DAS NACHTLAND

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Wertung: 2 1/2 von 5
1 Rezension
-Der Glanz des Sonnenuntergangs brachte uns zum Sprechen.-
Kapitel 1. Mirdath, die Schöne
Zyklus/Band -
Autor William Hope Hodgson
Original The Night Land, vol. 1 & 2
Erscheinungsjahr 1912, dt. 1982
Verlag Bastei Lübbe
ISBN 3-404-24030-8
Subgenre Science Fantasy, Dark Fantasy
Seitenzahl 416
Probekapitel -
Worum's geht:
Dem Erzähler widerfährt ungewöhnliches: Seine überaus geliebte Frau Mirdath stirbt. In einer entfernten Zukunft wird der Erzähler wiedergeboren und davon erzählt er. Die Sonne ist verloschen und so herrscht auf ewig Nacht. Die letzten Menschen haben sich in eine gewaltige Stahlpyramide zurückgezogen, die von einer Vielzahl bizarrer und grausiger Wesen belagert wird. Da kann überraschend ein Kontakt zu einer weiteren Pyramide hergestellt werden und der Erzähler stellt fest, daß Naani, deren Sprecherin, die reinkarnierte Mirdath ist - seine ewige Liebe. Doch deren Sendungen werden bald schwächer und brechen schließlich ganz ab, zuvor aber konnte Naani einen Hilferuf absetzen - der Erzähler macht sich auf in die Ungewißheit der Nacht um seine Einzige zu retten…

Bibliotheka Phantastika verleihtSterne:
Das erste Kapitel spielt in der Lebenswelt des Erzählers, der von seinem zukünftigen Leben träumt. Es scheint das 16. Jahrhundert zu sein, dieses ist aber für den weiteren Verlauf nicht weiter von Belang, denn dieser findet etliche Millionen Jahre in der Zukunft statt. Die verbliebenen Menschen leben in einer Stahlpyramide, die über sieben Meilen hoch ist und eine Seitenlänge von einer Meile hat. In grauer Vorzeit, als die Erde noch jung war und die Sonne trübe am Himmel stand, kam es zum Bruch in der Realität und es gelang einigen Äußeren Kräften und Monstern auf die Welt zu gelangen. Es entstand Gesetzlosigkeit und Verfall und die letzten vernünftigen Menschen taten sich zusammen um die letzte Festung zu erbauen. Zur Zeit der Geschichte beherbergt sie die letzten Millionen der Menschen, die in verschiedenen Städten leben, die geheimnisvolle Erdströmung nutzend, um Nahrung anzubauen, um die elektronischen Bulletins zu betreiben, welche die Öffentlichkeit informieren und über die wissenschaftliche Theorien ausgetauscht werden, bewacht von den Monsterwachern, die stets das Nachtland beobachten, und geschützt durch den Lichtkreis, der die Pyramide umgibt und die Monster am Eindringen hindert. Dennoch erfährt der Leser nur wenig über das Leben in der letzten Festung, denn relativ bald - im dritten Kapitel - beginnt die Handlung, und auch wenn der Autor zu langatmigen Beschreibungen neigt, beschreibt er nur selten und knapp das menschliche Miteinander und dieses scheint dem des ausgehenden 19. Jahrhunderts recht ähnlich zu sein. Das die Pyramide umgebende Nachtland ist eine öde, desolate, in ewige Dunkelheit gehüllte Landschaft. Nur wenig Licht von der Menschheit oder offenen Feuerlöchern - Ritzen in der Erde, aus denen brennendes Gas entströmt - erhellt sie. Moos, hartes Gras und Büsche wachsen dort spärlich, aber viele wilde Tiere und halbintelligente, degenerierte Menschen hausen dort in Gruppen an den Feuern und in den vielen natürlichen Höhlen.
Das Setting ist damit eine Mischung aus Ambiente und atmosphärischer Untermalung; für die Beschreibung bringt der Autor einen gewissen Aufwand auf, diese dominieren die Geschichte allerdings nur selten. Dieses Dying-Earth Setting ist Vorlage für viele spätere Endzeitvisionen gewesen - in manchen Punkten scheint es z.B. Jack Vances Dying Earth beeinflußt zu haben.

