringen hindert. Dennoch erfährt
der Leser nur wenig über das Leben in der letzten Festung, denn relativ
bald - im dritten Kapitel - beginnt die Handlung, und auch wenn der Autor
zu langatmigen Beschreibungen neigt, beschreibt er nur selten und knapp
das menschliche Miteinander und dieses scheint dem des ausgehenden 19.
Jahrhunderts recht ähnlich zu sein. Das die Pyramide umgebende Nachtland
ist eine öde, desolate, in ewige Dunkelheit gehüllte Landschaft.
Nur wenig Licht von der Menschheit oder offenen Feuerlöchern - Ritzen
in der Erde, aus denen brennendes Gas entströmt - erhellt sie. Moos,
hartes Gras und Büsche wachsen dort spärlich, aber viele wilde
Tiere und halbintelligente, degenerierte Menschen hausen dort in Gruppen
an den Feuern und in den vielen natürlichen Höhlen.
Das Setting ist damit eine Mischung aus Ambiente und atmosphärischer
Untermalung; für die Beschreibung bringt der Autor einen gewissen
Aufwand auf, diese dominieren die Geschichte allerdings nur selten. Dieses
Dying-Earth Setting ist Vorlage für viele spätere Endzeitvisionen
gewesen - in manchen Punkten scheint es z.B. Jack Vances Dying
Earth beeinflußt zu haben.
Die verwendeten phantastischen Elemente sind sehr unterschiedlich. Da
gibt es klare Science Fiction-Elemente, wie die Nahrungstabletten, von
denen der Erzähler zwei pro Mahlzeit ißt; sie füllen zwar
den Magen nicht, aber decken den Nährbedarf. Dann gibt es Körner,
die mit Luft reagieren und zu Trinkwasser werden. Andere weichen schon
ein wenig davon ab, wie die Diskos, eine Energieaxt, mit der die letzten
Menschen kämpfen; wer sie zu führen vermag, der kann mit einem
Schlag einen Menschen zerfetzen, oder das Nachthören, eine Art Telepathie,
bei der sich begabte Menschen Nachrichten mittels ihrer Gehirnteilchen
zukommen lassen; als Schlüssel wird das Meisterwort genutzt, denn
dieses können die Monster nicht senden. Die Monster dann stammen
zuweilen direkt aus der Fantasy, wie die Riesen, häufig sind es aber
auch degenerierte Menschen oder andere z. T. mutierte Wesen, wie sie in
postapokalyptischen Geschichten zu finden sind, wie riesige Skorpione
oder sonderbare Rattenwesen. Vielfach wählt der Autor ein negativ
konnotiertes Wesen und bereichert es um bizarre oder groteske Eigenschaften;
hin und wieder weicht er davon ab und kreiert sehr ungewöhnliche
unheimliche Wesen. So etwa die monströsen Wächter, die seit
Ewigkeiten auf die Pyramide starren und die Bewohner alarmieren, wenn
Menschen sich ins Dunkel wagen, oder die Stillen, vielleicht zehn Fuß
große, von Kopf bis Fuß völlig verhüllte Wesen,
die ruhig und ohne Hast durch das Nachtland wandeln - wenngleich sie nicht
unbedingt furchterregend sind, können sie mit Leichtigkeit Menschen
vernichten oder ins Haus der Stille bringen, wo mit lautlosem Terror die
Seelen der Glücklosen vernichtet werden - Vorbereitete haben daher
immer eine Giftkapsel dabei, um den Stillen nicht lebend in die Hände
zu fallen. Zuletzt gibt es noch die Guten und die Bösen Kräfte;
dieses sind unfaßbare Wesen (?), die zum Heil oder Schaden der Menschen
wirken; es scheint, als seien die Monster die Diener der Bösen Kräfte:
Vielfach neigen die phantastischen Elemente zum Grauenerregenden und Bedrohlichen;
damit machen sie die Geschichte zur Dark Fantasy.
Es gibt nur wenige Figuren und diese sind schwach entwickelt. Im Zentrum
steht natürlich der Erzähler, dessen Name der Leser nicht erfährt.