Die verwendeten phantastischen Elemente sind sehr unterschiedlich. Da gibt es klare Science Fiction-Elemente, wie die Nahrungstabletten, von denen der Erzähler zwei pro Mahlzeit ißt; sie füllen zwar den Magen nicht, aber decken den Nährbedarf. Dann gibt es Körner, die mit Luft reagieren und zu Trinkwasser werden. Andere weichen schon ein wenig davon ab, wie die Diskos, eine Energieaxt, mit der die letzten Menschen kämpfen; wer sie zu führen vermag, der kann mit einem Schlag einen Menschen zerfetzen, oder das Nachthören, eine Art Telepathie, bei der sich begabte Menschen Nachrichten mittels ihrer Gehirnteilchen zukommen lassen; als Schlüssel wird das Meisterwort genutzt, denn dieses können die Monster nicht senden. Die Monster dann stammen zuweilen direkt aus der Fantasy, wie die Riesen, häufig sind es aber auch degenerierte Menschen oder andere z. T. mutierte Wesen, wie sie in postapokalyptischen Geschichten zu finden sind, wie riesige Skorpione oder sonderbare Rattenwesen. Vielfach wählt der Autor ein negativ konnotiertes Wesen und bereichert es um bizarre oder groteske Eigenschaften; hin und wieder weicht er davon ab und kreiert sehr ungewöhnliche unheimliche Wesen. So etwa die monströsen Wächter, die seit Ewigkeiten auf die Pyramide starren und die Bewohner alarmieren, wenn Menschen sich ins Dunkel wagen, oder die Stillen, vielleicht zehn Fuß große, von Kopf bis Fuß völlig verhüllte Wesen, die ruhig und ohne Hast durch das Nachtland wandeln - wenngleich sie nicht unbedingt furchterregend sind, können sie mit Leichtigkeit Menschen vernichten oder ins Haus der Stille bringen, wo mit lautlosem Terror die Seelen der Glücklosen vernichtet werden - Vorbereitete haben daher immer eine Giftkapsel dabei, um den Stillen nicht lebend in die Hände zu fallen. Zuletzt gibt es noch die Guten und die Bösen Kräfte; dieses sind unfaßbare Wesen (?), die zum Heil oder Schaden der Menschen wirken; es scheint, als seien die Monster die Diener der Bösen Kräfte: Vielfach neigen die phantastischen Elemente zum Grauenerregenden und Bedrohlichen; damit machen sie die Geschichte zur Dark Fantasy.

Es gibt nur wenige Figuren und diese sind schwach entwickelt. Im Zentrum steht natürlich der Erzähler, dessen Name der Leser nicht erfährt. Er weißt viele exzentrische Eigenheiten auf: So ist der junge Mann außerordentlich stark und abgehärtet, der hervorragende Kämpfer kann stundenlang laufen oder wachen, sein Wille ist unbeugsam, seine Liebe einmalig und er hat das beste Nachtgehör. Sein Mangel an Charakterisierung läßt ihn dann aber auch wieder zentrisch erscheinen: Er sieht die Dinge genau so, wie man die Dinge in der Gesellschaft sieht. Wenn eine Frau zu keck ist und den Mann nicht als Herren anerkennt, dann wird ihr Wille mit dem Gürtel gebrochen, selbst wenn man nicht so hart zu seiner Liebsten sein mag. Seine ewige Liebe Naani/Mirdath ist sein Gegenstück. Das Mädchen ist klein und zierlich, außerordentlich schön und ob ihrer Liebe stets gewillt ihm zu gefallen. Sie vereinigt die drei weiblichen Archetypen Tochter, Gattin und Mutter in sich und wechselt mal von dieser in jene Rolle und wieder zurück. Wie erwähnt, ist sie recht keck und ungehorsam, weswegen sie hin und wieder durch Züchtigungen erzogen werden muß. Die beiden sind also flache Figuren, die zwischen Zentrik und Exzentrik schwanken. Es gibt noch einige weitere Statisten wie den Meistermonsterwacher, aber diese sind bloß Funktionsträger.

Der Plot verbindet Queste mit Romanze; die erste Hälfte beschreibt hauptsächlich die Reise und Suche des Protagonisten nach seiner Liebsten; es werden die Landschaften und Begegnungen mit den Monstern, aber auch Details des Alltags, wie das Tablettenessen, wie viele Stunden gegangen und geschlafen wird, etc. (Eigenartigerweise badet er zwar, verrichtet aber nie seine Notdurft.) In der zweiten Hälfte kommt dann die Liebesgeschichte hinzu. Das Mädchen ist süß, keck und natürlich. Sie küssen sich, sie necken sich, sie sind einander genug. Die Liebesgeschichte ist keineswegs kitschig, sie wird aber distanziert geschildert, so daß man den Eindruck erhält, einem albernen Liebespärchen in der U-Bahn gegenüber zu sitzen; es ist mal belustigend, mal entnervend, immer fein beobachtet, aber nie zu Herzen gehend. Spannung entsteht aus den bedrohlichen Situationen und finsteren Wundern, nicht immer in hohem Maße, aber einzelne Szenen sind wirklich erschütternd. Ebenso soll wohl auch Spannung aus der Differenz zwischen dunklem Dying-Earth Setting und Liebesgeschichte entstehen, was bei mir aber nicht der Fall war. Aufgrund der Wiederholungen ad nauseam, seien es nun Monsterbegegnungen oder Alltäglichkeiten, kommt der Plot nur schleppend voran. Der Handlungsaufbau entwickelt sich dramatisch und progressiv an einem Erzählstrang entlang.
Die Erzählperspektive ist eine Mischung aus Ich-Erzählung und Bericht; es scheint, als wolle jemand sachlich und objektiv seine Erfahrungen schildern, es gelänge ihm aber nicht immer, so daß er voller Verve von manchem Ereignis erzählt. So schwankt der Stil auch zwischen neutraler und empathischer Haltung. Der Autor sucht insgesamt die Sprache des 16. Jahrhunderts zu imitieren - und, ach! dieses ist sehr ungewohnt und die vielen Wiederholungen, grade des "Und, ach!" durchaus nicht erbaulich. Die vielen Tippfehler steigern das Lesevergnügen auch nicht. Ungewöhnlich ist auch, daß es keine direkte Rede gibt.

Eine abschließende Wertung fällt mir schwer, da das Werk sehr durchwachsen ist. Es ist für H.P. Lovecraft vorbildlich gewesen, doch er urteilt in Die Literatur der Angst so: "Auch unter Berücksichtigung all seiner Mängel ist das Buch noch eines der eindrucksvollsten Werke makabrer Imagination, die je geschrieben wurden." (S. 105 der Suhrkamp-Ausgabe von 1995); die lobende Hälfte wird auf dem Buchrücken mit einem hübschen Fehler zitiert: "H. P. Lovekraft". Lovecraft trifft den Nagel auf dem Kopf: Auch wenn die Entwicklung zäh, die Romanze langweilig, die Sprache unerträglich und die unreflektierte Beziehung zwischen prügelnd erziehendem Herrn und Kindsklavin widerlich ist, enthält es für den Liebhaber dunkler Phantastik exzellente Momente. Wer sich bloß unterhalten will, sollte dieses Werk meiden, wer aber auf der Suche nach herausragenden Momenten des Horrors ist, dem rate ich an, es einmal mit dem Nachtland zu versuchen.
Das aufgrund der Länge 1912 in zwei Teilen veröffentlichte Werk ist mittlerweile Bestandteil der public domain und kann daher kostenlos beim Projekt Gutenberg gelesen werden. Eine rege Fan-Gemeinde macht sich auf der Website The Night Land weiterführende Gedanken.

(rezensiert von: Theophagos)
Wertung
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Fazit: Der Erzähler zieht ins ungewisse Dunkel des von Monstern bevölkerten und Bösen Kräften dominierten Nachtlands um seine Einzige vor der Verdammnis zu retten; eine Survivalist-Fantasy-Queste mit Romanze in einem Dying-Earth-Setting - trotz der vielen Mängel nicht unerheblich für Liebhaber der Dark Fantasy, bzw. Weird Fiction.


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