Er weißt viele exzentrische Eigenheiten auf: So ist der junge Mann
außerordentlich stark und abgehärtet, der hervorragende Kämpfer
kann stundenlang laufen oder wachen, sein Wille ist unbeugsam, seine Liebe
einmalig und er hat das beste Nachtgehör. Sein Mangel an Charakterisierung
läßt ihn dann aber auch wieder zentrisch erscheinen: Er sieht
die Dinge genau so, wie man die Dinge in der Gesellschaft sieht. Wenn
eine Frau zu keck ist und den Mann nicht als Herren anerkennt, dann wird
ihr Wille mit dem Gürtel gebrochen, selbst wenn man nicht so hart
zu seiner Liebsten sein mag. Seine ewige Liebe Naani/Mirdath ist sein
Gegenstück. Das Mädchen ist klein und zierlich, außerordentlich
schön und ob ihrer Liebe stets gewillt ihm zu gefallen. Sie vereinigt
die drei weiblichen Archetypen Tochter, Gattin und Mutter in sich und
wechselt mal von dieser in jene Rolle und wieder zurück. Wie erwähnt,
ist sie recht keck und ungehorsam, weswegen sie hin und wieder durch Züchtigungen
erzogen werden muß. Die beiden sind also flache Figuren, die zwischen
Zentrik und Exzentrik schwanken. Es gibt noch einige weitere Statisten
wie den Meistermonsterwacher, aber diese sind bloß Funktionsträger.
Der Plot verbindet Queste mit Romanze; die erste Hälfte beschreibt
hauptsächlich die Reise und Suche des Protagonisten nach seiner Liebsten;
es werden die Landschaften und Begegnungen mit den Monstern, aber auch
Details des Alltags, wie das Tablettenessen, wie viele Stunden gegangen
und geschlafen wird, etc. (Eigenartigerweise badet er zwar, verrichtet
aber nie seine Notdurft.) In der zweiten Hälfte kommt dann die Liebesgeschichte
hinzu. Das Mädchen ist süß, keck und natürlich. Sie
küssen sich, sie necken sich, sie sind einander genug. Die Liebesgeschichte
ist keineswegs kitschig, sie wird aber distanziert geschildert, so daß
man den Eindruck erhält, einem albernen Liebespärchen in der
U-Bahn gegenüber zu sitzen; es ist mal belustigend, mal entnervend,
immer fein beobachtet, aber nie zu Herzen gehend. Spannung entsteht aus
den bedrohlichen Situationen und finsteren Wundern, nicht immer in hohem
Maße, aber einzelne Szenen sind wirklich erschütternd. Ebenso
soll wohl auch Spannung aus der Differenz zwischen dunklem Dying-Earth
Setting und Liebesgeschichte entstehen, was bei mir aber nicht der Fall
war. Aufgrund der Wiederholungen ad nauseam, seien es nun Monsterbegegnungen
oder Alltäglichkeiten, kommt der Plot nur schleppend voran. Der Handlungsaufbau
entwickelt sich dramatisch und progressiv an einem Erzählstrang entlang.
Die Erzählperspektive ist eine Mischung aus Ich-Erzählung und
Bericht; es scheint, als wolle jemand sachlich und objektiv seine Erfahrungen
schildern, es gelänge ihm aber nicht immer, so daß er voller
Verve von manchem Ereignis erzählt. So schwankt der Stil auch zwischen
neutraler und empathischer Haltung. Der Autor sucht insgesamt die Sprache
des 16. Jahrhunderts zu imitieren - und, ach! dieses ist sehr ungewohnt
und die vielen Wiederholungen, grade des "Und, ach!" durchaus
nicht erbaulich. Die vielen Tippfehler steigern das Lesevergnügen
auch nicht. Ungewöhnlich ist auch, daß es keine direkte Rede
gibt.
Eine abschließende Wertung fällt mir schwer, da das Werk sehr
durchwachsen ist. Es ist für H.P.
Lovecraft vorbildlich gewesen, doch er urteilt in Die Literatur
der Angst so: "Auch unter Berücksichtigung all seiner Mängel
ist das Buch noch eines der eindrucksvollsten Werke makabrer Imagination,
die je geschrieben wurden." (S. 105 der Suhrkamp-Ausgabe von 1995);
die lobende Hälfte wird auf dem Buchrücken mit einem hübschen
Fehler zitiert: "H. P. Lovekraft". Lovecraft trifft den Nagel
auf dem Kopf: Auch wenn die Entwicklung zäh, die Romanze langweilig,
die Sprache unerträglich und die unreflektierte Beziehung zwischen
prügelnd erziehendem Herrn und Kindsklavin widerlich ist, enthält
es für den Liebhaber dunkler Phantastik exzellente Momente. Wer sich
bloß unterhalten will, sollte dieses Werk meiden, wer aber auf der
Suche nach herausragenden Momenten des Horrors ist, dem rate ich an, es
einmal mit dem Nachtland zu versuchen.
Das aufgrund der Länge 1912 in zwei Teilen veröffentlichte Werk
ist mittlerweile Bestandteil der public domain und kann daher kostenlos
beim Projekt
Gutenberg gelesen werden. Eine rege Fan-Gemeinde macht sich auf der
Website The Night
Land weiterführende Gedanken.
(rezensiert von: Theophagos) |
|
|